Adler und Leopard Teil 1. Peter Urban. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Urban
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847618317
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alle Männer.“, ging es ihr durch den Kopf. „Die beiden sind ein wirklich hübsches Paar, obwohl ich mir einfach keinen Reim darauf machen kann, wer der Mann ist.“ Sie fuhr noch kurz fort, ihren Gedankengang zu beenden, dann deutete sie für Lady Bessborough diskret mit dem Finger auf ihre Älteste. „Ich weiß nicht, wer das ist, meine liebe Georgiana! Was ich Ihnen aber mit Sicherheit sagen kann: Der Herr ist bezüglich der Modetrends der diesjährigen Saison nicht auf dem Laufenden. Sicher, es ist eine gute Garderobe. Er hat einen vorzüglichen Schneider ...aber dunkelgrün. Und diese Schlichtheit! Und dann noch kurz geschorenes Haar. Wenn er wenigstens eine ordentliche Perücke trüge!“ „Wellesley“, entfuhr es der Herzogin von Richmond erfreut, “das muss Arthur Wellesley sein! Ich habe gehört, dass er aus Indien zurückbeordert wurde. Aber irgendwie erkennt man ihn nicht wieder.“ Die Neugier der beiden Damen wurde schon bald befriedigt. Als die Kapelle eine Pause machte, bugsierte Sarah ihre Jugendfreundschaft zielstrebig in Richtung ihrer Mutter.

      In den Tagen, die dem Ball folgten, stellte Arthur fest, dass England sich während der letzten zehn Jahre, tief greifend verändert hatte. Seit 1793 befanden sie sich mit den Franzosen fast ohne Unterbrechung im Kriegszustand. Die Idee einer Invasion der britischen Inseln war für Volk und Regierung zu einer Zwangsvorstellung geworden. Seine irische Heimat wurde von Aufständen erschüttert. Die Franzosen hatten es geschafft, mithilfe katholischer Rebellen Truppen in der Killala-Bucht zu landen. König Georges Rotröcke hatten mit unbeschreiblicher Gewalt die Rebellen und ihre französischen Verbündeten niedergemetzelt. Die Gefahr der Invasion war damit vorläufig gebannt, doch die irischen Katholiken hassten die englischen Protestanten noch entschlossener als zuvor. Der Friede von Amiens war eine unwichtige Feuerpause gewesen. Anschließend hatte Premierminister William Pitt mit aller Kraft eine neue Koalition gegen Bonaparte geschmiedet. England hatte in dieses verzweifelte Ringen mit Frankreich mehr Menschen, wirtschaftliche Ressourcen und finanzielle Mittel eingebracht, als das Land sich eigentlich leisten konnte. Trotzdem war die Lage katastrophal. Lediglich der Krieg zu See gegen Napoleons Flotte war ein Erfolg. Zu Land schlugen der Kaiser und seine Marschälle jeden Gegner. Arthur hatte das Gefühl, dass dieser endlose Krieg das Land zusammengeschweißt hatte. Die Leute schienen auf den ersten Blick weniger selbstsüchtig und weniger individualistisch, als er sie in Erinnerung hatte. Sogar die vergnügungssüchtige, intrigante und zu Verschwendung neigende Aristokratie hatte sich etwas, Disziplin angeeignet. Es war eine überlebensnotwendige Qualität in einer schweren Zeit. Arthur hatte diesen Wandel nicht miterlebt. Er begriff nicht viel von dem, was er sah oder hörte. Doch sein Leben in Indien war Vergangenheit. Er musste lernen, sich in diesem Land, das er so wenig kannte zurechtzufinden. In Verlauf der nächsten Wochen hatte er eine Reihe wichtiger Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Sein erster Besuch galt aus diesem Grunde Robert Castlereagh, der im Kabinett von William Pitt als Minister das Ressort Kriegswesen und Kolonien verwaltete. Robert war, wie Arthur in Irland zur Welt gekommen und aufgewachsen. Sie waren gleichaltrig und seit ihrer frühesten Kindheit eng miteinander befreundet. Sie hatten in ihrer Jugend sogar einige Jahre Seite an Seite auf den hintersten Bänken des irischen Unterhauses gesessen und sich zusammen gelangweilt. Arthur hatte sich schließlich auf den Weg nach Indien gemacht. Robert Castlereagh hatte den Weg in die große Politik eingeschlagen. Als der General unangemeldet in Whitehall eintraf, verließ gerade ein Besucher das Amtszimmer des Ministers. “Los, lass uns gemeinsam zu Mittag essen!“, überfiel Robert, Arthur sofort, “jetzt, wo aus dem hässlichen Entlein endlich ein stolzer Schwan geworden ist, ist es förderlich für einen Politiker sich mit Dir in der Öffentlichkeit zu zeigen! Unbesiegbare Generäle sind in meinem Ministerium eher Mangelware, alter Freund!“ Arthur lachte. Wenigstens Robert hatte sich überhaupt nicht verändert. Er war immer noch impulsiv und genauso überschwänglich, wie früher. Trotz seines schwierigen Amtes war es ihm gelungen, seinen jugendlichen Übermut zu bewahren. Er warf sich seinen schweren, dunkelblauen Soldatenmantel über die Schultern, um die kurze Strecke bis zum White‘s Club am Eingang zum St.James Park gemeinsam mit Castlereagh zurückzulegen. Er hatte sich noch nicht an das englische Wetter gewöhnt. Der Club, der in einer Nebenstraße von Whitehall und parallel zur Downing Street lag, war nicht für seine gute Küche bekannt. Aber es war der einzige öffentliche Ort in London, an dem die Mitglieder von Regierung und Opposition zivilisierten Umgang miteinander pflegten. Castlereagh bat einen Bediensteten, ihnen das Mittagessen nicht am langen Tisch der Klubmitglieder zu servieren, sondern in einem der Separees. Natürlich freute er sich über das Wiedersehen mit Arthur. Doch in seiner Rolle als Kriegsminister musste er ihm auch eine schlechte Nachricht schonend beibringen: Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und jeder ein Glas mit einem Aperitif in Händen hielt, fing er an zu erklären. Wellesleys Bruder, Lord Mornington, war von seinem Posten als Generalgouverneur von Britisch-Indien abberufen worden. Er befand sich bereits auf dem Rückweg nach England. Großer Ärger mit der Ostindienkompanie erwartete ihn...und ein Untersuchungsausschuss.

