Abelia und die Mönchsrobbe. Cordula Hamann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cordula Hamann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847633624
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ins weite Meer, weg von der Gruppe und außer Sichtweite der Küste. Doch dann merkte ich, dass es meinem Herrn am wenigsten half, wenn ich verhungern oder von Fischernetzen gefangen würde. Ich musste wenigstens irgendetwas tun. Ich begann, allen Meeresbewohnern meine Geschichte zu erzählen und sie zu fragen, ob sie eine Lösung wüssten. Ich traute mich sogar, einen einsamen Fischer in einem kleinen Boot zu fragen. Er sah mich zwar erst erstaunt an. Aber dann erzählte er mir seine Geschichte, die nicht minder traurig war wie Eneas’ und meine. Er sei mit seinem erwachsenen Sohn in einer absolut windstillen und klaren Vollmondnacht zum Fischen hinausgefahren. Sie hätten geredet und gelacht und dann wären sie, auf den Morgen und ein hoffentlich volles Netz wartend, eingeschlafen. Als er aufgewacht sei, sei der Sohn verschwunden gewesen. Voller Verzweiflung wäre er in das Wasser gesprungen und hätte überall nach ihm getaucht. Doch vergebens. Seitdem sei er nie wieder bei windstiller Vollmondnacht hinausgefahren. Auch an Land suchte er seinen Sohn, in der irrsinnigen Hoffnung, er hätte es vielleicht schwimmend an Land geschafft. Alte Fischer hätten ihm erzählt, dass nur in einer solchen Nacht die Türen des Palastes der bösen Fee für Tier und Menschen offen stünden und es deshalb sehr gefährlich sei, auf Meer hinauszufahren.“ Abelia hatte während der Erzählung zum Himmel geschaut. Die Sonne stand kurz vor ihrem Untergang und am anderen Ende des Horizontes konnte sie klar die Mondsichel erkennen. Es war heute also kein Vollmond.

      „War eine solche Nacht auch, als sie deinen Herrn holte?“, fragte sie und die Robbe nickte. Lazarro bellte mit einem Mal fordernd Almut und sein Frauchen an.

      „Was will er?“, fragte Abelia.

      Doch die Robbe hörte offenbar erst aufmerksam dem Hund zu, bevor sie antwortete: „Lazarro meint, dass wir nur warten müssten bis zur nächsten windstillen Vollmondnacht und dann würde er mich begleiten und wir könnten meinen Herrn befreien.“

      „Tapferer Lazarro“, lobte Abelia und pflichtete ihm bei: „Das ist eine gute Idee und ich komme auch mit. Gemeinsam schaffen wir das.“

      „Ihr seid sehr mutig. Aber es geht nicht. Ihr wärt allein. Ich könnte als Robbe nicht in den Palast. Ich muss erst das Zaubergegenmittel finden. Dann, wenn ich wieder eine große Dogge wäre, hätten wir vielleicht eine Chance.“ Almut tauchte kurz unter Wasser, um sich den Sand aus dem Gesicht zu waschen. Als sie wieder auftauchte, wirkte sie entschlossener und zuversichtlicher.

      „Ein Delfin erzählte mir, dass es in Huera eine gute Fee gebe, deren Zauberkraft um ein Vielfaches stärker sei als die Tommas’. Nur, Huera liegt nicht am Meer. Wie soll ich dorthin kommen?“

      Dieses Mal brauchte Abelia keinen Dolmetscher. Sie sah ihren Hund an und eine feste Erwiderung ihres Blickes aus seinen großen braunen Augen überzeugte sie, dass sie beide das Gleiche dachten. „Wir werden es für dich holen.“

      „Es könnte gefährlich sein. Und wie willst du allein dorthin gelangen? Und …“

      Abelia unterbrach die Robbe. „Ab morgen habe ich große Ferien. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Keine Sorge. Und jetzt erzähl alles ganz genau, was du über diese gute Fee weißt.“

      Der Aufbruch

      „Was heißt das: Du fährst nicht mit uns in die Ferien?“, brauste die Mutter auf.

      „Was willst du denn nur machen, Kind?“, fragte der Vater besorgt.

      „Onkel Pete passt auf mich auf. Ich könnte im Garten spielen, mich mit meinen Freundinnen treffen. Wisst ihr eigentlich, dass Marie und Susanne auch nicht verreisen. Ich könnte sie besuchen oder …“

      „Ich versteh dich nicht. Bei der Tante in den Bergen hat es dir doch immer gefallen“, unterbrach sie die Mutter und Abelia spürte, dass sie auch ein wenig beleidigt war, dass ihre Tochter das Alleinsein vorzog.

      „Hat es doch auch, Mutter“, besänftigte Abelia sie. „Aber diese Ferien möchte ich einmal hier zu Hause verleben.“

      „Aber so allein. Kind, ich mache mir Sorgen“, gab der Vater zu bedenken.

