Insgesamt war der Hoch-Meister jedoch mit den Fortschritten der Kolonie zufrieden. Es sah ganz danach aus, als werde er mit Kell´Nar auch die sechste Welt zur Blüte führen.
Kapitel 2 Das Beuteschiff
Drei Jahre später
D.S. Nanjing, APS-Kreuzer, Beuteschiff der Negaruyen
„Ehrenwerte, deinem Wunsch entsprechend erbittet der Maschinen-Wissende den Zutritt in die Zentrale.“ Der Gardist deutete einen knappen Ehrensalut an und wies anschließend zum geschlossenen Schott der Brücke. „Er sagt, er habe gute Nachrichten.“
„Gedenke der Tatsache, dass dies ein menschliches Schiff ist und wir seine menschliche Besatzung sind“, rügte die Angesprochene ihn. „Dies nennt man bei den Menschen Brücke und du wirst daran denken, mich ausschließlich mit Käpp-Tenn anzusprechen.“
„Es fällt mir schwer, Ehren… Käpp-Tenn“, antwortete der hochgewachsene Negaruyen verlegen.
„Es fällt uns allen schwer, dieses primitive Idiom zu benutzen, dennoch ist es für die Durchführung meines Plans unerlässlich.“ Die Sprecherin lächelte auf eine verführerische Weise, die darüber hinwegtäuschte, dass sie keinerlei Skrupel kannte, wenn es um die Erfüllung einer ihrer Missionen und die Vernichtung des Feindes ging. „Glaubst du, es ist ein Vergnügen, diese grässlichen Höcker auf den Nasenschlitzen zu tragen? Sie sind hässlich und erschweren das Atmen, aber Menschen besitzen nun einmal diese schrecklichen Langnasen.“
Äußerlich glichen die Negaruyen den Menschen nahezu perfekt an Größe und Gestalt. Selbst Gesichtszüge und Mimik waren beinahe identisch, allerdings besaßen sie lediglich eine angedeutete Nase mit zwei großen senkrechten Schlitzen. An Bord der D.S. Nanjing war ihnen befohlen worden künstliche Nasenaufsätze aus biosynthetischem Material zu tragen. Die Imitationen waren gut modelliert, allerdings nicht an den Blutkreislauf angeschlossen. Das Material reagierte zwar auf die umgebende Hauttemperatur, seine Färbung entsprach jedoch nicht immer exakt dem Teint der Haut. Für die Zwecke der Negaruyen reichte diese „Tarnung“ jedoch aus.
Primär-Kommandantin Desara-dal-Kellon hätte wohl auch unter den Menschen als sehr attraktiv gegolten. Sie hatte eine sehr frauliche Figur, ein ansprechendes Gesicht und kurz geschnittene blonde Haare, in denen silbrige Strähnen zu erkennen waren. Ihre Augen waren von einem sehr hellen Blau und die silbernen Pupillen machten ihre Fremdartigkeit deutlich. Desara war die befehlshabende Admiralin der Flotte der verborgenen Welt der Negaruyen und ihrer Planung war es zu verdanken, dass man einen modernen APS-Kreuzer der Menschen hatte erobern können.
Die D.S. Nanjing war für Desara von entscheidender Bedeutung. Seit Jahrhunderten führten die Negaruyen Krieg gegen die Norsun, welche sie als Eierlinge bezeichneten. Der Kampf hatte noch keine Entscheidung gebracht, doch die zahlenmäßige Überlegenheit des Feindes war erschreckend und konnte auch durch neue Techniken und Waffen kaum ausgeglichen werden.
Dann waren die Norsun den Menschen begegnet. Ein Glücksfall für die verborgene Welt. Wegen der großen Ähnlichkeit der Menschen mit den Negaruyen hielten die Norsun die Menschen für einen Stamm des Feindes und griffen die menschliche Kolonie auf Regan III. an. Inzwischen hatte man den Irrtum erkannt und schien an einer Kontaktaufnahme interessiert.
Für Desara-dal-Kellon und die Negaruyen war dies eine Bedrohung. Ein Krieg zwischen Eierlingen und Langnasen würde die Flotte der verborgenen Welt entlasten und vielleicht sogar die Möglichkeit bieten, die Norsun endlich in ihre Schranken zu verweisen. Ein Waffenstillstand oder sogar Frieden zwischen Menschen und Norsun musste hingegen unter allen Umständen vermieden werden.
Hierzu entwickelte die Primär-Kommandantin einen Plan, den die Matriarchin der verborgenen Welt genehmigt hatte. Die Besonderheiten eines Planeten brachte die erhoffte Möglichkeit, die Menschen in eine Falle zu locken und die D.S. Nanjing zu erobern. Auch wenn Desara-dal-Kellon das eigene Schiff und viele Kämpfer verloren hatte, so war es doch gelungen, mit dem APS-Kreuzer zu entkommen.
