Adler und Leopard Teil 1. Peter Urban. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Urban
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847618317
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sich gewünscht haben. Er ist nicht nur in seinen eigenen Kreisen beliebt, sondern hat es auch geschafft, zusätzliche, konservative Wähler anzuziehen. Er überfordert nie den Intellekt seiner Zuhörer. Er rührt auch nicht an den traditionellen Vorurteilen, die die protestantische Wähler, vor allem die Kaufleute und die andere Mitglieder der gewerbetreibenden Mittelschicht des County Galway haben!“

      Die jüngeren Richmond-Schwestern waren folgsam neben ihrer Mutter stehen geblieben. Sie lächelten charmant, hielten den Mund und benahmen sich so, wie man es von braven Töchtern aus gutem Haus erwartete. Sarah gab Georgiana und Lady Bessborough ein Zeichen mit dem Kopf. Dann verschwand sie in der Menge. Sie war nicht auf diesen Ball gekommen, um vorgestellt zu werden. Sie hielt auch nicht nach einem Ehemann Ausschau. Nach den Maßgaben der guten Gesellschaft gehörte sie mit ihren siebenundzwanzig Jahre bereits zum alten Eisen. Man hatte sie als einen unbelehrbaren und unverbesserlichen Blaustrumpf abgelegt. Da ihr Vater, der Herzog von Richmond, sich allerdings noch in Irland aufhielt und sie nicht zu diesem Fest begleiten konnte, übernahm Sarah gekonnt die Rolle, die ansonsten dem Ehemann oder einem ältesten Sohn zugefallen wäre: Sie besorgte für Georgiana und Lady Bessborough zwei Gläser mit kühlem Champagner. Dann rief sie drei jüngere, unverheiratete Herren aus der näheren Bekanntschaft der Familie freundlich aber bestimmt dazu auf, mit ihren kleinen Schwestern zu tanzen. Als alle versorgt waren, suchte sie sich einen Sitzplatz am Rande der Tanzfläche, um darüber zu wachen, dass sich sowohl die Tanzpartner, als auch ihrer jüngeren Schwestern gesittet benahmen. Ab und zu grüßte Sarah jemanden oder winkten Freunden zu. Natürlich tanzte sie selbst auch gerne. Wenn ein geistreicher und interessanter Partner sie aufforderte, konnte sie Stunden zufrieden in einem Ballsaal verbringen. Doch an diesem Abend war sie nicht gekommen, um sich zu vergnügen. Ihre Mutter und Ann Bessborough mussten sich wieder einmal auf neutralem Boden unauffällig besprechen. Es ging um ein Thema von höchster, politischer Brisanz. Aus diesem Grund hatte Sarah ihrer Mutter versprochen, die drei Js im Auge zu behalten: Jane, Jemima und Justinia.

      Ihre jüngeren Schwestern hatten aus einer Laune der Natur heraus jeweils nur ein Jahr Altersunterschied. Wohl aus einer ähnlichen Laune heraus hatte Georgiana beschlossen, das Trio gleichzeitig in die gute Gesellschaft einzuführen. Natürlich waren die Js zum Heiraten noch viel zu jung. Aber sie hatte gedrängelt und wie immer hatte man dem Quengeln der Kinder nachgegeben. Während Sarah an ihrem Glas nippte und die Js mit ihren Kavalieren beobachtete, ging ihr durch den Kopf, wie sonderbar es doch war, das ausgerechnet ihr Vater, der im gesamten Königreich als knallharter Politiker berüchtigt war, seiner Familie gegenüber so unglaublich nachgiebig war. Zuvor, als er noch Soldat gewesen war, war er auch nicht gerade Samthandschuhen angehabt. Trotzdem schlug er keinem seiner neun Kinder auch nur den geringsten Wunsch ab, egal wie verrückt oder hanebüchen dieser war. Als sie selbst mit knapp achtzehn Jahren losgezogen war, um zu studieren, hatte ihr Vater sie nicht nur heimlich unterstützt. Er hatte sie sogar noch darin bestärkt, ihren eigenen Weg zu gehen. Er hatte sie nie gezwungen, den Konventionen der Gesellschaft zu gehorchen. Und er hatte ihr Recht gegeben, als sie verkündet hatte, dass sie nicht, wie alle Mädchen heiraten wollte, sondern lieber ihr Leben der Wissenschaft verschrieb. Sarah war felsenfest davon überzeugt, dass Georgiana noch heute einen gewaltigen Wutanfall bekommen würde, wenn sie je erfahren sollte, wie tief ihr Gemahl wirklich in das waghalsige und skandalöse Studienprojekt seiner ältesten Tochter in Montpellier verstrickt gewesen war.

