„ Bitte Mama, mach nicht solch ein bekümmertes Gesicht, die paar Kilometer die uns trennen bedeuten nicht, dass ich mit Ferry am Mond leben werde.“ Franzine verschwieg ihrer Mutter bewusst, das Ferry sie mit dem Motorrad abholen kommen wollte, Freya bekam jedenfalls ängstliche Zustände wenn sie auch nur ein Motorrad an ihr vorbei brausen sah.
„ Es ist nun so leer zu Hause, jedes Mal, wenn ich von den Gesangsstunden heimkommen werde, werde ich dein oftmals mürrisches Gesicht vermissen, ich weiß, die Zöpfe waren dir das schlimmste Gräuel dass ich dir auferlegt habe, aber ich wusste mir keinen anderen Rat, deine Schwester…..“ Zum ersten Mal nach langer Zeit versuchte Freya wieder über Dorothea zu sprechen. Franzine wandte den Kopf ab und tat so, als hätte sie es nicht gehört.
„ Nun, je früher du dich daran gewöhnst, umso besser, Mama, ich werde dich besuchen so oft ich kann“, Franzine hielt inne und stellte ihre Tasche ab. „ Ich weiß, dass es nicht das Günstigste ist mit seinen Schwiegereltern zusammenzuwohnen, aber es wird schon gehen, die Küche ist der größte Raum in der Wohnung, wir werden anfangs in dem weißen Bett schlafen, wir haben genügend Platz, mach dir da mal keine Sorgen. Wenn das Baby da ist, werden wir schon längst was gefunden haben.“ Freya nickte traurig.
„ Ist mir ohnehin lieber, ihr besucht mich, als dass ich zu euch rüberpendeln muss, oder, wenn du es dir einrichten kannst, auch mal alleine bei mir auftauchst, ich bin immer für dich da.“
„ Keine Sorge, es wird alles fantastisch werden, denke nicht zu viel darüber nach, mach es dir nicht so schwer, alles ist doch in bester Ordnung.“ Franzine, voller Optimismus und Freude nahm wieder ihre Tasche die ihr Freya wieder abnehmen wollte, sie sich aber weigerte und neugierig die Straße nach oben und nach unten abguckte.
Dann kam der Abschied, Franzine meinte, dass sie auch alleine auf den Bus warten könne. Auch Freya war zu der Überzeugung gelangt, das es besser wäre, nicht zur Busstation mitzukommen, das Warten an dieser Stelle würde nur noch mehr Schmerz bedeuten. Doch Freyas Bedenken stellten sich in dieser Minute als umsonst heraus, ein lautes Motorengeheul durchbrach die Luft. Ferry brauste heran um seine Braut am vereinbarten Treffpunkt abzuholen. Franzine winkte ihm heftig entgegen, er verlangsamte sein Tempo und blieb einige Schritte von den beiden Frauen entfernt, stehen. Freya war nicht glücklich über diese unvorhergesehene Überraschung, war sie doch in dem Glauben, Franzine würde bald im sicheren Bus sitzen die paar Stationen ruhig und bequem in ihren neuen Wohnort fahren. Dorthin, wo sie nun hingehörte, zusammen mit ihm, Ferry, der ihr noch immer ein unbehagliches Gefühl bereitete.
„ Auf Wiedersehen mein Kind, werde glücklich mit ihm“, schluchzte sie und drückte Franzine fest an sich. Ferry verfolgte lächelnd die Abschiedsszene, lehnte lässig am Motorrad und kaute an einem Zahnstocher. Zaghaft winkte sie ihm zu, was er ebenfalls zaghaft erwiderte.
„ Ich bin doch nicht aus der Welt Mama, wir werden uns sehr oft sehen, wir sind ja nicht weit von einander entfernt, das weißt du doch, komm, lächle wieder, bald bist du Großmutter“, glücklich drehte sich Franzine zu ihrem Mann um und strahlte aus vollen Zügen. Ferry grinste und wartete geduldig auf seine Frau, die nun für immer zu ihm gehören sollte. Eine riesige Staubwolke wirbelte hoch, als Ferry mit Franzine Richtung Jungberg losfuhr. Einige Kinder, die mit ihren Eltern an der entfernten Haltestelle warteten, winkten lachend dem Paar nach. Freya hustete stark als die aufwirbelnde Staubwolke in ihr Gesicht wehte, sah den Liebenden noch hinterher und drehte sich dann um, um sich gedankenverloren wieder auf den Heimweg zu begeben.
