Die kleine Fadette. George Sand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753161495
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und wollte dies auch seinem Bruder begreiflich machen, daß Liebe und Freundschaft, wenn sie in ein Übermaß ausarten, sogar vom Übel werden können. Sylvinet wollte dies durchaus nicht einsehen, und betrachtete es sogar als eine große Härte von Seiten seines Bruders, daß er ihm nur so etwas sagen könne. Von dieser Auffassung ließ er sich so beherrschen, daß er mit seinem Bruder zu grollen begann, und Wochen vorüber gehen ließ, ohne einen Besuch in la Priche zu machen, obgleich er sich vor Sehnsucht darnach verzehrte. Dennoch versagte er sich die Befriedigung derselben und setzte seinen Stolz in eine Enthaltsamkeit, in der er ihn gar nicht hätte suchen sollen.

      Es kam sogar so weit, daß Sylvinet, wie ein Wort das andere gibt, und aus einer Kränkung die andere erwächst, alles, was Landry Verständiges und Wohlmeinendes ihm sagte, um ihm den Kopf wieder zurecht zu setzten, stets nur noch übler aufnahm. Schließlich wurde der Arme so erfüllt von Verdruß und Groll, daß es Augenblicke gab, in denen er sich einbildete seinen Bruder, diesen Gegenstand seiner leidenschaftlichen Liebe, zu hassen; ja, er verließ sogar an einem Sonntage das Haus, nur um nicht mit seinem Bruder zusammen zu treffen, der auch nicht ein einziges Mal verfehlt hatte, sich an diesem Tage einzufinden.

      Landry fühlte sich durch dieses kindische Gebahren sehr gekränkt. Er war ein Freund des Vergnügens, und liebte selbst die laute Lustbarkeit, weil er sich mit jedem Tage kräftiger und freier fühlte. Bei allen Spielen bewährte er den geschmeidigsten Körper und das geübteste Auge. Es war also ein kleines Opfer, das er seinem Bruder brachte, wenn er jeden Sonntag der lustigen Gesellschaft der Burschen von la Priche entsagte, um den ganzen Tag auf dem Zwillingshofe zu verbringen; zumal, da er Sylvinet gar nicht dazu bringen konnte auf dem Dorfplatze von la Cosse mitzuspielen, oder mit anderen einen gemeinsamen Spaziergang zu machen. Der arme Knabe, der an Körper und Geist vielmehr Kind geblieben war, als sein Bruder, und der nur von dem Gedanken beseelt war, diesen einzig und allein zu lieben, und von ihm ebenso wieder geliebt zu werden, wollte, daß er ganz allein mit ihm ihre Orte wieder aufsuchen sollte, wie er sich ausdrückte, das heißt also: die Winkel und Verstecke, wo sie ihre Spiele getrieben hatten, denen sie jetzt entwachsen waren. Wie zum Beispiel: kleine Schubkarren von Weidengerten zu machen, oder Mühlen aus Hobelspänen, oder Schlingen, um kleine Vögel darin zu fangen; oder sogar Häuschen aus Kieselsteinen aufzubauen, und mit Feldern zu umgeben, so groß wie ein Taschentuch, welche die Kinder sich das Ansehen geben zu bebauen, indem sie im kleinen nachahmen, was sie die erwachsenen Landleute tun sehen, wie: Säen, Eggen, Mähen und das Einführen von Ernten. So lehren die Kinder sich unter einander in einer Stunde alle die verschiedenen Arbeiten des Ackerbaues und der Ernte, wie sie auf den Feldern im Verlaufe eines Jahres verrichtet werden.

      Diese Unterhaltungen waren nicht mehr nach Landrys Geschmack, welcher jetzt selbst die Sache im großen betrieb, wenn auch als Gehilfe, und der es vorzog ein großes mit sechs Ochsen bespanntes Fuhrwerk zu leiten, als die aus Zweigen gefertigten Wägelchen an den Schwanz seines Hundes zu befestigen. Er hätte viel lieber mit den kräftigen Burschen des Ortes sich im Ringen geübt, oder Kegel geschoben, da er die Geschicklichkeit erlangt hatte auf dreißig Schritt Entfernung den besten Wurf zu tun. Wenn Sylvinet sich bewegen ließ ihn an solche Orte der Lustbarkeit zu begleiten, setzte er sich, statt mit zu spielen, ohne ein Wort zu reden, in einen Winkel, wo er sich langweilte und sich abhärmte, wenn er sah, wie Landry durch das Vergnügen am Spiel in Feuer geriet.

      Endlich hatte Landry in la Priche sogar tanzen gelernt und obgleich ihm die Lust dazu erst spät gekommen war, weil Sylvinet nie Geschmack daran finden wollte, tanzte er doch schon eben so gut wie die anderen Burschen, die sich von Kindesbeinen an damit befaßt hatten. Er galt in la Priche für den besten Ouadrillentänzer, und wenn er auch noch kein Vergnügen daran fand, die Mädchen zu küssen, wie dies bei jedem Tanz der Brauch ist, so war er doch dazu bereit, ihnen diesen Kuß zu geben, weil er dadurch das Ansehen erhielt aus dem Knabenalter herausgetreten zu sein. Es wäre ihm sogar lieb gewesen, wenn sich die Mädchen gegen seinen Kuß etwas gesträubt hätten, weil sie dies den erwachsenen Burschen gegenüber zu tun pflegten. Aber das fiel ihnen gar nicht ein; selbst die größten nahmen ihn lachend beim Kragen, um sich küssen zu lassen, was ihn übrigens etwas verdroß.

