Mit dem Pragmatismus des Pferdevolkes und dem festen Willen zu überleben, hatte man sich daran gemacht, sich mit der Landmark einen neuen Lebensraum zu schaffen. Nun, nach gut zweihundertfünfzig Jahren, war vieles vollbracht worden. Die Bevölkerung wuchs, doch die Bedrohung durch die Walven war allgegenwärtig.
Beide Seiten bereiteten sich vor. Nedeam wusste, dass sich die Zahl der Menschen weitaus langsamer vermehrte als die der Walven. Doch die Kampfkraft des Pferdevolkes beruhte nicht nur auf seiner Anzahl, sondern auch auf der Stärke und Ausdauer seiner Pferde. Zudem hatte sich das Wissen in den vergangenen Jahren gemehrt. Die Kräfte des Dampfes, des Windes und der Sonne wurden in vielen Bereichen genutzt. Neue und wirkungsvollere Waffen waren entwickelt worden, die nun neben traditionellem Schwert, Bogen und Lanze die Macht der Landmark stärkten.
Dennoch war man nicht nur zahlenmäßig im Nachteil.
„Stärke, Erfahrung und Geschicklichkeit entscheiden über das Schicksal eines Kämpfers“, hatte Nedeam seinem ersten Schwertmann, Lord Antarim, immer wieder eingeschärft. „Stärke können wir entwickeln, Geschicklichkeit erlernen, doch an Erfahrung fehlt es uns. Die erste große Schlacht gegen die Barbaren fand vor hundertfünfzig Jahren statt. Nur zwei der damaligen Kämpfer, mich eingeschlossen, leben noch. Keiner unserer Kämpfer ist dem Feind jemals begegnet. Stärke und Geschicklichkeit mögen noch so hoch sein, aber im Kampf wird ihr Herz über die Zukunft der Mark entscheiden. Der Feind wird in großer Übermacht auftreten und wenn unsere Männer bei diesem Anblick ihren Mut verlieren, dann ist alles verloren.“
„Keine Sorge, Hochlord, jedweder Mann, jede Frau und jedes Kind weiß um die Gefahr und wird tapfer kämpfen.“
Nedeam sah seinen Freund und Stellvertreter ernst an. „Antarim, mein Freund, viele Bewohner unserer Mark halten den Feind inzwischen für eine Legende. Vergiss nicht, dass der letzte Kontakt nun schon mehrere Generationen zurückliegt. Inzwischen erzählt man Geschichten über die Barbaren, um die kleinen Kinder zu erschrecken. Ja, man übt sich im Kampf, weil ich dies vom Volk verlange, doch selbst unsere Kämpfer glauben kaum noch an eine ernsthafte Bedrohung.“ Nedeam seufzte vernehmlich. „In solcher Situation muss ich abwägen, damit die Gefahr durch die Walven nicht zu einem reinen Schreckgespenst verkommt und dennoch ernst genommen wird. Daher habe ich manche Wehrübung nun als Wettbewerb gestaltet. Es braucht Raum für Freiheit und Vergnügen.“
„Darum habe ich keine Sorge.“ Antarim lachte unbeschwert. „In Städten und Weilern gibt es genug Entspannung und Grund zum Feiern. Unser Volk weiß das Leben zu nehmen.“
„Hm, ja, das tut es wohl.“ Nedeam stimmte in das Lachen ein.
Sie nannten sich das Pferdevolk, obwohl die Menschen der Landmark ursprünglich aus dem einstigen Königreich von Alnoa, den Marken des Pferdevolkes und den Sandclans der Wüste abstammten. Die Not hatte sie alle vereint und obwohl man die Bräuche der verschiedenen Ursprungsgruppen pflegte, hatten diese sich inzwischen so vermischt, dass sie sich als einziges Volk, dem der Pferde, empfanden.
