Ein guter Anfang
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„Natürlich ist das eine gute Idee! In einem ungezwungenen Rahmen klappt das doch bestimmt viel besser als in diesem öden Hotelzimmer!“ sagte meine Schwester fast euphorisch, während ich an ihrem großen Küchentisch saß und meinem Neffen Ben dabei zusah, wie er mir ein Bild malte. Ich hatte schon tausende von Bildern von ihm geschenkt bekommen und liebte jedes einzelne von ihnen heiß und innig. Ganz geschäftig sah der Kleine aus während er zeichnete. Er war gerade eingeschult worden und stolz auf seine nagelneuen Bundstifte, die ich ihm zu diesem Ereignis geschenkt hatte. „Vielleicht hast du Recht. Ich hoffe nur, dass er von niemandem erkannt wird,“ entgegnete ich, ohne Ben aus den Augen zu lassen. „Das glaube ich kaum. Er ist hier ja noch nicht so bekannt wie in Indien,“ meinte Laura und stellte eine dampfende Tasse Tee vor mir auf den Tisch. Der ungewöhnliche Geruch ließ mich skeptisch die Stirn in Falten legen und ich fragte: „Das ist aber nicht der Tee, den du mir sonst machst, oder?“ Meine Schwester grinste verschmitzt und antwortete: „Das, meine Liebe, ist indischer Chai-Tee. Um dich auf dein Treffen heute Abend einzustimmen.“ Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf und trank einen Schluck. Er war ganz okay. Den Schwarztee konnte ich herausschmecken, doch die Flut an Gewürzen überforderte meine Geschmacksnerven. „Du wärst erstaunt gewesen. In der Lobby des Hotels hatten sich tatsächliche einige Fans versammelt,“ erzählte ich ihr und stellte die Tasse wieder ab. Sie hob erstaunt die Augenbrauen und entgegnete: „Wirklich? Das hätte ich nicht erwartet. Wie ist er denn so?“ Ich dachte kurz nach. Das war eine schwierige Frage. Ich musste zugeben, dass ich noch nicht wirklich viel über ihn sagen konnte. „Naja, er ist ganz nett, würde ich sagen. Unsere ersten Unterhaltungen waren nicht gerade sehr informativ,“ erklärte ich nachdenklich. Meine Schwester setzte sich neben mich, stütze ihr Kinn auf ihrer Hand ab und fragte mit verschwörerischem Blick: „Sieht er gut aus?“ Auf diese Frage kicherte Ben leise. „Er ist nicht unattraktiv, wenn du das meinst. Was soll diese Frage eigentlich?“ fragte ich empört und streckte meinem Neffen die Zunge heraus als meine Schwester sich umdrehte, um ihre Tasse vom Küchentresen zu nehmen. Der Kleine kicherte wiederum und streckte mir ebenfalls die Zunge raus. „Reine Neugier. Charles kann ich sowas ja nicht fragen. Er hat mir übrigens von deiner gestrigen Blamage erzählt,“ bemerkte sie fast beiläufig. Mein Magen krampfte sich zusammen. „Ach ja?“ fragte ich bloß und nahm noch schnell einen Schluck von meinem Tee. Sie nickte und fragte: „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du dich vorbereiten sollst?“ Schuldbewusst senkte ich meinen Blick und entgegnete: „Doch, hast du. Und ich wollte es auch wirklich tun. Aber dann bin ich… eingeschlafen.“ „Na prima! Das sieht dir mal wieder ähnlich!“ seufzte sie. „Aber es ist ja noch einmal gut gegangen. Charles hat ihm irgendwelchen Papierkram unter die Nase gehalten und somit hat er mir noch eine Chance gegeben. Und die werde ich nutzen. Das kannst du mir glauben!