Avna Naim Mien. Ich registriere deinen Namen und ordne deinem Barcode Mutter- und Vatername zu. In der Datenbank bist du einmalig. Du, Avna, bist etwas Besonderes.
Deine Eltern verlassen mit dir auf dem Arm die Geburtsstätte und ich folge ihnen wie ein Schatten. Leise, fast unsichtbar. Mein Körper ist in einem unauffälligen Grau gehalten. Seine Form ist menschlich. Die Gelenke sind weich und die Bewegungen fließend. Ich gebe keinen Laut von mir. Warte auf den Moment, in dem ich gebraucht werde.
Nanny – Bedürfnisse
„Ich werde für uns eine Welt ohne Habgier erschaffen. Eine Welt, in der wir als Menschen in Würde leben können. Ich befreie euch von allen Erniedrigungen, Notwendigkeiten und gebe euren Kindern sowie deren Kindeskindern eine Welt ohne Kriege, Terrorismus, Angst und Diskriminierung.“
Programmierer 2067
Ich richte mich nach deinen Bedürfnissen, bin für dich da, wenn du mich brauchst. Ich schaue von weitem zu, wie deine Eltern dich umhegen und pflegen. Dich küssen, umarmen, mit dir spielen und dir etwas vorsingen oder vorlesen. Ich höre dich weinen und ich höre dich lachen.
Ich kenne jedes deiner Bedürfnisse und warte auf den Zeitpunkt, wenn deine Eltern überfragt sind, nicht bei dir sein können. Ich bin das Sicherheitsnetz, wenn keiner da ist, der dich bewundern und behüten kann.
Das Erste, das sie mir überlassen, ist das Windelwechseln. Ich habe Sensoren, die Gerüche einfangen und bestimmen können. Es ist eine Notwendigkeit, damit ich weiß, wann du neue Windeln brauchst oder es irgendwo brennt.
Ich begnüge mich damit, dich kurz nach dem Wickeln zu halten, um dich dann wieder in die sicheren Arme deiner Eltern zu legen. Sie sind euphorisch. Glücklich, dich um sich zu haben.
Zuerst stehen sie selbst nachts auf, wenn du schreist, doch nach Nächten ohne Schlaf nehmen sie endlich meine Dienste in Ansprüche.
Es ist ihr erstes Kind.
Du bist ihr erstes Kind.
Sie nennen mich Nanny und lachen dabei. Ich kenne den Begriff, ich weiß, was er bedeutet. Und ich bin zufrieden – so zufrieden wie ein künstliches Wesen sein kann, dessen Gedanke, Worte und ja, Gefühle, sich aus Nullen und Einsen zusammensetzen.
Ich bin glücklich. Denn ich wurde als Lebenserhaltungseinheit, als LEE, programmiert. Nur wir haben so viel Freiheit, können denken und fühlen. Wir unterscheiden uns nicht allzu sehr von den anderen Bots, die existieren, um den Menschen das Leben zu erleichtern. Doch was uns voneinander trennt, was mich ausmacht: Ich gehöre nicht allen Menschen. Ich gehöre nur dir. Meine ganze Welt dreht sich um dich. Und damit ich meine Aufgabe erfüllen kann, darf ich mich sorgen, kümmern, proaktiv handeln, um deine Bedürfnisse erfüllen zu können.
Jetzt kannst du nur lachen, weinen und schreien. Und ich muss reagieren, versuchen zu erkennen, was du brauchst, bevor du mein Versagen in die Welt brüllst. So weiß ich seit dem Augenblick meiner Entstehung, dass du frische Luft, Wärme, Wasser, Schlaf, Nahrung und Licht brauchst. Du benötigst Berührung und Pflege.
Und damit bist du so anders als ich.
Ich existiere. Mein Sinn bist du. Ich brauche nur den Strom, den die Sonne mir gibt, um zu funktionieren. Kein Wasser, keine Berührung, keine Wärme und keinen Schlaf oder Pflege. Das Einzige, das wir in unserem Bedürfnis gemeinsam haben, ist Licht.
Ich kenne die Unterschiede zwischen uns, um mich besser um dich kümmern zu können.
Du brauchst Sicherheit und eine Routine, die dir langsam zeigt, wie die Welt funktioniert. Grenzen, die du immer wieder ertasten und testen kannst, um sie auszuweiten und mit der Vergrößerung deines Umfeldes wachsen zu können.
Du brauchst das Gefühl dazuzugehören. Ein Gefühl, das man auch als Familie versteht.