      Ein einziges Mal hatte Sylvinet ihn tanzen sehen, und hatte dabei den größten Verdruß empfunden. Als er sah, wie Landry eine der Töchter des Vater Caillaud küßte, geriet er so in Zorn, daß er vor Eifersucht weinte und den Brauch gradezu unanständig und unchristlich fand.

      So oft also Landry sein Vergnügen aus Freundschaft für seinen Bruder opferte, verbrachte er den Sonntag in wenig unterhaltender Weise. Dennoch verfehlte er nie sich zur bestimmten Zeit auf dem Zwillingshofe einzufinden, in der Meinung Sylvinet werde ihm dafür erkenntlich sein, und der Gedanke seinen Bruder zufrieden gestellt zu haben, ließ ihn gern ein wenig Langeweile verschmerzen.

      Als er nun aber eines Tages erfuhr, daß sein Bruder, der ihm im Laufe der Woche eine kleine Zänkerei angezettelt hatte, aus dem Hause fortgegangen war, um sich nicht mit ihm zu versöhnen, empfand er dies als eine tiefe Kränkung. Zum ersten Male, seitdem er das Elternhaus verlassen hatte, ging er an einen einsamen Ort, im Verborgenen seine heißen Tränen zu vergießen, denn er hatte sich stets geschämt seinen Kummer vor seinen Eltern blicken zu lassen; auch fürchtete er den ihrigen, den sie vielleicht haben mochten, dadurch zu vermehren.

      Wenn jemand ein Recht gehabt hätte eifersüchtig zu sein, so wäre dies viel eher Landry gewesen, als Sylvinet. Dieser war es ja, den die Mutter am meisten liebte, und sogar der Vater Barbeau, wenn er auch eine heimliche Vorliebe für Landry empfand, zeigte sich Sylvinet gegenüber doch gefälliger und nachsichtiger. Dieses arme Kind wurde als das weniger kräftige und weniger verständige, auch am meisten verzogen, und man fürchtete sogar ihn zu ärgern. Da er in der Familie blieb, war ihm das bessere Los zugefallen, während sein Bruder statt seiner das Elternhaus verlassen und die Bürde des Dienens auf sich genommen hatte.

      Es war zum ersten Male, daß der gute Landry sich dies alles klar machte, und zu der Erkenntnis gelangte, daß sein Zwillingsbruder durchaus ungerecht sei. Bis dahin hatte sein gutes Herz ihn darüber getäuscht, daß er das Unrecht seines Bruders nicht einsehen konnte. Statt eine Klage gegen diesen zu erheben, hatte er sich vielmehr selbst beschuldigt, daß er auch gar zu gesund sei, und mit zu übermäßigem Eifer der Arbeit und dem Vergnügen nachgehe, und daß er sich nicht wie sein Bruder darauf verstehe, sanfte Reden zu führen, oder zarte Aufmerksamkeiten zu ersinnen. Dieses Mal aber wußte er sich auch nicht der geringsten Kleinigkeit zu erinnern, womit er sich an der brüderlichen Liebe versündigt haben konnte. Ja, um an dem heutigen Tage nur kommen zu können, hatte er einer schönen Partie entsagen müssen, welche die Burschen von la Priche zum Krebsfang veranstalten wollten, und mit der sie schon die ganze Woche über beschäftigt gewesen waren. Sie hatten Landry sehr viel Vergnügen dabei in Aussicht gestellt, wenn er nur mit ihnen gehen wolle. Um seinen Bruder heute zu sehen, hatte er also einer großen Versuchung widerstehen müssen, und das will in diesem Alter viel sagen. Nachdem er sich tüchtig ausgeweint hatte und seine Tränen trocknete, hörte er ganz in seiner Nähe noch eine andere Person weinen, die dazwischen auch mit sich selbst sprach, wie dies die Frauen auf dem Lande häufig zu tun pflegen, wenn sie einen großen Kummer haben. Landry erkannte rasch, daß es seine Mutter war, und eilte zu ihr hin.

      »Ach! mein Gott,« sagte sie schluchzend, »wie vielen Kummer mir dieses Kind bereitet! Ich werde noch darüber zu Grunde gehen, das ist gewiß.«

      »Bin ich es, liebe Mutter, der dir so viele Sorgen macht?« rief Landry und fiel ihr um den Hals. »Wenn ich es bin, so strafe mich doch, aber höre auf zu weinen. Ich weiß nicht, wodurch ich dich betrübt haben könnte, aber das ist alles einerlei, ich bitte dich um Verzeihung.«

      In diesem Augenblicke wurde es der Mutter klar, daß Landry keineswegs ein hartes Herz hatte, wie sie es oft geglaubt hatte. Sie schloß ihn gerührt in ihre Arme, und ohne selbst recht zu wissen, was sie tat, so sehr war sie vom Schmerz ergriffen, sagte sie ihm, daß sie sich über Sylvinet beklage und nicht über ihn. Was ihn betreffe, so habe sie sich einige Male ungerechten Vorstellungen über ihn hingegeben, und dafür tue sie ihm jetzt Abbitte. Wie es ihr scheine, sei Sylvinet daran toll zu werden, und sie sei in der größten Unruhe darüber, weil er vor Tagesanbruch fortgegangen sei, ohne auch nur das Geringste genossen zu haben. Die Sonne neigte sich jetzt dem Untergange zu, und er war noch immer nicht zurück. Um Mittag war er in