„Wie aufregend!“, Sophies Stimme überschlug sich förmlich vor Begeisterung. „Ein Interview mit Connor Leary! Emily, ich beneide dich! Hast du ihn in seinem letzten Film ‚Dream Weaver‘ gesehen? Ich war hin und weg. Natürlich hole ich Jessie und Tobias morgen von der Kita ab. Ich habe reichlich Zeit, mich mit ihnen zu beschäftigen. Sie können auch gerne bei mir übernachten, wenn du möchtest. Ich habe ja Semesterferien.“
„Sophie, du bist ein Schatz!“, Emily spürte, wie ein Teil ihrer Anspannung von ihr abfiel. Jetzt konnte sie sich voll und ganz ihrer neuen Aufgabe widmen.
Die nächsten Stunden verbrachte Emily mit intensiven Recherchen in der Redaktion. Sie wollte so viel wie möglich über Connor Leary in Erfahrung bringen. Nichts war schlimmer, als schlecht vorbereitet zu einem Interview zu erscheinen. Corinne hatte mit ihren Behauptungen recht gehabt. Jede Zeitung hatte damals ausführlich über diese Promi-Scheidung berichtet – mehr oder minder seriös. Sie ließ ihren Blick über die zahlreichen Fotos schweifen, auf denen er alleine oder gemeinsam mit seiner damaligen Frau abgelichtet war. Anfangs glücklich lächelnd, später eher mit angespanntem oder düsterem Gesichtsausdruck. Unzweifelhaft war seine Ex eine sehr attraktive Erscheinung mit ihrer filigranen Figur und dem topmodisch geschnittenen, dunklen Haar. Diese Frau strahlte geballtes Selbstbewusstsein aus, wenn sie vor den Kameras der Fotografen kokettierte. Doch trotz aller zur Schau getragenen Perfektion störten Emily ihre eisblauen Augen, die selbst dann kalt wirkten, wenn sie lächelte. Neugierig vertiefte sie sich in die Zeitungsberichte und konnte bald verstehen, dass Leary sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Es musste schrecklich sein, so schonungslos zum Opfer der Medien zu werden. Wie sollte sie bloß sein Vertrauen gewinnen, nach allem, was er über sich hatte lesen müssen? Emily verfluchte Corinne, als sie sich weiter durch alle Einzelheiten von Learys Karriere und seinem Leben kämpfte. Um gut informiert zu sein. Und vor allem, um nicht versehentlich in eines der zahlreichen, potenziellen Fettnäpfchen zu treten, die sich freudig präsentierten.
Sie hatte längst nicht alle Unterlagen gesichtet, als sie sich nach der Arbeit auf den Weg zur Kita machte, um Tobias und Jessica abzuholen. Nachdem sich das Gewitter lautstark entladen hatte, war die drückende Schwüle einer angenehmen Frische gewichen. Emily atmete tief durch und hoffte, dass die böse Vorahnung, die sie heute Vormittag befallen hatte, nur ihrer Fantasie entsprungen war. Doch obwohl sie sich bemühte, ihren Kopf frei zu bekommen, kreisten ihre Gedanken unentwegt um das morgige Interview. Sie musste sich eingestehen, dass sie Angst hatte. Angst, sich zu blamieren, und vor allem Angst, dass Leary Spaß daran haben könnte, seinen Frust über die Boulevardpresse an ihr abzureagieren. Denn trotz aller Berichte, die sie über ihn gelesen hatte, war es ihr bislang nicht gelungen, sich ein genaues Bild von diesem Mann zu machen. Wie sehr sehnte sie sich in dieser Situation nach Tom, der stets ihre emotionale Stütze gewesen war! Gerade jetzt hätte sie ihn so dringend gebraucht. Aber Tom war tot. Nach wie vor erschien es ihr unvorstellbar, dass er nicht mehr bei ihr und den Kindern war. Sie versuchte, ihre aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, als sie daran dachte. Nur langsam war sie nach Toms Unfall aus ihrer Schockstarre erwacht, um sich der Realität zu stellen. Es war ihr unendlich schwer gefallen, den Kindern zu sagen, dass ihr Vater nicht wiederkommen würde – nie mehr. Dabei hatte sie es selbst zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich begriffen. Die grausamen, einsamen Abende, an denen der Fernseher ihr bester Freund gewesen war, die durchwachten Nächte, in denen sie Sturzbäche an Tränen geweint hatte und die sinnlos erscheinende Zukunft, der sie nur deshalb nicht entflohen war, weil Tobias und Jessica sie brauchten, hatten sich tief in ihre Erinnerung gebrannt. Schließlich, als sie seelisch und finanziell fast am Ende gewesen war und an den sorgenvollen Blicken ihrer Mutter und Freunde erkannt hatte, dass es an der Zeit war, ihr Leben wieder anzunehmen, hatte sie im Internet eine Stellenanzeige entdeckt, die ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen war.
