Der Tag verlief in der Tat recht gemächlich und die beiden konnten ihren Fokus auf die Details legen. Sie machten die Besorgungen gemeinsam und schauten auch noch bei der Werkstatt vorbei, ob es mit der Lieferung klappen würde. Da sie nun schon einmal in der unteren Schicht waren, suchten sie sich eine nette Taverne, genossen die sommerliche Abendluft und ließen sich mit zahlreichen likischen Spezialitäten verwöhnen. Es war ein wunderschöner Abend und Bajo fühlte sich so gut und so stark wie nie zuvor. „Ich bin dir wirklich dankbar, Toppi. Nicht nur, weil du mich in die Stadt eingeladen hast, sondern weil ich mich bei dir so wohlfühle!“, begann Bajo und Topao empfand ebenso: „Das freut mich! Aber glaube mir, es geht mir genauso! Dass du mich so tatkräftig unterstützt hast, ist die eine Sache. Aber ich habe das Gefühl, als würde ich endlich mal wirklich mit jemandem zusammen etwas schaffen. In der Regel muss ich mich mit den Leuten, mit denen ich arbeite, eher abplagen. Und dabei hast du nicht ein einziges Mal danach gefragt, was du als Entlohnung bekommst.“ „Warum auch?“, fragte Bajo, „Für mich ist das ein kleines Abenteuer und nur darauf kommt es mir an. Ich habe eine Stadt gesehen, in die man nicht so einfach reinkommt, schon gar nicht bis zur vierten Ebene. Ich habe daran mitgewirkt, ein königliches Palais neu zu gestalten, das hat mir viel gegeben. Ich habe dich kennengelernt und da bin ich sehr, sehr froh drum. Wenn du so willst, hast du mich mit Glück entlohnt!“ Topao wurde auf einmal ganz ernst. Er machte die Augen weit auf, zog die Augenbrauen nach oben, beugte sich langsam zu Bajo herüber und raunte: „Nicht, dass du am Ende ein Kirchenmann bist, der mich bekehren will!“ Topao hatte plötzlich ein übertrieben entsetztes Gesicht aufgesetzt und fiel kurz darauf in Bajos Lachen ein. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, fügte Topao hinzu: „Das wir es uns jetzt noch einige Tage lang gut gehen lassen können, ist ein Geschenk des Schicksals, denn dir nur einen Teil meines Lohns abzugeben, erscheint mir einfach zu wenig. Und wer weiß, vielleicht schaffen wir es auch noch, in die Palastebene zu kommen, dann hast du tatsächlich die ganze Stadt gesehen.“
Sie brauchten noch vier weitere Tage, dann war das Werk vollendet. Am frühen Morgen des darauffolgenden Tages kam der Gärtner und kümmerte sich im großen Innenhof um die Pflanzen. Auch eine Putzkolonne traf ein und brachte das Palais endgültig zum Strahlen. Räucherstäbchen und kleine Wannen mit Duftölen gaben der Atmosphäre den letzten Schliff. Am Nachmittag waren alle wieder gegangen und die beiden Männer saßen zufrieden auf dem breiten Geländer der Treppe, die in den Garten führte, und blickten in die Ferne. „Zur Belohnung spendiere ich uns heute ein Dampfbad mit Massage in den großen Bädern in der untersten Schicht. In der Zwischenzeit lassen wir unsere Kleider reinigen und dann gibt es das große Abschlussessen“, kündigte Topao an. „Eine Massage? Das ist eine tolle Idee! Da lassen wir uns dann auch runderneuern. Und wenn ich den Wunsch äußern darf, ich würde heute gerne marabisch Essen gehen, ich denke da an die Taverne an der Ecke vom Teppichbazar und der Hauptstraße“, bat Bajo. „Dein Wunsch ist mir Befehl! Na dann lass uns los“, rief Topao zum Aufbruch.
Das Hammam war wirklich eine Wohltat; Baden, Dampfbad, Massage und dann noch Maniküre und Pediküre. Ein Barbier machte sie wieder zu ansehnlichen, stattlichen Männern und pünktlich trafen dann auch ihre frisch gereinigten Kleider ein. Auf dem Gang zur Taverne zogen die beiden eine beachtliche Duftwolke hinter sich her und die eine oder andere Dame machte ihnen schöne Augen.