„Übermorgen sollten wir Llaranea erreichen“, meinte Nedeam und dachte für einen Moment wehmütig an seine verschollene Tochter und seine geliebte Ehefrau Llaranya, deren Namen die Stadt ihr zur Erinnerung trug. „Vielleicht war dort inzwischen der Händler eines anderen Landes und es gibt Neuigkeiten zu erfahren. Ich bin froh, dass wir wenigstens mit dem Wasservolk der Antari unseren Frieden haben.“
„Nun, sie sind beinahe Menschen“, sagte Antarim und ließ damit erkennen, dass er, wie einige andere auch, gewisse Vorbehalte gegen die Wasserbewohner hegte. „Von ihren Kiemen und Schwimmhäuten einmal abgesehen.“
„Mein Freund, die Antari sind menschlich. Ich habe in meinem langen Leben gelernt, dass Äußerlichkeiten nicht über die inneren Werte entscheiden dürfen. Denkt an unseren Freund DanPharant, der im Augenblick über unsere Stadt Newam wacht, und an die Völker, die einst an unserer Seite kämpften, als die alte Heimat unterging.“
„Jene Völker, von denen die alten Legenden erzählen, habe ich nie kennengelernt. Der letzte Händler eines fremden Volkes fand vor einem halben Jahr zu unserem Hafen.“ Antarim blickte erneut aufs Meer hinaus. „Er berichtete, wir lägen fernab der Handelsrouten und wir schicken keine eigenen Schiffe hinaus, um das Meer und andere Länder zu erkunden.“
„Eines nicht so fernen Tages werden auch wir Schiffe aussenden“, versicherte Nedeam. „Doch die Sicherheit der Mark hat Vorrang. Was ist, mein Freund?“
Nedeam hatte bemerkt, dass der erste Schwertmann die Augen beschattete und in den Himmel starrte, während sich seine Haltung anspannte.
„Da ist etwas am Himmel, Hochlord. Ein großes Objekt, welches langsam näherzukommen scheint.“ Er warf Nedeam einen bedeutungsvollen Blick zu. „Ein fliegendes Objekt. Von Händen erschaffen.“
Nedeam folgte der Blickrichtung. „Bei den finsteren Abgründen, Ihr habt recht.“
Der Herr der Landmark wandte sich um und rief einem der Männer einen Befehl zu, die mit Vermessungsarbeiten befasst waren. Rasch eilte dieser herbei und überreichte Nedeam ein Langauge. Der zog das Teleskop auseinander und stellte es scharf.
„Eine Wolkenstadt“, murmelte der Herr der Landmark überrascht. „Es muss eine dieser fliegenden Städte der Zwerge sein. Wir haben noch nie eine zu Gesicht bekommen, doch der Händler aus dem fernen Reich Telan behauptete, dass es sie geben würde.“
„Ja, ich erinnere mich an seine Geschichte.“ Antarim grinste. „Allerdings nahm ich sie nicht ernst. Händler erzählen gerne aufregende Geschichten, um vom Preis des Handels abzulenken.“
„Hier, nehmt das Langauge, dann könnt Ihr sie selber sehen.“ Nedeam reichte die Sehhilfe an den Freund. „Die Zwerge werden Llaranea erkennen. Sie werden die Stadt zum Ziel nehmen, denn Zwerge wollen immer Handel treiben.“
„Dann sollten wir uns hier beeilen und möglichst bald aufbrechen“, schlug Antarim vor. „Ich bin neugierig, denn es wird meine erste Begegnung mit leibhaftigen Zwergen sein.“
4. Das Volk des Wassers
Ronla da Antari, Stadt des Wasservolkes der Antari, fünfzig Tausendlängen vor der Südküste der Landmark
Die Stadt lag in nur hundert Längen Tiefe. So reichte das Sonnenlicht aus, die Stadt und ihre Umgebung in ihrer ganzen Pracht zu zeigen. Ronla da Antari bestand aus einem weitläufigen Areal, in dem sich zahlreiche Kuppelbauten erhoben. Sie besaßen verschiedene Größen und die cremefarbenen Keramikkacheln der Außenhüllen waren an vielen Stellen mit Farbe versehen, was den Gebäuden ein individuelles Aussehen gab und teilweise auf deren Funktionen hinwies. Von Kuppel zu Kuppel zog sich ein Geflecht von Verbindungsgängen aus Klarstein entlang, die den freien Ausblick ins Meer erlaubten.
Ungefähr in der Mitte der Siedlung erhob sich der Schnorchel. Eine zehn Längen durchmessende hohle Säule, welche die Wasseroberfläche um zwanzig Längen überragte. Die dicke Ummantelung bestand auch hier aus Keramikplatten, die auf einem Gerüst aus Stahl fixiert waren. Eine einfache Mechanik setzte die Wellenkraft um und nutzte diese, um Atemluft bis zur Stadt hinunterzufördern.
In einem unregelmäßigen Kreis, ein Stück außerhalb der äußeren Gebäudekuppeln, waren die Masten der Lichtsammler aufgebaut. Die eigentlichen Sonnenkollektoren befanden sich über der Wasseroberfläche. Ein System