In der stattlichen Abtei St. Gallen war große Sorge
um den lieben Wein. Es war eben ein durstiges Jahr
gewesen und lange Jahre nichts Erkleckliches nachgewachsen;
nur noch zween Ohmfässer lagerten voll in
dem großen Abteikeller, die reichten voraussichtlich
nicht mehr weit, und dann wäre den frommen Vätern
eine weinlose, schier schreckliche Zeit gekommen. Da
wendete Gott das Herz eines frommen und heiligen
Mannes, des Bischof Adalrich in der alten Stadt
Augsburg, daß er den nicht weniger frommen Vätern
zu St. Gallen ein ganzes Stückfaß voll Wein in ihre
Abtei verehrte. Da kam aber die Nachricht nach St.
Gallen, das Faß sei unterwegs im Rhein ertrunken,
der Fuhrmann habe auf der steilen Brücke über den
Fluß in der Nähe des Bodensees die Pferde allzuhart
angetrieben, da sei die Achse gebrochen und das Faß
hinab in den Strudel gestürzt. Das war ein Schrecken!
Ohne Säumen berief der Abt den Konvent, und bald
wallte eine lange Prozession mit Kreuz und Kirchenfahnen
und Heiligenbildern von St. Gallen herab,
sang und betete und kniete am Strudel, und die Küper
des Klosters suchten mit Stricken das Faß zu fahen,
das glücklicherweise noch unversehrt war und im
Strudel tanzte. Wäre der Strudel nicht gewesen, so
wäre das Stückfaß längst in den Bodensee geflossen,
und ward allda ersichtlich, wozu manchmal ein Strudel
gut ist. Nach mancher Mühe gelang es unter
Gebet und Fürbitte der lieben Gottesheiligen, das
Stückfaß an den Strand zu ziehen, und nun wurde es
bekränzt und im Triumphe nach der Abtei geführt,
allwo ein Dankfest mit einem Te Deum laudamus
und vielen Trankopfern gefeiert ward.
Solches ist wahr und wahrhaftig geschehen, aber
»das Märlein gar schnurrig« vom Abt von St. Gallen
und dem Kaiser mit den drei Fragen hat sich mitnichten
alldort begeben, sondern mit einem Abt von Kentelbury
in Altengland, und ward nur durch Dichtermund
auf deutschen Boden verpflanzt.
5. Dagoberts Zeichen
Es war ein König im Frankenreiche, Dagobert, ein
Sohn Chlotars und Herr über Austrasien. Von dessen
Taten leben noch in Sagen viele Kunden. Er führte
große Kriege gegen die Sachsen und war dabei fromm
und kostfrei. Selbst gegen Tiere übte er Milde, und es
ging von ihm das Sprüchwort im Volke um: Wann
König Dagobert gegessen hat, so läßt er auch seine
Hunde essen, und eine andere Rede ward ihm nachgesagt,
daß er auf seinem Sterbelager zu seinen Hunden
gesprochen habe: Ihr guten Hunde, es ist doch keine
Gesellschaft im Leben also gut, daß man sie nicht
verlassen und von ihr abscheiden müsse. – Auf seinen
Zügen drang König Dagobert auch bis in das Schweizer
Alpenland und bis dahin, wo man die Landschaft
vorzugsweise das Rheintal nennt, und ließ dort in die
Talfelsen einen großen halben Mond einhauen, als
Grenzzeichen seines Reiches.
Da es mit dem guten Könige Dagobert zum Sterben
gekommen war, erfaßten die Teufel seine Seele
und brachten sie auf ein Schiff, mit ihr von dannen zu
fahren. Solches ließ Gott der Herr geschehen, weil der
König noch nicht gereinigt und gelöset war von aller
Schuld. König Dagobert hatte aber einen Freund am
heiligen Dionysius, dessen Gebeine er dereinst aufge-
funden mit Hülfe seiner so sehr geliebten Hunde, und
welchen Heiligen der König stets in stärksten Ehren
hielt, dafür dieser ihn auch stetiglich schirmte und
schützte. Da nun, als Dagobert verstorben war, erbat
der Heilige die Erlaubnis von Gott dem Herrn, des
Königs Seele zu retten, und als er die erhalten, fuhr er
im Geleite anderer Gottesheiligen und vieler Engel
zur See und dem Schiffe nach, darauf die Teufel mit
Dagoberts Seele waren. Darauf entspann sich ein harter
Kampf zwischen Engeln, Heiligen und Teufeln um
des Königs Seele, in welchem die ersteren Sieger blieben,
und trugen alsbald die Engel die Seele Dagoberts
in den Schoß der ewigen Gnade, die Heiligen aber
kehrten in das himmlische Paradies zurück.
6. Die Tellensage
Lieder und Chroniken des Schweizerlandes preisen
den Tell als den Befreier von hartem und lastendem
Druck, als den Schöpfer der Schweizerfreiheit, und in
alle Lande ist sein Ruhm erklungen, und ist ewig fortlebend
und unaustilgbar.
Es war zu den Zeiten, da Kaiser Albrecht von
Österreich regierte, der war ein strenger und heftiger
Herr und suchte, daß er sein Land mehre; so kaufte er
viele Städte, Flecken und Burgen in dem Schweizerland,
setzte auch in dieselben Landvögte ein, die in
seinem Namen regierten. Drei Schweizerstädte und
Landschaften aber wollten nichts von dem Österreicher
wissen noch haben; da sandte ihnen der Kaiser
zwei edle Boten, den Herrn von Liechtenstein und den
Herrn von Ochsenstein, die mußten den Orten vortragen,
daß sie sich doch sollten in Österreichs Schutz
und Schirm begeben, da könnten sie es mit der ganzen
Welt aufnehmen und ihr trutzen, wollten sie das aber
nicht, so wolle der Österreicher ihr Feind sein, und
sollten sie sich nichts Gutes von ihm zu versehen
haben. Aber da sprachen die Männer von Schwyz:
Liebe Herren, wir wollen dem Hause Österreich gern
in allen Ehren zu Lieb und zu Dienst sein, aber wir
wollen doch bei unsrer alten Freiheit bleiben, die
noch niemalen ein Fürst oder Herzog angetastet hat. –
Auf diese Rede brachen die Abgesandten rasch auf
und ritten stracks nach Uri und Unterwalden, dort,
dachten sie, würden