Francine, ein modernes, aufstrebendes Frauen-Lifestyle-Magazin, suchte kreative Schreibtalente, auch Quereinsteiger. Sie, die immer ein Faible für schöne Formulierungen gehabt hatte, ergriff diesen Strohhalm und bewarb sich. Noch heute wusste Emily nicht, woher sie den Mut und die Entschlossenheit zu diesem Schritt genommen hatte. Corinne hatte damals das Vorstellungsgespräch geführt. Corinne Vallée, geliebt, aber gleichermaßen gefürchtet in der Redaktion. Sie und Emily waren trotz ihrer Gegensätzlichkeit sofort auf einer Wellenlänge gewesen. Mit dieser Begegnung war Emilys Glück zurückgekommen. Sie bekam die Stelle als Redakteurin, obwohl es weitaus qualifiziertere Bewerberinnen gab, und eine Freundin direkt dazu. Emily schüttelte unbewusst den Kopf bei diesen Erinnerungen.
Und nun erhielt sie mit diesem Interview ein weiteres Mal eine unglaubliche Chance. Wieder von Corinne! Sie spürte eine gewisse Beklemmung, aber gleichermaßen auch Stolz, dass so viel Vertrauen in sie gesetzt wurde. Sie würde Corinne nicht enttäuschen. Dieses Interview musste gelingen!
Glück ist relativ
Connor Leary saß im Flugzeug nach Düsseldorf und warf einen sehnsuchtsvollen Blick aus dem Fenster. Unter ihm waberte eine dicke Wolkendecke, die nur gelegentlich aufriss und die Sicht auf den tiefblauen Ozean freigab. Immer wieder war er beeindruckt von der zauberhaften Welt, die ihn über den Wolken empfing. Doch nicht jeder Passagier schien so zu empfinden. Bestes Beispiel dafür war sein Manager Leonhard Holmes, der seit geraumer Zeit unruhig neben ihm auf seinem Platz herumrutschte. Anstatt die Aussicht zu genießen, redete er ununterbrochen auf Connor ein, um ihm die Unterhaltungsshow, in der er am Samstag auftreten sollte, wortgewandt anzupreisen.
Leary seufzte genervt, denn er verspürte nicht die geringste Lust, in diesem Fernsehformat mitzuwirken und zwanghaft gute Laune zu versprühen. Viel lieber hätte er sich auf seine Ranch zurückgezogen, wo ihn niemand behelligte und er sich entspannen konnte. Doch die einstmals ruhigen Zeiten waren unwiederbringlich vorbei. Sein letzter Film war erneut ein großer Erfolg gewesen. Die Kritiker hatten ihn mit Lob überschüttet und ihn als Superstar gefeiert. Ihm war bewusst, dass das zahlreiche Verpflichtungen mit sich brachte. Verpflichtungen, die ihm zunehmend lästig wurden. Aber er durfte sich nicht komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen und seine Fans enttäuschen, dazu waren sie ihm zu wichtig. Warum nur fühlte er sich in letzter Zeit so ausgepowert, leer und einsam? Er hatte doch Erfolg. Weit mehr, als er sich jemals erträumt hatte. Doch was hatte ihm das letztendlich gebracht? Oberflächliche, anbiedernde Menschen umgaben ihn, die sich erhofften, durch die Nähe zu seiner Person selbst Publicity zu erlangen.
Angewidert verzog er den Mund. Er verabscheute diese Menschen und ihr falsches Gehabe. Warum nur glaubte jeder, sein Ruhm müsse ihn zwangsläufig glücklich machen? Mega-Gagen, herausragende Kritiken, Erfolg bei den Frauen – es schien, als hätte er das erträumte Ideal erreicht. Und doch fühlte er sich nicht glücklich. Besser gesagt, nicht mehr. Denn seit dem Tag, an dem er erfahren musste, dass sich seine Frau und sein bester Freund heftig miteinander vergnügt hatten, während er zu Dreharbeiten in New York weilte, hatte sein Glück einen tiefen Riss bekommen.
Heute war Hannah seine Ex-Frau und lebte nach wie vor gut von seinen Erfolgen. Die Presse hatte sich gierig auf sein privates Unglück gestürzt und es nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet. Immer mehr intime Details und Fotos waren veröffentlicht worden, da es Hannah offensichtlich gefiel, nun selbst einmal im Rampenlicht zu stehen. Ein zweifelhaftes Vergnügen, wie Connor meinte. Jedenfalls hatte sie hemmungslos aus ihrem Privatleben geplaudert, ohne auch nur ansatzweise auf seine Gefühle Rücksicht zu nehmen. Zuerst hatte er ihr gegenüber nur Hass empfunden. Aber mittlerweile war dieser Hass einer bodenlosen Enttäuschung gewichen. Enttäuschung darüber, dass er von dem einzigen Menschen, dem er bedingungslos vertraut hatte, derart hintergangen worden war.