Der Wall war aus einer Mauer von kaum fünf Längen Höhe entstanden. Als diese errichtet worden war, kam es zu kleineren Scharmützeln mit den Walven, doch schon dieses erste Hindernis hatte sich bewährt. Nun war der Wall eine fast dreißig Längen hohe Wand, an ihrer Basis ebenso dick und oben immerhin noch zehn Längen stark. Im Grunde bestand dieses Hindernis aus zwei Wänden, die jeweils fünf Längen stark waren. Zwischen ihnen waren Erdreich und Sand eingefüllt worden. An der Vorderseite war der Wall ganz leicht nach vorne geneigt, nach hinten fiel er in steilem Winkel ab. Dort waren die Treppen und die Führungsschienen der Dampfaufzüge angebracht.
Oben besaß die Mauerkrone eine Brustwehr mit zahllos scheinenden Schießscharten. Diese Öffnungen waren hinten eng und weiteten sich nach vorne in breitem Winkel, so dass ein Schütze nur ein kleines Ziel bot, er selbst jedoch über ein großes Schussfeld verfügte. Pfeil und Bogen oder Berstpulvergewehr der Gardisten konnten hier ihre verhängnisvolle Wirkung zeigen.
Doch neben den Bogen und den Berstpulvergewehren der Fußgarde verfügte die Landmark noch über eine weitere tödliche Waffe: die Berstpulverkanone.
Einst waren weit tragende Geschütze mit Dampfdruck betrieben worden. Doch inzwischen kannte man das Geheimnis des Berstpulvers. Diese Mischung aus Holzkohle, Schwefel und Salpeter mochte beim Abschuss zwar übel riechen, auf der Zunge und in den Augen brennen und braungelbe Wolken von Pulverdampf erzeugen, doch sie hatte einen enormen Vorteil gegenüber dampfbetriebenen Waffen: Man konnte sofort feuern und musste nicht erst warten, bis der erforderliche Dampfdruck aufgebaut war.
Nun standen schwere Berstpulverkanonen in regelmäßigen Abständen auf der Mauerkrone. Sie konnten massive Geschosse über viele Tausendlängen hinweg auf einen Feind werfen.
Barbrot Himmelsherr empfand durchaus Bewunderung für die bauliche Leistung der Menschen, doch zugleich konnte er auch ein Schaudern nicht unterdrücken. „Bei der Höhe des Himmels und der Tiefe des Wasser … Hochlord Nedeam, ich bin froh, dass wir Zwerge in der relativen Sicherheit der Wolken leben. Dieser Wall hier und seine Vernichtungswerkzeuge … Sie sind schrecklich.“ Er musste sich ein wenig recken, um auf die Einfassung einer Schießscharte schlagen zu können. „Ich weiß, Ihr habt beides aus gutem Grund errichtet und das zeigt mir, wie schrecklich auch jene Wesen sein müssen, wegen denen Ihr all dies hier erschaffen habt.“
Bei Grimmbart Hartschlag hob sich kurz eine der Augenbrauen. Im Gegensatz zum Stadtmeister sah er Waffen mit dem Pragmatismus eines Axtschlägers. „Jedenfalls ein massiver Wall, der jeden Gegner aufhalten dürfte.“ Er deutete auf einen langen Hebel, der aus einer Nute im Boden ragte. Alle paar Längen befanden sich identische Vorrichtungen. „Diese Stangen … Was ist ihr Zweck?“
„Unter der Mauerkrone haben wir Querstangen angebracht.“ Erster Schwertmann Antarim deutete über die Mauer hinweg. „Wenn die Walven tatsächlich einmal mit so langen Leitern kommen, betätigen wir diese Hebel. Dadurch werden die Querstangen aus der Mauer heraus geschoben. So ungefähr fünf Längen.“ Er grinste fröhlich. „Entweder wirft das ihre Leitern um oder sie sind dann so weit von der Brüstung entfernt, dass sie keine Chance haben, herüberzuspringen.“ Er lachte erneut. „Notfalls können unsere Gardisten aber auch einfache Lanzen nehmen und die Leitern umstoßen.“
Inzwischen wusste Grimmbart, dass die Landbewohner ihre berittenen Kämpfer Schwertmänner nannten und die Fußtruppen als Gardisten bezeichneten. Die Reiter trugen diese bodenlangen grünen Umhänge und die Gardisten kurze grüne Capes, die nur bis zum Waffengurt reichten. Hier oben, auf dem Wall, stand alle fünfzig Längen ein Gardist auf Wache. Unten, am Fuß der Mauer, standen mehrere Gebäude innerhalb einer kleineren Schutzmauer. Die Landmenschen nannten eine solche befestigte Anlage Reet und in diesem Wall-Reet waren 2.000 Gardisten stationiert. Sie wurden aus dem sogenannten Wall-Weiler versorgt, der zwanzig Tausendlängen weiter südlich lag. Dort wurde den Kämpfern auch allerlei zur Entspannung und Erholung geboten, denn alle vier Wochen wurde die Schutztruppe am Wall abgelöst.
