Автор: | Ulrich Hermann Trolle |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783847684978 |
verschwand samt ihrem Kropf wieder im Erdreich des heimatlichen Gottesackers, in dem sie bereits seit Jahrzehnten ruhte. Die Druckknöpfe die Hermann besaß, noch aus seiner Mutter Aussteuer, verstaubten weiter unberührt im Nähkasten. Und die zurückliegende misslungene Biopsie versteckte sich samt Hermanns halbherziger, nie ernsthaft gestellter Fragen hinter dem alltäglichen Kleinkram in seinem Kopf, als ginge sie ihn überhaupt nichts mehr an, als gäbe es für Hermann keinerlei Anreiz, die Biopsie in sein aktuelles Denken weder in positiver noch in negativer Art und Weise zurück zu holen. Nicht ein einziger, seine Ignoranz kontrollierender Zweifel stellte sich in ihm ein. Und über diesem allen freut sich Hermann immer noch der seinerzeit von ihm gezeigten Gelassenheit gegenüber der aufregenden Situation um die fehl gelaufene Biopsie. Und auch darüber, dass er damals nicht sogleich mit der ersten Aufwallung den Arzt gewechselt hatte, sondern erst dann Weiteres zu unternehmen als geeignet ansah, wenn sich ein tatsächlicher Handlungsbedarf etwa durch Schmerzen oder durch Wachstum am Hals bemerkbar gemacht hätte. Hermann sah sich dadurch in seiner Überzeugung bestätigt, dass gesunder Menschenverstand dem nervösen Aktionismus überlegen ist, überlegen sein muss. Zudem erleichterte ein fremder und von außen kommender Umstand Hermann den Verbleib in der gewohnten ärztlichen Praxis seines Wohnviertels. Überraschend übernahm nämlich eine junge Ärztin jene vertraute Hausarztpraxis, zu der sich Hermann bisher alle zwei Jahre wegen der seinem Alter geschuldeten Vorsorge aufmachte, und in deren Räumen all seine gesundheitliche Unzufriedenheit aufgespeichert herum schwebte, weil sie ja dort angefangen hatte. Er wollte ursprünglich diese Praxis verlassen und zu einer anderen wechseln, sobald sich ein Kropf an seinem Hals entwickeln würde, weil er dann diesem alten Hausarzt wirklich nicht mehr vertrauen könne, da dieser ihn dem handwerklich unfähigen Radiologen anempfohlen hatte. Dieser Grund zum Wechseln war nun nicht mehr gegeben. Aber eine klamm heimliche Freude erfasste Hermann dennoch, dass er sich auf so unerwartet leichte natürliche Art und Weise und ohne eigenes mutwilliges Zutun doch in die Obhut eines neuen Arztes begeben konnte, ohne dem alten über Gebühr zu zürnen. Einzig, dass der Arztwechsel ihm nicht vorher bekannt gegeben worden war, stimmte Hermann ein klein wenig nachdenklich. Er musste sich eingestehen, für den bisherigen Hausarzt doch nicht so ein bevorzugter Patient gewesen zu sein, wie er sich selber vorgekommen war, ja, wie er sich eingebildet hatte. Er war also nicht so ein Patient, dem der beabsichtigte Ruhestand des bisherigen Arztes aus Gründen des über die Jahre aufgebauten persönlichen Vertrauens, oder des sozialen Selbstverständnisses wegen, oder aus Gründen des erfolgreichen weiteren Heilungsverlaufes in einem vertraulichen Gespräch hätte mitgeteilt werden sollen. Dachte sich Hermann. Der alte Arzt aber dachte anders, hatte wohl eine andere Sicht auf seinen unzufriedenen, meist skeptisch redenden Patienten Hermann gehabt. Den ersten Termin bei der neuen ärztlichen Besetzung trat Hermann aus freien Stücken an, übrigens wie bisher auch. Er tat damit auch diesmal wieder der turnusmäßig fälligen Gesundheitsvorsorge Genüge. Ihn begleitete vor allem eine gewisse Neugier auf den ihn erwartenden unbekannten Zustand, eine Neugier, die wohl immer mit der Änderung gewohnter und dem Erscheinen neuer Dinge einher geht, und die in Hermann das Augenmerk auf den Verlauf des ersten Kontaktes hinzielen ließ, in diesem Fall auf die Tonlage der Stimme, die seinen Namen aufrufen und in das Sprechzimmer zu kommen auffordern würde, und auf den ersten Händedruck bei der Begrüßung zwischen ihm, dem Patienten und ihr, der neuen jungen Ärztin. Wie oft in seinem Leben hatte doch der erste Eindruck von einem Zusammentreffen Hermanns Verhältnis zu einem Fremden dauerhaft und meist ohne wesentliche Korrekturen in der Folgezeit, bei manchen sogar über Jahrzehnte hin bestimmt. Hermann trat mit einem etwas indolenten Gesichtsausdruck und einer verschlafen wirkenden Körperhaltung in das Sprechzimmer der Ärztin, als er aufgerufen wurde. Er wollte aber in der Lage sein, sofort lebhaft zu werden, sofort eine freundliche Miene aufzulegen, wenn die Situation es erfordere und eine solche Wandlung nötig mache. Nicht die Feststellung seiner gesundheitlichen Verfassung, sondern die Wirkung dieser neuen Person auf ihn, die für sie gefühlte Sympathie oder Antipathie sollten das Primäre und Grundlegende sein an diesem Termin. Und von diesem eigenwilligen Ranking wollte Hermann dann seine Entscheidung abhängig machen, in dieser Praxis weiterhin Patient zu bleiben oder doch endlich zu wechseln. Hermann durchzuckte es beim Eintreten. Hermann war sogar entsetzt, weil