Sobald machte sich Franzine an die Arbeit, die Geschenke müssen noch sortiert und untergebracht werden, ordentlich verstaut in der kleinen Wohnung, wo sie nun mit ihren Schwiegereltern und ihrem frisch angetrauten Mann ihr Leben neu und voller Glück entgegensah. Fröhlich öffnete sie die noch original verpackten Schachteln, stellte alles neben sich auf den Boden und bemerkte Senta hinter sich, die ihr mit neugieriger Miene über die Schultern blickte. Neuen Hausrat, mit viel Liebe eingepackt, hatte sie wohl schon seit vielen Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. Senta zeigte ihr das Schlafzimmer, wo sie mit Tanno ihre Nächte und auch ihre Tage verbrachte. Franzine bekam 3 Fächer in einem Schrank zugewiesen der zwar nach abgestandenen Schweiß und altem Lack roch, ihr aber nicht viel ausmachte. Liebevoll legte sie die Sachen in die Fächer, hängte ihr Brautkleid sanft auf einem der abgenutzten Kleiderbügel, strich langsam über den weichen Stoff und lächelte zufrieden. Ferry war unten bei seinem Motorrad und versuchte seinem Fahrzeug ein schnelleres Tempo zu verleihen. Er frisierte sein Gefährt mit neuem Motor und schwungvoll gebogener Lenkstange, die nötigen Bestandteile dazu bekam er billig von einem Bekannten, der an einer Tankstelle zu vierzig Prozent Miteigentümer war. Kurz blickte sie aus dem Fenster und ihr Gesicht leuchtete voller Glücksseligkeit. Ihr Ehemann, der vertieft an seinem Motorrad bastelte, gab ein erotisches Bild ab. Mit seinem mit Motoröl verschmierten Overall, gebückt an den Rädern hantierend, mit Schraubenschlüsseln umherwerkend, wirkte er konzentriert in seine Arbeit, ernst bei der Sache. Das mochte sie und verfolgte seine Bewegungen einige Sekunden lang, genoss es, ihn leben zu sehen, ihn dann in die Arme zu schließen und ihn zu lieben, mit all ihrem Herzen und mit ihrem gesamten, geschmeidigen Körper.
Die erste Woche bei den Tennenbachs war nun glücklich überstanden, das Familienleben nahm seinen Lauf und Franzine genoss ihre Schwangerschaft in vollen Zügen.
Tanno zögerte nicht lange, als sie ihn darum bat, ein Bücherregal anzufertigen, denn sie empfand es als störend, dass die zahllosen Bücher vor und unter dem Bett herumlagen in denen Ferry oft wühlte und las. Nach der Arbeit begab sich ihr Schwiegervater gut gelaunt in den Schuppen gegenüber und sägte und schliff mit einer Hingabe, die sogar Senta in überraschendes Staunen versetzte. Nach ein paar Stunden präsentierte er ihr sein vollbrachtes Werk. Sorgfältig zugeschnittene Kieferholzbretter, in die Tanno mit einem alten Bunsenbrenner, laienhafte Intarsien gebrannt hatte. Blumenmotive überquerten die Mitte des Brettes, an den Rändern fügte er Wellen, Kreise und Quadrate ein. Freudig bedankte sich Franzine bei Tanno mit angehauchten Küsschen an seinen beiden mit tiefen Furchen durchzogenen Wangen. Die traurigen Heiligenbilder über dem Bett wurden abgenommen und Tanno befestigte das Regal an dieser Stelle. Ferry wollte nicht auf seine Bilder verzichten, so sollten sie über dem Kopfteil des Bettes angebracht werden. Franzine erklärte sich einverstanden, so hatte sie den todesnahen Jesus nicht in ihrem Blickfeld wenn sie mit Ferry im Bett lag. Im Freudentaumel richtete Franzine die Ecke ein, die für sie und Ferry ein kleines Paradies bedeuten sollte. Eine neue lila Tagesdecke, mit zahllosen Rüschen wurde über das Metallbett geworfen, schlichtete sorgfältig die Bücher auf das Regal, auch den Band von Kleist, „Michael Kohlhaas“, dass ihr Ferry geschenkt hatte, stellte sie neben den anderen Autoren in Griffweite. Bald würde sie die Zeit haben, um es endlich zu lesen, schließlich schwärmte Ferry förmlich von diesen mörderischen Helden. An den freien Plätzen neben den Büchern fanden kleine Blumenvasen ihren Platz, oder schön gestaltete Porzellanfiguren von zu Hause, die ihr Freya oftmals zum Geburtstag schenkte. Das Plastiktischtuch am Tisch neben dem Bett musste einer schön gemusterten Damastdecke weichen, das Radio bekam einen „Kopfschmuck“, das aus einem Gesteck mit edlen getrockneten Gräsern bestand. So allmählich stach die kleine Schlafecke wie eine blühende Oase hervor, liebevoll gestaltet, hatte sie keine Ähnlichkeit mehr mit der übrigen Küche. Franzine drapierte zierliche farbenfrohe Kissen entlang des Bettes, schüttelte sie immer wieder auf und reihte sie dann wieder aneinander. Dann rollte sie den abgetretenen Fleckerlteppich auf und bereitete einen Selbstgeknüpften mit farbenfrohen Blumenmotiven Schurwollteppich aus, den sie in der letzten Klasse mit viel Mühe angefertigt hatte. Sie riss das Fenster auf und warf den alten in den Hof hinunter. Dabei bemerkte sie anfangs nicht, dass Senta, während sie am Herd stand, die Hände in die Hüften stemmte und ihr feindselige Blicke zuwarf, die Mundwinkel nach unten gezogen, den Kopf schüttelnd wieder den Kochlöffel schnappte und im Suppentopf rührte.
„Warum hast du den Teppich runter geworfen, die Nachbarn haben es nicht gerne wenn ihnen der Staub durch das Fenster reinkommt.“ Franzine, die verwundert ihre Schwiegermutter betrachtete, ließ sich durch Sentas barschen Tonfall nicht entmutigen.
„Du siehst doch selbst, dass dieser hier