„Lasst es gut sein.“ Eine leichte Röte überzog sein Gesicht. „Kann ich Euch sonst irgendwie behilflich sein?“
„Nein. Nein, ich muss gehen. Grüßt ihn von mir und richtet ihm aus, dass ich sehr wütend wäre, wenn er Euch töten würde, ja?“ Er nickte bedächtig.
„Gerne. Denn dann würden wir nie erfahren, was das ist, wenn wir uns berühren. Au revoir, Marie Seurant. Bis zum nächsten Mal.“ Er verbeugte sich und lief mit schnellen Schritten davon.
Mein Blick ging ein letztes Mal zu Fort Carré hinauf und ich spürte das Ziehen, das meiner Heimreise vorausging. „Au revoir, Napoleone“, murmelte ich und kehrte in die Gegenwart zurück.
„Was war das? Was ist da passiert, als du Tristan Berière berührt hast?“
Marie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. So etwas habe ich noch nie erlebt. Als wäre alles in diesem Moment an die richtige Stelle gefallen. Wie, wenn es im Kopf klick macht und alles auf einmal einen Sinn ergibt. Nur dass ich es körperlich gespürt habe und er auch.“
„Mmmh, und du weißt sicher nicht, wer der Mann ist?“
„Keine Ahnung.“
„Ich finde das zu merkwürdig, um es zu ignorieren.“
„Ich auch, aber was soll ich machen? Ich weiß nicht, wer er ist und ich finde nichts über ihn.“
„Frag ihn, wenn du wieder träumst! Frag ihn, wer er ist.“
Marie biss sich auf die Lippen. „Ich weiß nicht. Das, was eben passiert ist, macht mir Angst. Dieses Gefühl ...“ Marie suchte nach Worten. „Es war so allumfassend.“ Sie schloss die Augen. „Weißt du, warum ich nicht mit Napoleone reden wollte?“, fragte sie leise. Ohne auf eine Antwort zu warten, sprach sie weiter: „Ich wollte dieses berauschende, wundervolle Gefühl vergessen, das Tristan in mir ausgelöst hat. Ich wollte Napoleone und nicht diesen fremden Mann.“
Anna machte große Augen. „So heftig war das?“
„Ja. So heftig war das. Wenn ich daran denke, flattert mein Herz, meine Haut prickelt und meine Hände zittern.“
„Vielleicht soll dir das die Zukunft erleichtern?“
„Wie denn das?“
„Was geschieht als Nächstes?“
„Jetzt trifft er Joséphine.“
„Und was wird dann mit dir?“
Ein sichtbarer Schauer überlief Marie. „Ich weiß nicht.“
„Soweit ich das verstehe, steht er an einem Wendepunkt seines Lebens.“
„Es beginnt,“ flüsterte Marie.
„Was beginnt?“
„Napoleone wird zu all dem, was du gesagt hast. Die kommenden Ereignisse in Paris ...“ Marie stockte.
„Was ist in Paris?“
Seufzend bedeckte Marie ihre Augen und flüsterte: „Er wird mit Kanonen auf die Pariser Bevölkerung schießen lassen. Schlimmer: Er wird die Kanonen mit Schrott füllen lassen, um mehr Schaden anzurichten.“
„Uh, das ist nicht schön.“
„Ich weiß, dass er Soldat ist. Und ich weiß, dass er ohne Skrupel tötet. Verdammt, es ist auch kein Problem, wenn das ein längst verstorbener Mann in einem Geschichtsbuch tut. Aber mein Mann?“
Anna zog ihre Cousine an sich. „Vielleicht musst du das alles ja gar nicht erleben. Vielleicht gibt es deshalb Tristan?“
Mit einer heftigen Bewegung befreite sich Marie aus der Umarmung. „Ich will das erleben, verdammt! Ich will erleben, wie seine Träume wahr werden, will sehen, wie er die Probleme in Angriff nimmt und löst!“ Tränen traten in ihre Augen.
„Oh, Marie!“
„Und wenn ich daran denke, was Joséphine ihm antun wird ...“ Sie schloss die Augen und schnäuzte sich.
„Soweit ich mich erinnere“, sagte Anna vorsichtig, „ist oder besser war er ihr hoffnungslos verfallen, liebeskrank.“
„Das stimmt.“
„Warum er sie geheiratet hat, ist klar. Er war ihr verfallen. Aber warum hat sie ihn genommen?“ Annas Hoffnung, Marie durch Fragen auf andere Gedanken zu bringen, funktionierte.
„Sie wollte versorgt sein. Nach der Revolution hatte ihr Wohl und das ihrer Kinder immer von ihren Liebhabern abgehangen. Ich denke, dass sie die Sicherheit einer Ehe geschätzt hat.“
„Er hatte doch nichts. Er war arm wie eine Kirchenmaus, oder?“
„Ich denke schon. Es gibt da dieses unschöne Gerücht, dass Barras sie zu der Ehe gedrängt habe.“
„Wer war nochmal Barras?“
„Französischer Staatschef. Vorsitzender des Direktoriums und Joséphines Geliebter. Es gab Gerüchte, dass er die teure Geliebte loswerden wollte. Das Oberkommando über Italien soll für Napoléon das Hochzeitsgeschenk von Barras gewesen sein - eine Art Mitgift.“
„Glaubst du das?“, fragte Anna skeptisch.
„Ich weiß nicht. Napoléon hat das immer weit von sich gewiesen.“ Sie lächelte. „Natürlich – wenn es so war, ging es ihm gegen die Ehre.“
„Das wäre doch interessant zu erfahren,“ sinnierte Anna.
„Ich werde ihn bestimmt nicht fragen! Das kannst du vergessen!“
„Das weiß ich. Interessant wäre es trotzdem.“ Anna klatschte in die Hände. „Was fangen wir mit diesem Samstag an?“
„Zeig mir die Stadt. Das ist doch eine Studentenstadt und es soll viele schöne Kneipen hier geben.“
„Super! Wir brezeln uns auf und machen die Stadt unsicher!“
13. November
Die beiden Frauen kamen erst am nächsten Morgen nach Hause und Marie fiel in einen traumlosen Schlaf. Sie erwachte am Mittag mit einem Gefühl der Enttäuschung und einem leichten Kater.
Anna saß im Wohnzimmer und sah genauso aus, wie Marie sich fühlte. Zerzaustes Haar, leidende Miene und zu müde, sich zu bewegen.
„Und hattest du einen Traum?“
Marie schüttelte den Kopf.
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