      „Guten Abend, Sarah.“, riss eine unbekannte und doch irgendwie vertraute Stimme sie aus den Betrachtungen über ihr glückliches Familienleben. Ohne um Erlaubnis zu bitten, hatte ein Mann in einer schlichten, dunkelgrünen Redingote neben ihr Platz genommen. Das Kleidungsstück wirkte ein bisschen altmodisch und angestaubt, wenn man es mit der Aufmachung der anderen Männer im Ballsaal verglich. Er hatte graublaue, durchdringende Augen und entgegen der Gepflogenheiten trug er sein schwarzes Haar streichholzkurz geschnitten und nicht eingepudert. Das Gesicht kamen ihr auch irgendwie bekannt vor. “Ich bin überrascht, eine junge Dame vor mir zu sehen, wo ich nur ein wildes Kind in Erinnerung habe!“, half der Mann ihr ein wenig auf die Sprünge. Sarah schüttelte den Kopf und lachte: “General Sir Arthur Wellesley, Ritter des Bath-Orden, Sieger von Assaye, Argaum, Gawilghur und weiß der Himmel was noch alles ...“, entfuhr es ihr. Freundschaftlich nahm sie seine Hände in die Ihren und hielt sie ganz fest. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie diesen scheuen, etwas linkischen Iren, der so oft bei ihren Eltern zu Gast gewesen war immer sehr gerne gemocht: “Ich wusste gar nicht, dass Du wieder in London bist, mein lieber Arthur! Gütiger Himmel! Du hast Dich verändert! Ich erkenne Dich nicht wieder!“, Von ihrer letzten Begegnung mit Wellesley vor etwas mehr als zehn Jahren hatte Sarah noch eine wage Erinnerung an eine schüchterne, schmalbrüstige und etwas kränklich wirkende Vogelscheuche in einer abgetragenen, roten Uniform. Heute saß ein großer, breitschultriger und braun gebrannter Soldat mit kantigen Gesichtszügen und imposanter Adlernase neben ihr. Er strotzte vor Kraft und Gesundheit und machte überhaupt keinen schüchternen, verträumten Eindruck auf sie. Seine kalten Augen und der harte Zug um den Mund erschreckten Sarah sogar ein wenig: „Willkommen daheim, mein lieber Arthur! Ich freue mich, dass Du unbesiegt aus Indien zurückkehrst. Erzähl mir einfach alles. Was hast Du in den letzten Jahren angestellt?“

      „Erzähl mir lieber, was aus Dir geworden ist, Kleine.“, neckte Wellesley Sarah, „Unbesiegbare Generäle sind ein langweiliges Gesprächsthema!“ Der Offizier bot der jungen Frau den Arm an. Zusammen suchten sie sich einen Platz an einem Fenster, um abseits der Tanzfläche in Ruhe miteinander zu plaudern. Eine halbe Stunde später war Sarah in ihrer Erzählung bereits bei der Rückkehr nach England und dem abenteuerlichen Weg über den Kanal angekommen. „Wie hast Du das bloß angestellt? In dieser Gegend wimmelte es damals doch regelrecht von streitlustigen Franzosen.“, Wellesley war beeindruckt. Er hatte eine große Schwäche für unabhängige, intelligente Frauen. Er nickte Sarah bewundernd zu.

      „Ich habe mich verkleidet, Arthur. In Hosen und die Haare unter einer Mütze versteckt. Hungrige Studenten auf klapprigen Pferden fallen niemandem auf“, beendete sie belustigt ihre Geschichte, “und jetzt, wo Du alles über mich weißt, ist es nur fair, wenn Du mir von Indien erzählst. Wir haben hier ja lediglich den Trubel um Assaye mitbekommen. Papa hat mir...“ Ein kleiner Schatten huschte über das Gesicht des Generals. Kaum merklich verzog sich sein Mund, wie ungehalten. Doch seine guten Manieren gewannen schnell wieder die Oberhand. Er hatte keine Lust über den Krieg zu sprechen. Doch er wollte Sarah nicht verärgern. Darum beschloss er, die Flucht nach vorne zu wagen: „Wenn ich jetzt aufhöre, Dich mit Fragen zu quälen, gewährst Du mir dann diesen Tanz?“ Sarah verstanden, was man ihr höflich mitzuteilen versuchte. Sie seufzte ergeben, legte ihre Hand auf Wellesleys angebotenen Arm und schwebte an einer üppigen Blumendekoration vorbei auf die Tanzfläche. Die Kapelle begann eine Quadrille zu spielen. Sie hatte gerade noch Zeit ihre Füße und ihre Schleppe zu ordnen, als sie schon aufs Parkett gewirbelt wurde. Die Augen ihres Tanzpartners blitzten sie vergnügt und ein bisschen hinterhältig an. Zum Reden und Ausfragen blieb hier keine Zeit. Dazu war das Gedränge auf der Tanzfläche zu groß. Wer Zusammenstöße vermeiden wollte, musste sich konzentrieren. Schon bald stellte sich zwischen ihnen ein vertrautes Gefühl ein. Arthur war der erste Mann, mit dem Sarah je getanzt hatte. Es war vor einer halben Ewigkeit gewesen, auf einem Fest auf dem Landsitz ihrer Eltern! Sie hatte noch keine dreizehn Lenze gezählt. Von allen unbeachtet, war sie traurig in einer Ecke gesessen. Die jungen Herren hatten eine Vorliebe für junge Damen im heiratsfähigen Alter. Daran hatte sich bis zu diesem Tage nicht viel geändert. Keiner der damals eingeladenen Offiziere und Gentlemen wäre auch nur auf die Idee gekommen, mit einem Kind zu tanzen, nur um es zu amüsieren. Arthur hatte auch eine hübsche Kleine am Arm gehabt und sich mit ihr vergnügt. Doch irgendwann war ihm Sarahs tieftrauriger Blick aufgefallen und ihre sehnsuchtsvollen Augen, die sie auf die Tanzfläche gerichtet hatte. Ziemlich herzlos hatte er seine Kleine an irgendeinen Offizierskameraden weitergereicht. Und dann hatte er sich in aller Form vor Sarah verbeugt. Als die Musik verklang, knickste sie vor ihm und bedankte sich, genauso, wie sie es damals mit dreizehn Jahren getan hatte. Der kalte Schleier über seinen Augen hob sich kurz und machte einem Lächeln Platz: „Du siehst einfach bezaubernd aus, Sarah! Genauso bezaubernd, wie damals...“, flüsterte er ihr zu. „Damals hast Du mir meist Dornen aus den Fingern gezogen, oder mir die aufgeschlagenen Knie mit Deinem Taschentuch verbunden...“, erwiderte die junge Frau amüsiert.

      Die