“ erklärte ich und versuchte so zuversichtlich wie nur möglich zu klingen. „Das will ich für dich hoffen. So eine Chance bekommt man schließlich nicht alle Tage. Es würde deinem Leben mal eine neue Richtung geben,“ meinte meine Schwester ernst. Ich nickte und entgegnete: „Ja, das würde es. Ein Richtungswechsel ist wirklich überfällig, denke ich. Seit meiner Scheidung von James trete ich auf der Stelle. Ich muss meine Karriere unbedingt auf ein neues Level bringen,“ sagte ich und starrte nachdenklich in meine große Tasse. „Du solltest nicht nur deine Karriere auf ein neues Level bringen, meine Liebe,“ warf meine Schwester mit einem seltsamen Tonfall ein. Ich sah zu ihr auf und fragte verwirrt: „Wie meinst du das?“ Sie warf mir einen genervten Blick zu, dann wandte sie sich an meinen Neffen und sagte: „Ben, Schätzchen, malst du das Bild bitte in deinem Zimmer fertig? Mommy und Tante Leah müssen mal ein Erwachsenengespräch führen.“ „Ist gut,“ meinte der Kleine sofort, nahm sein Bild und seine Stifte und verließ die Küche. So folgsam war ich als Kind nie gewesen. Als wir die Kinderzimmertür ins Schloss fallen hörten, wandte sich meine Schwester wieder mir zu und sagte: „Ich meine damit, dass du vielleicht wieder anfangen solltest, dich zu verabreden.“ „Oh nein, nicht dieses Thema!“ seufzte ich auf und schob genervt meine Tasse von mir weg. „Doch, genau dieses Thema! Willst du denn ewig allein bleiben und deiner gescheiterten Ehe nachtrauern?“ fragte sie im selben Ton. „Das tue ich gar nicht! Ich bin gern allein,“ entgegnete ich. „Blödsinn! Niemand ist gerne allein! Zumindest nicht auf Dauer,“ widersprach mir meine Schwester. Ich hätte ihr gern widersprochen, doch sie hatte Recht. Tief in meinem Innern wusste ich das, doch ich hatte Angst. Liebe bedeutete Ärger. Meine Ehe hatte in einer schrecklichen Katastrophe geendet. Der liebste Mann, den ich je kennen gelernt und der mich auch noch über alles geliebt hatte, hasste mich nun. Und er hasste mich zu Recht. Ich hatte unsere Ehe sabotiert. Ich hatte unser Heim zerstört. Ich hatte unser beider Leben durcheinander gebracht und mein eigenes beinahe komplett zugrunde gerichtet. Nein, die Liebe war nichts für mich. Ich legte meine Hände in meinen Schoß und sagte: „Ich kann mit der Liebe nicht umgehen.“ „Was redest du da für einen melodramatischen Blödsinn?“ schimpfte meine Schwester und legte ihre Hand auf meine Hände. Ich sah auf zu ihr und begegnete ihrem besorgten Blick. „Was hast du denn? Findest du, dass ich unglücklich wirke?“ fragte ich sie. Sie dachte kurz nach und antwortete dann: „Ich bin mir nicht sicher. Wenn du über deine Arbeit sprichst, wirkst du glücklich. Aber über was sprichst du, wenn du nicht über die Arbeit redest?“ Ich wich ihrem Blick aus. „Und genau das ist es! Du kannst doch nicht nur für die Arbeit leben. Das ist nicht gut. Du musst dir wieder ein Leben aufbauen. Ein Leben neben der Arbeit, verstehst du?“ fügte sie mit eindringlicher Stimme hinzu. Ich spürte, wie sich mein Hals zuschnürte. Ich wollte das nicht hören. „Ich muss los,“ sagte ich kurz angebunden und stand auf. Sie sah mir zu, wie ich meine Jacke anzog, hielt mich jedoch nicht auf. „Du brauchst nicht weg zu laufen,“ meinte sie bloß. „Das tue ich gar nicht. Ich muss wirklich nach Hause. Immerhin habe ich heute Abend noch etwas vor,“ entgegnete ich bloß und machte meine Jacke zu. Dann drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange und ließ sie in ihrer Küche zurück. Dafür, dass ich nicht weglief, verließ ich doch schneller