„Entschuldigen Sie bitte“, sie räusperte sich leise. „Mein Name ist Emily Simon. Ich komme vom Journal Francine und habe einen Interviewtermin mit Herrn Leary, Connor Leary. Könnten Sie bitte Bescheid sagen, dass ich eingetroffen bin?“
Der Portier musterte sie prüfend.
„Sie können sich sicher ausweisen?“, fragte er höflich, aber bestimmt.
„Selbstverständlich“, stammelte Emily und ärgerte sich über ihre eigene Unbeholfenheit. Sie fingerte nach ihrem Presseausweis, den sie gemeinsam mit der Bestätigungsmail von Learys Management über die Rezeption schob.
Augenblicklich lächelte ihr Gegenüber. „Sie müssen entschuldigen, Frau Simon, aber wir sind verpflichtet, jeden Besucher genau zu kontrollieren. Sie glauben gar nicht, auf welche Ideen Fans kommen können. Aber bei Ihnen ist alles in bester Ordnung. Ihr Besuch ist uns bereits avisiert worden.“ Er reichte ihren Ausweis zurück, griff zum Hörer und wählte eine Nummer.
„Herr Holmes? Guten Morgen, hier ist Alfred, der Chefportier. Frau Simon, die Dame vom Journal Francine, ist soeben eingetroffen.“
Der freundliche Portier lächelte ihr aufmunternd zu, als er den Hörer auflegte.
„Herr Leary erwartet Sie in seiner Suite. Ein Page wird Sie hinaufbegleiten.“ Er gab einem jungen Mann in Hoteluniform ein fast unmerkliches Zeichen. „Bringen Sie die junge Dame bitte zur Suite von Herrn Leary“, wies er an.
Emily fiel ein ganzes Gebirge vom Herzen. Es ging alles leichter als erwartet. Ihre Bedenken begannen, sich zu verflüchtigen. Sie nickte dem Portier dankend zu, bevor sie dem Pagen zum Lift folgte. Verstohlen musterte sie die Menschen, die sich in der eleganten Hotelhalle aufhielten. Sie fühlte sich unweigerlich an eine Filmszene aus der Kult-Serie „Hotel“ erinnert. Es fehlte nur noch, dass Connie Selecca die prachtvolle Treppe herabschwebte. Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu vertreiben. Niemals zuvor war sie in einem derart vornehmen Hotel gewesen. Tom und sie hatten ihren Urlaub mit den Kindern immer auf einem Bauernhof in den Bergen verbracht. Tom liebte lange Wanderungen über einsame Pfade inmitten der herrlichen, urwüchsigen Natur. Doch seit seinem Tod konnten sie und die Kinder sich keinen Urlaub mehr leisten. Vorerst jedenfalls nicht.
Unauffällig tastete Emily in ihrer Tasche nach der Kamera. Leary hatte zwar abgelehnt, einen Fotografen zu empfangen, aber Corinne war auch hier ungebremst optimistisch gewesen. Sie hatte keine Zweifel daran gelassen, dass es Emily gelingen musste, den Schauspieler zu einem Foto zu überreden. Leider teilte Emily diese Zuversicht keineswegs und hätte seinen Wunsch lieber ohne Einschränkung respektiert. Vermutlich würde Leary ohnehin verärgert auf dieses Ansinnen reagieren und sie unwirsch abweisen. Emily grauste es bei dieser Vorstellung.
Mit einem sanften Ruck blieb der Aufzug stehen und riss sie aus ihren Gedanken.
„Bitte hier entlang“, der Page führte sie zielstrebig zu einer massiven Tür am Ende des Ganges. Der dicke Teppichboden schien ihre Schritte förmlich zu schlucken. Emily zitterte, sie fühlte sich kraftlos wie schon lange nicht mehr. Wie sollte sie bloß dieses Interview mit Leary auf Englisch führen? Ihr Kopf war wie leergefegt, sie würde sich mit ihren unzureichenden Sprachkenntnissen definitiv blamieren. Doch es half alles nichts, jetzt musste sie durchhalten. Der Page klopfte an. Emily atmete noch einmal tief durch. Das Abenteuer „Interview“ konnte beginnen.
Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, ehe die Tür sich öffnete und Connor Leary höchstpersönlich vor ihr stand. Groß, schlank und trotz seiner legeren Erscheinung genauso attraktiv wie auf dem Foto, das ihr so gut gefiel. Emily war wie erstarrt. Aus irgendeinem Grund hatte sie damit gerechnet, dass Leonhard Holmes sie empfangen würde. Doch offensichtlich hatte sie sich geirrt.