Nun beabsichtigte Desara das Schiff der Menschen als Waffe einzusetzen. Wenn sie mit seiner Hilfe Schiffe und Anlagen der Norsun angriff, ohne dass die Negaruyen als Verursacher erkannt wurden, so mussten die Eierlinge glauben, von Menschen überfallen worden zu sein. Ein Krieg, der nur zum Vorteil der verborgenen Welt gereichen konnte, war dann unausweichlich.
Die meisten Negaruyen an Bord trugen nun die Bordoveralls der Sky-Navy, die sich auch als leichte Druckanzüge verwenden ließen. Sie waren gereinigt und ausgebessert, denn man hatte keines der menschlichen Besatzungsmitglieder verschont. Ein Fehler, wie sich Desara-dal-Kellon widerwillig eingestand, denn nun konnte kein Mensch Auskunft über die Technik an Bord geben. Inzwischen war es den Eroberern möglich, die wesentlichen Funktionen des APS-Kreuzers zu nutzen, doch die Technik unterschied sich in vielen Einzelheiten von ihrer eigenen.
Die Primär-Kommandantin war erleichtert, dass man die Systeme auf der Brücke der D.S. Nanjing, die Lebenserhaltung und die Triebwerke bedienen konnte. Dies war im Grunde dem Umstand zu verdanken, dass man zuvor ein Handelsschiff der Menschen aufbrachte und dessen Besatzung erst tötete, nachdem diese ihr Wissen unter der Folter preisgab. Leider hatten jene Männer und Frauen kaum Kenntnisse über die Waffentechnik ihrer Rasse besessen.
Desara-dal-Kellon hütete sich die Menschen zu unterschätzen. In manchen Bereichen war deren Technik primitiv, in anderen überlegen. Für eine Rasse, welche noch nicht die über ein Jahrtausend zählende Erfahrung der Negaruyen in der Weltraumfahrt besaß, waren die Menschen nach Desara´s Meinung unerwartet fortschrittlich. Die Primär-Kommandantin schätzte die Konstruktion des erbeuteten Schiffes und die Übersichtlichkeit der eher kleinen Brücke. Alles wirkte kompakt und funktional, etwas, das sie als Soldatin zu schätzen wusste.
Maschinen-Wissender Per hatte sich in den vergangenen Stunden um das tiefere Verständnis des eroberten Schiffes bemüht und rastlos versucht, alle Systeme nutzbar zu machen oder für die Kompatibilität mit der Technik seines Volkes zu sorgen. Desara war gespannt, wie weit ihm dies nun gelungen war.
Per trug die Uniform eines Master-Chief der menschlichen Sky-Navy. Desara wusste dass er ein hervorragender Liebhaber und noch besserer Techniker war. Bei dieser Mission zählte jedoch nicht das Vergnügen, sondern ausschließlich der Erfolg und sie hatte dem jungen Mann deutlich gemacht, was seine Pflicht war.
Per salutierte vor ihr, in dem er die Fingerspitzen der linken Hand an die linke Schulter legte. Als er den Blick seiner Kommandantin registrierte, wechselte er hastig zum Salut der Menschen. „Masta-Tschiif Per, zu deinem Willen, Ehrenwerte.“
Sie schlug mit der flachen Hand auf die Armlehne des Kommandosessels. „Der Erfolg dieser Mission hängt von der Täuschung des Feindes ab, Masta-Tschiif. Vergiss deine Abstammung vom erhabenen Volk der verborgenen Welt, sonst spürst du die Peitsche.“
Bislang war Per von der Neuro-Peitsche verschont geblieben und er verspürte kein Verlangen danach, die schmerzhaften Elektroschocks durch seine Nervenbahnen rasen zu spüren. „Ai, Käpp-Tenn“, sagte er hastig. „Ich bin bereit für meinen Bericht.“
Sie nickte und deutete auf den Klappsitz neben ihrem Sessel. „Nimm Platz und berichte. Verschweige mir nichts.“
Vor drei Wochen hatten sie das Schiff dem Feind entrissen und arbeiteten seitdem fieberhaft, um alle Funktionen zu verstehen und zu beherrschen. Derzeit lag die Nanjing im Ortungsschatten eines Planeten, denn es war sicher, dass die Menschen nach ihr suchen würden.
„Wir beherrschen die wesentlichen Funktionen dieses Schiffes“, begann Per, „auch wenn wir in einigen Bereichen weiterhin Probleme haben. Diese betreffen vor allem jene Systeme, die durch die Tetroniken der Menschen gesteuert werden. Wir konnten einiges von der Maschinensprache der Langnasen entschlüsseln, doch speziell die Verteidigungs- und Offensiv-Systeme sind mehrfach kodiert. Wir können die Waffentürme