die Ärztin, auf die er zuging, allem Anschein nach das Alter von dreißig Jahren gerade erreicht oder nur unwesentlich überschritten haben musste. Ihr glattes Gesicht, von keinen Falten und Fältchen beeinträchtigt, ihre engen auf ausgewaschen getrimmten Jeans und der sehr an Modeschmuck erinnernde Ring am Mittelfinger der linken Hand, herrjeh, mit solchem Zeug staffiert sich jemand aus, der einen Partner anlocken will, aber nicht, wer Patienten zu behandeln hat und das fünf Tage in der Woche und bei dem Mittwoch Nachmittag noch ein halbes Dutzend Untersuchungstermine im Seniorenstift der Caritas im Terminkalender vorgemerkt sind. Diese junge Frau, dieses schmale Person hier, ist doch wohl ein Witz. Sie ist vielleicht eine verspätete Studentin im endlich erreichten letzten Semester, oder sie ist eine in Weiß getarnte Heilpraktikerin. Wann will diese Puppe denn ihre Approbation erhalten haben? Hermann bedauerte innerlich, im Wartezimmer auf dem harten Stuhl gesessen und dem Aufruf mit übertriebenem Interesse entgegen gesehen zu haben. Er bedauerte, überhaupt auf diesen Termin eingegangen zu sein, anstatt sich gleich eine neue Arztpraxis zu suchen. Sein Instinkt hatte ihn doch ständig gemahnt, er soll sich einem behandelnden Arzt im gesetzten Alter in die Hände begeben. Und hatte er sich das nicht manchmal schon frühmorgens im dösigen Zustand des Aufwachens vorgenommen, aber diese ureigenste antreibende Absicht vernachlässigt, weiß der Teufel warum? Und nun steht er vor so einer hier! Hermann sah keine sichtbaren Anzeichen dafür, dass sie deutlich über Dreißig ist. Wonach hätte er sinnvoll suchen sollen? Welche weiblichen Zeichen hätte er deuten müssen, um ihr geschätztes Alter davon abzuleiten? Vielleicht die mutige Farbkombination zwischen dem Schmuck und ihren Streetwear-Klamotten von s.Oliver, die lustig zerzaust wirkende, kurzsträhnig gestylte Frisur, die flüchtige Zeichnung der schattigen Augenränder, das vom Ausschnitt des T-Shirts halbverdeckte winzige Tattoo auf der noch spannglatten Haut zwischen Hals und den allerdings etwas klein und flach geratenen Brüsten, denen ein Büstenhalter besser stehen würde, als überhaupt keine Körbchen. Sollte Hermann nach den Spuren eventueller Küchenarbeit an ihren Fingern suchen, zum Beispiel nach der Färbung an Daumen und Zeigefinger infolge der geschälten Mohrrüben, die sie leicht in Butter gedünstet auf den Esstisch der Familie am Vorabend kredenzte? Oder nach der frappierenden Übereinstimmung ihres Habitus mit dem jugendlich flatternden textilen Weibsbildern aus den Werbebeilagen der Tagespresse? Ach was! Eine Allgemeinmedizinerin muss a priori über Dreißig sein, zürnte Hermann unter der Zuchtkappe seiner äußeren Höflichkeit. Zugleich wurde ihm aber unheimlich zumute, dass er wie ein Heißsporn schnell und ohne irgendeine Vorsicht weitere Vorbehalte und unausgegorene Gedanken aus seinem Unmut heran schleppte, und er all den oberflächlichen Meckerkram hemmungslos gegen die Neue auffahren konnte, mit dem er sie und die für ihn lästige Situation innerlich beschimpfte. Der Missstand überforderte ihn. Der Missstand kam zu plötzlich in sein Bewusstsein und konnte nicht verarbeitet werden. Hermann musste etwas im Innern geschehen lassen und mit einer gewissen sekundenschnellen Neugier spannte er darauf, welche Seite seiner inneren Aufgewühltheit ausschlagen werde, die Vernunft oder die grobe Gehässigkeit. Hermann war handlungsgehemmt und er musste dem folgen, worauf er keinen Einfluss hatte. Letztendlich kam es so, dass er innerlich weiter zeterte: Diese Generation von jungen Ärzten schaut dich als Kassenpatienten nur oberflächlich an. Es fehlen ihr Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen, ganz klar. Sie schaut nur kurz an dir herunter, checkt dein Outfit und glotzt dann viel länger auf den Computerschirm, ob deine Angaben an richtiger Spalte der Patientendatei eingetragen sind. Und sie achtet darauf, dass die Behandlungszeit aus Kostengründen nicht überzogen wird. Trotzdem wartest du als Patient über den Bestelltermin hinaus unter der hustenden und rotzverschleimten Klientel des Wartezimmers. Hermann war in Rage geraten. Er merkte aber, wie sein größter Ärger sich über ihn selbst und sein unkontrolliertes Schimpfen ergoss. Und trotzdem gelang es ihm nicht, sein dummes inneres Gerede zu unterdrücken. Er ließ sich gehen. Und Hermann dachte noch zusätzlich und mit Genugtuung: Nun habe ich doch Grund genug, die Arztpraxis zu wechseln. Plötzlich spürte Hermann die Hände der Ärztin unter seinem Kinn, sie tastete seinen Hals und er erschrak, wie sie ihn abrupt und hart aus seinen Gedanken wach rief: „Das muss ich mir mal genauer anschauen.“ Ihre Hände glitten von Hermanns Hals ab, nestelten an der Tasche des Kittels. Sie bewegte sich in kurzen Schritten auf den Schreibtisch zu. Diese Frau, der die weichen Hände gehören, muss erst ausreifen, dachte Hermann erneut. Wer vor