      „Robert, die können nicht einfach so behaupten, dass Mornington dieses Land schlecht verwaltet hat!“ Castlereagh schüttelte den Kopf. Der Kriegsminister vertrat eine etwas andere Meinung als sein Gast. Richard Wellesley Lord Mornington hatte in seinen acht langen Jahren als Generalgouverneur von Britisch-Indien viele Fehler gemacht. Der Letzte war sein übereilter Feldzug gegen Holkar gewesen. Dass diese Schlappe den Einfluss Großbritanniens in Mysore, Bullum, Wynaad und Soonda nicht geschmälert hatte, war alleine der Verdienst seines jüngeren Bruders Arthur gewesen. Nachdem die Kellner ihre Vorspeisen aufgetragen und den Raum wieder verlassen hatten, antwortete Castlereagh seinem Freund: „Es hat eigentlich Nichts mit der Verwaltung der Kolonie zu tun. Es ist mehr Richards unmöglicher Charakter: er hat sich, als Addington noch Premierminister war, hier in London einfach zu viele Feinde gemacht. Der missratene Feldzug und die Niederlage gegen Holkar waren lediglich die beiden letzten Nägel zu seinem Sarg.“

      „Holkar? Monson?“ Arthur verstand nicht. Ein Offizier im Dienste der Ostindien-Kompanie hatte an einem strategisch unwichtigen Ort ein bedeutungsloses Scharmützel verloren. Zur gleichen Zeit hatte er selbst die gesamte Marattha-Konföderation einschließlich ihrer europäischen Söldner bei Assaye vernichtet und General Lake hatte den Anführer der Franzosen Jean-Francois Perron bei Deeg geschlagen. Wieso war ein kleiner Rohrkrepierer plötzlich wichtiger, als eine große Entscheidungsschlacht und ein beeindruckender Sieg? Castlereagh wollte Arthur Wein nachschenken, doch dieser legte seine Hand übers Glas und zog die Stirn in Falten: “Wer steckt hinter dieser Intrige?“

      „Arthur, das ist keine Intrige“, der Blick des Kriegsministers war hart geworden, “aber immer, wenn Dein Bruder Erfolg hatte, dann hat er großartige Berichte nach Hause geschickt und sich dabei stets kräftig selbst auf die eigene Schulter geklopft. Seine Niederlagen, Pleiten und Pannen hat er aber regelmäßig tot geschwiegen oder sogar ganz unverfroren Anderen in die Schuhe geschoben. Die Nachricht über Monsons Niederlage kam auf verschlungenen Pfaden nach London. Richard hat versucht, die Sache zu verschweigen. Der Grund für seinen Fall ist eine Vertrauenskrise. Pitt ist zu krank um ihn zu beschützen und ich habe nicht diese Macht...“, belog Castlereagh seinen Freund unverfroren. Natürlich hätte er Mornington beschützen können, doch es war dem Kriegsminister nicht ungelegen gekommen, dass dieser hinterlistige Ränkeschmied endlich zu Fall kam. Er hatte Arthurs ältesten Bruder nie leiden können. Und Castlereagh spürte, dass lediglich ein einziger Wellesley Potential besaß. Arthur hatte nicht Richards Charisma, aber er hatte enormes militärisches Talent, Integrität und darüber hinaus noch einen ruhigen, ausgeglichenen Charakter. Er wurde scheinbar nicht von gefährlichen Ambitionen getrieben. Trotzdem hatte in Indien bewiesen, dass er auch ein geschickter Diplomat sein konnte. Und er verfügte über eine rasche Intelligenz. Um in militärischen Dingen zwischen den regierenden Konservativen und den Liberalen in der Opposition zu vermitteln, war Arthur wohl nicht die schlechteste Wahl. Vielleicht war er gar, wenn jemand sich nur die Mühe machte, ihm den richtigen Weg zu weisen, ein politischer Faktor von unbekannter Größe.

      Die Bedrohung Englands durch Bonaparte war offensichtlich. Schon bald würden die beiden Kontrahenten sich nicht mehr nur zur See gegenüber stehen. Der Kriegsminister hatte alle Berichte über Arthurs erfolgreiche militärische Operationen in Indien sorgfältig studiert. Castlereagh hatte bereits nach dem Sturm auf Seringapatam begriffen, dass sein Freund aus Kindertagen eine außergewöhnliche Begabung in militärischen Dingen besaß. Was der Kriegsminister mit noch größerem Interesse studiert hatte, als die rein