Wieder war es ein lauer Frühsommerabend und so aßen sie natürlich draußen. Während mehrerer Gänge redeten und scherzten sie ausgiebig, als müssten sie die spärliche Konversation des letzten Monats an einem einzigen Abend nachholen. Bajo hielt sich mit Erzählungen aus seiner Vergangenheit bewusst zurück und ließ dafür Topao etwas aus seinem Leben berichten. Dieser hieß mit Nachnamen Mukarra, war nicht verheiratet und musste, da sein Vater früh verstarb, schon in jungen Jahren Geld verdienen. Er war viel herumgekommen und erzählte eine Anekdote nach der anderen. Bajo hörte fasziniert zu und bewunderte Topaos Erlebnisreichtum. Allerdings kam auch zum Vorschein, dass dieser doch schnell mal die Geduld oder die Lust verlor und sich dann abrupt der nächsten Sache widmete. „Eine Frau an meiner Seite würde mein Leben nicht aushalten. Wenn’s mich juckt, dann bin ich von heute auf morgen in einer anderen Stadt und versuche dort mein Glück!“, gab Topao selbst zu bedenken. „Aber manchmal sehne ich mich doch nach ein wenig mehr Beständigkeit. Vielleicht sollte ich mir ein Weib suchen, das mich zähmen kann.“ „Keine Chance, Toppi!“, wandte Bajo ein, „Die Frau, die dein Temperament in den Griff bekommt, muss erst noch geboren werden.“ Dem stimmte Topao zu: „Eben! Und meine Freiheit ist mir auch sehr wichtig. Nein, nein, ist schon in Ordnung so. Und wenn ich mal Gelüste kriege…“, er schaute Bajo plötzlich mit gierigen Augen an, „…dann weiß ich ja, an wen ich mich zur Not halten kann…“ Mit sabberndem Mund und heraushängender Zunge griff er jetzt immer wieder nach Bajo, der sich laut kichernd zur Wehr setzte. Topao machte daraufhin auch noch grunzende Geräusche, umklammerte ihn und versuchte ihm seine gespitzten Lippen ins Gesicht zu drücken. Bajo bekam zwischen lautem Gegacker und dumpfen Hilferufen kaum noch Luft. Erst als ein Glas umfiel und sich einige Leute kopfschüttelnd zu ihnen umdrehten, hörte Topao mit seinen Späßen auf: „Na komm, wir gehen heute ins Amüsierviertel und lassen es richtig krachen!“ Er legte dem Wirt die Zeche mit reichlich Trinkgeld hin und schob Bajo zum Ort der Laster vor sich her, wobei er seltsame malikische Lieder sang. Jetzt schlug der halbe Krug Wein, den Topao sich zum Essen gegönnt hatte, anscheinend doch etwas durch. Bajo, der sich in seiner Gesellschaft pudelwohl fühlte, brannte nun schon darauf, sich ein Mädchen anzulachen.
Als sie um eine Ecke bogen und Bajo gerade versuchte, wenigstens den Refrain von Topaos Lied mitzusingen, fiel sein Blick über die Menschenmenge hinweg auf eine Seitentreppe, wo eine Frau stand. Augenblicklich erstarrte er, denn die Frau war dieselbe, die er in Kontoria verfolgt hatte! Sie richtete einen durchdringenden Blick auf ihn, hob den Zeigefinger und schwang ihn hin und her, was eindeutig bedeutete: „Tu es NICHT!“ So deutete es Bajo jedenfalls, was auch immer damit gemeint war. Gleich darauf rissen ihn Topao und die Menge weiter, sodass er den Blickkontakt verlor. Eilig machte er sich von Topao los und drehte sich erneut zur Seite, doch die Frau war nicht mehr da. Verzweifelt versuchte Bajo gegen den Strom in Richtung der Treppe zu gelangen, aber es war vergebens, er konnte sie nirgends sehen - sie war fort. „Hey, was ist denn los?“, fragte Topao, schon ahnend, dass etwas nicht stimmte. „Wir sollten umkehren und nach Hause gehen! Ich kann dir das jetzt nicht erklären, aber wir müssen hier weg, sonst wird etwas passieren“, brachte Bajo hervor. Topao zuckte mit den Schultern: „Schade, wo es doch gerade erst so richtig losgehen sollte. Aber wenn du meinst…“
Somit machten sie sich auf dem direkten Weg in die vierte Schicht, zurück zum Palais. Bajo schossen die Gedanken kreuz und quer durch den Kopf. Wo kam die Frau plötzlich her? Wovor hatte sie ihn gewarnt? Ganz sicher meinte sie ihn, das stand außer Frage. Und das Gefühl erst! In dem Augenblick, als er sie erkannte, wusste er, dass es was Bedeutsames war.
Oben angekommen entschuldigte sich Bajo für seine abrupte Umkehr. „Haste wohl doch kalte Füße bekommen, was?“, versuchte Topao zu scherzen, aber er merkte, dass Bajo wirklich mitgenommen war und verabschiedete sich ins Nachtlager.
Am nächsten Tag fühlte sich Bajo etwas gerädert, er hatte schlecht geschlafen, immer wieder musste er über die Begegnung mit der Frau nachdenken. Er war sich nur sicher, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, nach Hause umzukehren. Ansonsten konnte er sich keinen Reim auf die Sache machen. Noch war