Grimmbart stellte es sich schrecklich vor, über viele Wochen hinaus in die Leere des Feindeslandes zu starren und darauf zu hoffen, dass irgendetwas geschah, was einem die Langeweile vertrieb. Da war das Leben als Axtschläger doch weitaus abwechslungsreicher, denn wenn man nicht übte, kämpfte oder Wache schob, dann nahm jeder Kämpfer des Zwergenvolkes an jenen Arbeiten teil, die zum Erhalt der Wolkenstadt erforderlich waren. Grimmbart war ein Könner im Einschlagen von Schädeln, doch er verstand sich ebenso gut auf das Flicken und Spleißen von Tauwerk oder das Schmieden von Metall.
Barbrot Himmelsherr dankte einem Gardisten, der eine Kiste brachte, so dass der Herr der Wolkenstadt endlich über die Brüstung hinweg sehen konnte. Nedeam reichte ihm sein Langauge. Erneut schauderte es den kleinen Mann. „Euer Land, Hochlord Nedeam, ist reich an Wäldern und weiten Ebenen und es ist voller Leben. Doch hier, vor der Mauer, sehe ich nichts als schreckliche Öde. Wie kann dort Leben existieren?“
„Oh, dort existiert leider jede Menge Leben“, antwortete Nedeam. „Vorzugsweise in Form von Walven, die uns feindselig gesonnen sind. Doch das Land des nördlichen Kontinents ist keineswegs so lebensfeindlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ein paar Dutzend Tausendlängen nordwestlich gibt es ein ausgedehntes Waldgebiet. Als wir zum ersten Mal auf die Walven stießen, gelangten Trupps unserer Pferdelords auch ein gutes Stück ins Innere des nördlichen Kontinents und berichteten später, was sie dort entdeckt haben.“
Barbrot setzte das Instrument ab und sah Nedeam an. „Und was hat man dort entdeckt?“
„Nun, zunächst Gebirge und weitläufige Wüstengebiete. Doch es gibt scheinbar auch große fruchtbare Bereiche, in denen Pflanzen gedeihen. Genug davon, um die Horden der Walven zu ernähren.“
„Wie viele dieser Walven existieren denn?“
Nedeam zuckte mit den Schultern. „Das wissen wir nicht. Vielleicht nur ein paar Tausend, doch das glaube ich nicht. Als sie uns damals angriffen, da waren es Zehntausende von ihnen und das ist viele Jahre her.“
„Was wisst Ihr über sie?“
„Wenig genug.“ Nedeams Stimme klang grimmig. „Äußerlich ähneln sie uns in Statur und Größe, allerdings ist ihre Haut ungewöhnlich blass, obwohl sie doch in der Wüste leben. Ihre Ohren sind recht lang und spitz. Innerlich unterschieden sie sich jedoch weitaus deutlicher. Nach den damaligen Kämpfen haben wir ja einige von ihren Toten untersuchen können. Sie haben zwei Herzen und eine sehr kräftige Lunge, was vielleicht ihre Ausdauer erklärt. Sie sind verdammt gute Läufer. Das Blut ist von gelber Farbe und es ist ätzend. Wenn man es auf die Haut bekommt, dann ist es, als verbrenne man sich und die verletzten Stellen heilen nur schwer und langsam. Früher trugen wir lederne Harnische, heute tragen wir Panzer aus Metall und an unseren Helmen sind Visiere aus dickem Klarstein angebracht. Alle Rüstungen werden mit Plättchen aus Klarstein beklebt, um uns vor dem Blut der Barbaren zu schützen.“
„Oh“, meldete sich Grimmbart zu Wort, „ich dachte, ihr Landmenschen hättet diese ungewöhnlichen durchsichtigen Helmscheiben nur wegen der besseren Sicht.“
„Wir haben bittere Erfahrungen gesammelt“, antwortete Antarim an Nedeams Stelle.
„Alte Erfahrungen, nicht wahr?“ Grimmbart Hartschlag deutete um sich. „Eure letzten Kämpfe liegen weit zurück. Da dürften Eure Krieger kaum noch über Erfahrung im Kampf verfügen.“
„Wir nutzen das alte Wissen“, räumte der erste Schwertmann ein. „Doch unsere Pferdelords und unsere Gardisten üben sich beständig im Kampf.“
„Ja, das mag helfen“, brummte Grimmbart und trat von der Mauerbrüstung zurück.
Barbrot Himmelsherr stieg von der Kiste herunter. „Nun, Hochlord Nedeam, ich habe nun Euren Wall gesehen, so, wie Ihr es gewünscht habt. Jetzt sagt mir, wie das Wolkenvolk helfen kann, um seinen Handel zu erfüllen.“
„Ich zeige