Die Gruppe auf dem Siedlungsplatz, immerhin fast zwölftausend Norsun, begannen mit der „Grundsteinlegung“ der Siedlung. Der Boden zwischen den drei Hanteln sowie einem kreisrunden Areal um diese herum, welches fast fünf Kilometer maß, wurde sorgfältig geebnet. Gräben wurden ausgehoben, welche Leitungen für Versorgung und Entsorgung aufnehmen sollten. Alles geschah nach jenem Plan, in dem Tenador-Sentos jedes Bauwerk und dessen Bedeutung festgelegt hatte. Vier der Fahrzeuge würden die Gräben auskleiden, Rohre und Leitungen verlegen und alles mit einer dauerhaften Schicht von Beton versiegeln. Vier weitere gossen die ersten Fundamente.
Die Norsun dieser beiden Gruppen litten unter der körperlichen Anstrengung, doch dies war nichts im Vergleich zu jenen Siedlern, die dem Wald zu Leibe rückten.
Die Kakteenbäume besaßen Stämme die im Durchschnitt dreißig Meter aufragten und eine glatte Rinde hatten. Im oberen Drittel begannen die weit verzweigten Ausläufer, die dicht mit langen Stacheln besetzt waren. Einige von diesen maßen zwei bis drei Meter.
Die Norsun lernten auf die schmerzliche Art, wie gefährlich diese Pflanzen sein konnten.
Während alle Stacheln eine einheitliche kräftige braune Farbe aufwiesen, zeigten die unterschiedlich hohen Stämme auch verschiedene Farben, die zwischen einem blassen Grün und einem kräftigen Gelb lagen. Erstere waren junge Kakteenbäume, die in mattem Gelb hingegen die älteren Exemplare.
Die Fällgruppen der Norsun benutzten Äxte, Spaltkeile und Sägen, die im Prinzip menschlichen Werkzeugen entsprachen. Man suchte sich keine speziellen Stämme aus, sondern beabsichtigte sich vom Waldrand allmählich ins Innere voranzuarbeiten. Weitere Gruppen standen bereit um die gefällten Stämme von ihren Auslegern und diese wiederum von ihren Stacheln zu befreien. Dann sollten die Rinden geschält und der Stamm zu soliden Brettern verarbeitet werden. Für letzteren Arbeitsgang standen zwei Maschinenfahrzeuge zur Verfügung.
Das Wort der Holzfäller war auf den Schutz seiner Arbeiter bedacht. „Ich spreche das Wort“, sagte er in das kleine Funkgerät, dessen allgemeine Frequenz ihn mit allen Angehörigen seiner Gruppe verband, „seid behutsam beim Schnitt. Wir wissen noch nicht unter welcher inneren Anspannung diese Pflanzen stehen. Gebt acht wenn sie fallen. Dass mir keiner unter einen Stamm oder diese Stacheln kommt. Diese Dinger sehen gefährlich aus.“
Wie gefährlich die Stacheln tatsächlich waren, erfuhren einige Arbeiter des Fällkommandos auf sehr direkte Weise.
Die erste Gruppe fällte problemlos einen der grünlichen Kakteenstämme. Von ihrem Beispiel angespornt trat eine zweite an einen der gelben Stämme heran. Mit dem ersten Schlag ging eine leichte Erschütterung durch die Pflanze. Prompt lösten sich viele der Stacheln von den Auslegern und regneten förmlich nach unten. Drei Norsun wurden aufgespießt und starben, drei weitere erlitten schwerste Verletzungen.
Später würde man herausfinden, dass bei den älteren Bäumen das Harz, welches die Stacheln hielt, ausgetrocknet und spröde war und somit leicht brach.
Die Kolonisation von Kell´Nar hatte die ersten Opfer gekostet.
Zwei Fahrzeuge gehörten zu den Händen der Heilung, welche die Verletzten versorgten. Die Toten wurden in den Kühlraum einer Hantel gebracht, um sie später in ehrenvoller Zeremonie dem Boden der neuen Heimat übergeben zu können. Doch jetzt ging die Arbeit vor. Die Siedler brauchten Nahrung, da die Vorräte in den Hanteln für absolute Notfälle gedacht waren, sie benötigten ein Dach über den Köpfen und sie benötigten Schutz vor gefährlichen Lebewesen.