Leary lächelte verbindlich und trat einen Schritt zurück, um sie mit einer einladenden Geste hineinzubitten. Emily zögerte fast unmerklich, doch der Schauspieler schien es bereits bemerkt zu haben. Er musterte sie interessiert, als er auf eine überdimensionierte, cremefarbene Sitzgruppe in der Mitte des Raumes wies.
„Sie müssen Frau Simon sein. Nehmen Sie doch bitte Platz.“
Emily warf ihm einen irritierten Blick zu.
„Sie sprechen Deutsch?”
„Warum nicht?“, Leary nickte. „Erstaunt Sie das?“
„Wenn ich ehrlich bin, ja“, gestand Emily verlegen und ärgerte sich über ihre unbedachte Bemerkung.
„Weshalb?“, seine Mundwinkel zuckten vergnügt. Offensichtlich machte es ihm Spaß, sie in Verlegenheit zu bringen.
Emily hob entschuldigend die Arme.
„Keine Ahnung“, entfuhr es ihr schnippischer als beabsichtigt. „Vermutlich, weil ich keinen Amerikaner kenne, der eine andere Sprache als seine eigene beherrscht.“
„Das ist bedauerlich.“ Er schaute sie auf eine Weise an, die Emily komplett verunsicherte. Jetzt war ihre erste Bemerkung schon unpassend gewesen. Das war nicht gerade der Einstieg, den sie sich für das Interview erhofft hatte.
„Möchten Sie sich nicht setzen?“, Connor Leary wies erneut auf die beeindruckende Sitzgruppe, vor der Emily unschlüssig stehen geblieben war.
„Natürlich“, stammelte sie betreten und ließ sich vorsichtig auf dem Rand des edlen Sitzmöbels nieder. Keine fünf Minuten hätte diese Couch bei ihnen zu Hause überstanden. Sie dachte an Jessies Angewohnheit, Schokolade in ihren Fingern schmelzen zu lassen und an Tobias‘ Geschick, volle Gläser umzuwerfen. Ihr Blick fiel auf Learys Frühstück, das offensichtlich unberührt auf einem Servierwagen stand.
„Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört? Das wäre mir sehr unangenehm.“
Er folgte ihrem Blick und schüttelte den Kopf.
„Keine Sorge, ich habe keinen Hunger. Aber Sie dürfen sich gerne bedienen, wenn Sie möchten. Oder darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, er wies lässig zur Bar hinüber, auf der zahlreiche Flaschen zur Auswahl standen. „Vielleicht ein Glas Champagner?“
Emily schüttelte den Kopf. „Danke, Orangensaft wäre mir lieber.“
„Ganz wie Sie wünschen.“ Leary wandte sich ab, um ihr den Saft einzuschenken.
Endlich traute sich Emily, den Filmstar eingehender zu betrachten. Das war er also, der Traum unzähliger Frauenherzen. Er war deutlich größer, als sie erwartet hatte. Seine Figur war zwar schlank, aber erstaunlich athletisch, wie das beeindruckende Muskelspiel seiner Oberarme zeigte. Dennoch wirkte er abgespannt, was vermutlich an den dunkel schimmernden Rändern unter seinen Augen lag, die auch die Sonnenbräune Kaliforniens nicht verbergen konnte.
Emily musste sich eingestehen, das hatte sie nicht erwartet, denn wie ein strahlender Filmheld wirkte er so nicht unbedingt. Wieder einmal zeigte sich, dass Film und Realität nicht zwingend übereinstimmen mussten. Diese Erkenntnis beruhigte sie, sodass ihre Anspannung ein wenig nachließ. Vielleicht hatte seine in der Öffentlichkeit ausgefochtene Scheidung Spuren hinterlassen, vielleicht hatte er aber auch einfach nur schlecht geschlafen.
Emily hing ihren Gedanken nach, als sie bemerkte, dass er direkt vor ihr stand und sie seinerseits interessiert musterte. Augenblicklich fühlte sie sich ertappt und errötete.
„Ihr Saft“, Leary reichte ihr das Glas, bevor er ihr gegenüber Platz nahm und sich leise räusperte. „Also gut, fangen wir an. Dann sind wir beide nicht mehr so nervös, nicht wahr?“
Perplex schaute Emily ihn an.
„Sie sind nervös?“
„Na klar“, er nickte bestätigend. „Ich weiß schließlich nicht, was sie mich fragen oder später gar schreiben werden. So wie Sie keinen Amerikaner kennen, der Deutsch spricht, kenne ich keinen Reporter, der bei der Wahrheit bleibt.“
„Das ist gemein“, Emily