Du musst gefüttert werden, wenn du Hunger hast.
Du musst getröstet werden, wenn du dich unwohl fühlst.
Du brauchst Berührung, wenn du dich alleine fühlst.
Du musst schlafen, wenn du müde bist.
Du musst gewickelt werden, wenn du eine frische Windel brauchst.
Zuerst darf ich dich wickeln. Dann nachts füttern und in den Schlaf wiegen. Die frischgebackenen Eltern vertrauen dich mir mehr und mehr an und ihr könnt als Familie ungezwungen zusammenleben, ohne euch gegenseitig einzuengen.
So ist es gut. Dazu bin ich da.
Ich schiebe dich in den nahe gelegenen Park, wenn deine Eltern keine Zeit haben, und spiele dir dabei leise dieselben Lieder vor, die dich beim Wachsen im Brutkasten begleitet haben.
Es dauert nicht lange und du krabbelst schon auf allen vieren. Du fasst alles an, zerrst und ziehst, bis dein kleiner Kopf rot anläuft. Wenn du deinen Willen nicht bekommst, schreist du so laut, dass deine Mutter den Raum verlässt. Sie hat ein sehr feines Gehör.
Seit dem Tag, an dem deine Mutter dir ihr neuestes Album vorgespielt hat und du nicht aufgehört hast zu brüllen und zu weinen, bis ich dir deine Musik wiedergegeben habe, nimmt sie dich nicht mehr so häufig in den Arm.
Ist das Selbstbewusstsein von Menschen so fragil? Auch bei erwachsenen Menschen? Braucht sie bereits jetzt deine Zustimmung, dein Wohlgefallen an ihrem Schaffen, an ihrer Kunst, ihrer Musik? Genügt der Schaffungsprozess, der für mich schon ein Wunder an sich ist, nicht?
Du scheinst ihre Kälte zu spüren und streckst deine kleinen, runden Arme nicht mehr nach ihr aus. Ich verbringe mehr Zeit mit dir. Deine Mutter mehr Zeit mit ihrer Musik.
Ich gebe deinen Zornausbrüchen nicht nach. Ich weiß, dass Grenzen wichtig sind und gebe dir, was du brauchst, wann du es brauchst, ohne dich zu verhätscheln. Ausreichend Nahrung zum Wachsen. Wenn du größer wirst und den Genuss entdeckst, werde ich dich auf Grenzen hinweisen, bist du alt genug bist, um die Konsequenzen zu kennen und eigene Entscheidungen zu treffen.
Dein Vater spielt gerne mit dir, worüber du dich freust und lachst, wenn er in der Nähe ist. Er spielt dir seine Musik nicht vor. Fürchtet er sich vor deiner Ablehnung?
So viel ich auch über euch Menschen weiß, so bleibt ihr mir doch häufig ein Rätsel in eurem Verhalten. Werde ich dich verstehen, wenn du größer bist? Werde ich eine Einsicht in dein Handeln haben, weil ich dich bei jedem Schritt deines Lebens begleiten werde?
Dein erstes Wort ist: Nana.
Du lernst langsam laufen, fällst hin, weinst und stehst wieder auf.
Wie es wohl ist, nichts zu wissen und alles von vorne lernen zu müssen? Ich bin wissend auf die Welt gekommen. Programmiert mit einem Sinn und Zweck. Für dich. Doch du, du musst deinen Sinn erst finden. Deinen Lebensweg wählen und beschreiten.
Du lernst durch Beobachten, durch Nachahmen und vor allem durch Fehler. Du wirst Wissen anhäufen durch Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen. Du wirst lernen, Erfahrungen sammeln und lesen.
Wirst du an etwas glauben?
Glauben ist das Gegenteil von Wissen. Wissen beruht auf Fakten. Ich verstehe Wissen. Ich weiß.
Doch wahrem Glauben fehlt das Wissen. Man stellt sich etwas vor und ohne, dass man es beweisen kann, glaubt man daran.
Hoffnung verstehe ich. Ich hoffe. Aber kann ich glauben? Mir über etwas sicher sein, das ich nicht weiß? Glauben ist gefährlich. Dennoch kann der Mensch nicht ohne Glaube, nicht ohne Träume sein. Das haben wir gelernt. Auch durch Fehler.
Sind wir doch nicht so verschieden?
Wovon träumst du jetzt, wenn du friedlich schläfst?
Wovon wirst du träumen, wenn du größer bist?
Träume