„Beim Feuerfall von Istwagh“, fluchte das Wort der Holzfäller, „nehmt nur die grünen Stämme und achtet darauf, dass sie nicht zu nahe an den gelben stehen.“
Einer der Arbeiter trat zu ihm. „Verzeiht, Wort, wenn ich widerspreche, doch wir sollten die gelben Pflanzen fällen. Das Material der Grünen ist jung und voller Saft. Wenn wir sie schlagen, so werden sie im Verlauf der Zeit austrocknen und nicht mehr das Maß halten, in dem wir sie geschnitten haben. Unsere Häuser könnten undicht werden, sich verziehen oder sogar einstürzen.“
„Was du sagst ist überlegt und angemessen“, antwortete der Führer nach kurzem Überlegen. „Doch wie sollen wir die gelben Stämme fällen, ohne dass uns die Stacheln auf den Kopf stürzen?“
„Nehmen wir doch die Zuschneidefahrzeuge, Herr. Sie können einmal kräftig gegen den Stamm fahren. Die Erschütterung wird die Stacheln fallen lassen, so dass wir anschließend gefahrlos arbeiten können.“
„Auch dies halte ich für überlegt und angemessen.“ Das Wort der Arbeiter knickte die Fühler nach vorne. „Ich werde dich dem Hoch-Meister Tenador-Sentos melden. Er wird über dich erfreut sein.“
Von nun an gingen die Norsun sehr vorsichtig zu Werke. Zwei Tage später gab es im Wald nochmals einen Verletzten, da sich einer der Stacheln erst sehr spät löste, doch die Wunde war nur leicht, denn die Arbeiter beobachteten die Pflanzen sehr aufmerksam, bis sie gefällt am Boden lagen.
Die Anzahl der verfügbaren Stacheln und Bretter stieg rasant. Etliche Stämme wurden lediglich kantig zurecht geschnitten und bildeten die Rahmen der Häuser. Innerhalb einer Woche waren die ersten fünfzig errichtet. Ein flüssiger Kunststoff wurde über das Holz gesprüht, härtete aus und machte die Bauten stabil und, zumindest in einem gewissen Rahmen, auch feuerfest. Formdrucker, Pressen und Gießereien begannen in einer der Hanteln die ersten Zweckmöbel zu produzieren.
Rund um die fünf Kilometer messende Kreisfläche begann ein Wall aus Stacheln zu wachsen. Dicht an dicht und nach außen geneigt sollten nur wenige gesicherte Lücken bleiben und so die Siedlung vor unliebsamen Eindringlingen schützen.
Inzwischen hatte man die ersten Stachler gesichtet. Man war sich noch nicht sicher, ob es sich um friedliche Pflanzenfresser oder räuberische Fleischfresser handelte. Bislang blieben die Tiere, welche die doppelte Größe eines Norsun besaßen, auf Distanz.
Dreiundzwanzig Planetentage später griff einer dieser Stachler eine Gruppe Waldarbeiter an. Es gab Tote und Verletzte, bis man den Angreifer durch mehrere Axthiebe so verletzen konnte, dass er sich zurückzog.
„Es sind Räuber“, meinte Hoch-Meister Tenador-Sentos, nachdem er die Meldung erhalten hatte. „Ein Pflanzenfresser hätte niemals ohne Not angegriffen, zum Beispiel weil seine Brütlinge bedroht sind. Ein Räuber zieht sich schnell zurück, wenn er verletzt ist, denn eine schwere Wunde hindert ihn an der weiteren Jagd. Vielleicht heilt sich nicht richtig und dann wäre er dem Hundertode preisgegeben. Ja, es sind Räuber. Wir werden jede Arbeitsgruppe durch ein oder zwei Bions beschützen lassen und die Bionwachen an den Durchlässen des Schutzzauns verstärken.“
Die Bions waren biomechanische Lebewesen, die ihren Herren ähnelten. Ihr grünschwarzer Körper war ebenfalls in der Mitte stark eingeschnürt, ihr Kopf besaßen weder den kurzen Rüssel, noch die Fühler ihrer Schöpfer. Ihre beiden großen Facettenaugen verfügten auch nicht über die veränderlichen Schlitzpupillen. Die vier Extremitäten und der Stummelstachel am Hinterleib waren hingegen identisch. Letzterer sonderte allerdings keine Duftstoffe ab, sondern diente lediglich der Analyse von Substanzen oder der Umgebungsluft.
Im Schädel wurden achteckige halbtransparente Programmplatinen durch eine milchige und cremeartige Substanz geschützt. Diese austauschbaren Platinen befähigten die Bions zu einem gewissen individuellen Handeln und eigenständigem Lernen. Bions waren teurer als die sich selbst reproduzierenden Norsun und so hatte die Große Mutter verfügt, dass sie nicht für niedere Arbeiten eingesetzt werden sollten. Sie dienten den Stämmen vielmehr als Kämpfer und waren mit der Standardwaffe ihrer Herren, der Schusslanze, bewaffnet.
Hoch-Meister Tenador-Sentos ließ eintausend Bions aktivieren, die nun für den Schutz ihrer Herren verantwortlich wurden.