      „Onkel Pete ist doch da. Vater, vertraust du mir?“

      Onkel Pete arbeitete schon seit Abelias Geburt auf dem Hof der Eltern. Er war so lieb, dass er für Abelia wie einen zweiter Vater geworden war. Ihm erzählte sie alle Geheimnisse, die sie den Eltern besser verschwieg. Der Vater zögerte nur kurz und nickte dann.

      „Dann ist alles gut. Ich wünsche Euch schöne Ferien. Grüßt mir die Tante schön, ja“, nutzte Abelia fröhlich das kurzfristige Schweigen der Eltern und schon war sie aus dem Zimmer.

      Sichtlich schweren Herzens fuhren die Eltern sehr früh am nächsten Morgen allein in die Ferien. Abelia schlief noch. Als sie wach wurde, fand sie einen Zettel ihrer Mutter vor: „Meine liebe Abelia, noch ist genug Essen und Trinken im Haus. Pete wird, solange wir weg sind, im Haus Gästezimmer schlafen. Er wird dir auch Geld geben, wenn du neues brauchst. Geh sorgsam damit um und verliere es nicht. Und geh auf gar keinen Fall in der Dunkelheit allein hinaus. Onkel Pete wird dich abholen, wenn du länger bei deinen Freundinnen bleibst. Ich habe mit Susannes und Maries Mutter gesprochen. Die Mädchen dürfen auch mal hier bei dir schlafen. Bis bald. Pass gut auf dich auf. Deine Mama.“

      Abelia erschrak. Sie hatte gehofft, die Mutter würde das Geld zum Einkaufen dort lassen, wo sie es immer hatte: in der alten unansehnlichen Schachtel im Küchenschrank. Woher sollte sie nun das Fahrgeld für den Zug nach Huera nehmen? Sie hatte etwas Taschengeld gespart, aber bei weitem nicht genug. Huera lag fünfhundert Kilometer entfernt und entsprechend teuer war die Fahrkarte. Trotzdem. Es musste sich irgendein Weg finden, um der armen Almut zu helfen. Schnell, bevor Onkel Pete zum Frühstück herunterkam, griff Abelia nach Zettel und Stift: „Lieber Onkel Pete. Bitte vertrau mir und verrate mich nicht. Ich muss etwas sehr wichtiges erledigen. In spätestens drei Tagen bin ich wieder da. Bitte, bitte, sag meinen Eltern nichts und mach dir keine Sorgen. Ich nehme Lazarro mit. Ich hab dich lieb. Deine Abelia“

      Sie rief ihren Hund. „Komm, lass uns packen; mir wird schon etwas einfallen.“

      Nachdem sie auch das Gartentor hinter sich zugezogen hatte, lief sie zielstrebig in Richtung Hauptstraße. Lazarro bellte hinter ihr und blieb immer wieder stehen. Sie spürte, dass er mit ihrem Aufbruch nicht einverstanden war. Doch sie ging festen Schrittes weiter. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als hinter seinem Frauchen herzutrotten. „Es wird sich schon eine Möglichkeit finden. Du wirst schon sehen“, ermutigte sie Lazarro, sein Ohren nicht so hängen zu lassen.

      Nach zwanzig Minuten hatten sie die Hauptstraße erreicht, die im großen Bogen um ihr Dorf herumführte. Sie stellte sich direkt an die Bordsteinkante, hob den Arm mit einem ausgestreckten Daumen in die Höhe und blickte fröhlich dem mäßig fließenden Verkehr entgegen. Sie musste nicht lange warten, bis der Fahrer eines kleinen Lastwagens anhielt. Er hatte auf der offenen Ladefläche Obstkisten geladen. Ein gewohntes Bild, denn es gab viele Bauern in der Gegend. Ein freundlicher junger Mann hieß sie willkommen, doch als er den Hund sah, sagte er: „Nein, mein Fräulein, der Hund muss nach hinten. Hier vorne kommt mir kein Viech herein.“ Abelia warf Lazarro einen entschuldigenden Blick zu, aber der sprang bereits verständnisvoll auf die Ladefläche und suchte einen geschützten Platz zwischen den Kisten. „Mein Hund ist kein Viech“, murmelte sie, als sie in die Fahrerkabine auf den Beifahrersitz kletterte. Sie durfte nicht zu unfreundlich sein, denn schließlich sollte der Fahrer sie möglichst weit ihrem Ziel entgegenbringen. Also grinste sie ihn gleich nach ihrem Widerspruch freundlich an. Der junge Mann schüttelte nur lachend den Kopf und fuhr los.

      Er war auf dem Weg, einen Teil seiner Ernte auf dem großen Markt der nächsten Stadt an Händler verkaufen, die die Ware dann weiter in andere große Städte oder außer Landes brachten.

      „Warum verkaufst du nicht das Obst auf unserem Markt?“, fragte sie erstaunt. „Warum fährst du hundert Kilometer dafür?“

      Er lachte wieder. „Weißt du, wie viele Bauern es hier in der Gegend gibt? Und wie wenig Menschen in den Dörfern und kleinen Städten um uns herum wohnen? Auf unserem Markt könnte ich nicht ein Zehntel meiner Ernte verkaufen. Nein, das ganze Land