Vater Barbeau ließ sich belehren, und er sah ein, das Sylvinets Sehnsucht nach seinem Zwillingsbruder nur immer mehr zunehmen werde, je häufiger er ihn sehen würde. Er nahm sich deshalb vor am nächsten Johannistag für Sylvinet einen Dienst zu suchen. Er hoffte, daß dieser, wenn er Landry immer weniger sehen würde, sich schließlich daran gewöhnen werde, wie alle anderen zu leben, und sich nicht mehr von einem Gefühl bewältigen zu lassen, das in ein krankhaftes Verlangen zu entarten drohte.
Aber vor der Mutter Barbeau durfte noch nicht von diesem Plane geredet werden, denn schon bei der ersten Andeutung davon, weinte sie sich halbtot. Sie meinte, Sylvinet könne daran zu Grunde gehen, und der Vater Barbeau wußte sich wirklich nicht mehr zu helfen.
Landry, der von seinem Vater, seinem Herrn und auch von seiner Mutter zu Rate gezogen wurde, unterließ nicht, seinem armen Bruder zuzureden. Sylvinet wußte gegen seine Vorstellungen durchaus nichts einzuwenden, versprach auch alles, konnte sich aber nicht überwinden. Es kam bei seinem Schmerz noch etwas anderes in Betracht, wovon er aber nichts verlauten ließ, weil er auch gar nicht gewußt hätte, wie er es vorbringen sollte. Dies war nämlich, daß im Innersten seines Herzens in Bezug auf Landry eine ebenso heftige wie sonderbare Eifersucht zu keimen begann. Er fühlte sich befriedigt, ja mehr als je zuvor, wenn er sah, wie Landry bei jedermann in Ansehen stand, wie er von seiner Dienstherrschaft so freundschaftlich behandelt wurde, als ob er ein Kind des Hauses sei. Wenn ihn dies nun auf der einen Seite erfreute, so betrübte und kränkte es ihn auf der anderen, sobald er zu bemerken glaubte, daß Landry diese freundschaftlichen Beziehungen zu sehr erwidere. Er konnte es nicht leiden, wenn Landry auf ein Wort des Vaters Caillaud, wie unbestimmt und gelassen es geäußert sein mochte, dem Wunsch desselben zu willfahren, rasch davoneilte, Vater, Mutter und Bruder in solchen Augenblicken bei Seite lassend. Landry war also viel besorgter seiner Dienstpflicht etwas zu vergehen, als er die Anhänglichkeit der Seinigen zu schätzen wußte, und viel pünktlicher im Gehorsam, als Sylvinet dazu im Stande gewesen sein würde, wenn es sich darum gehandelt hätte, einige Augenblicke länger mit jemandem zu verweilen, der ihm mit so treuer Liebe ergeben war.
Der arme Bursche setzte sich jetzt eine neue Grille in den Kopf, an die er zuvor nicht gedacht hatte, nämlich die: daß die Liebe und Freundschaft, die er für seinen Bruder empfand, nicht erwidert würden, und daß dies auch immer so gewesen sein müsse, nur er selbst habe es nicht eingesehen. Freilich war es auch möglich, daß die Liebe seines Zwillingsbruders erst seit einiger Zeit für ihn erkaltet war, weil er am fremden Ort Personen gefunden hatte, die ihm besser gefielen und passender erschienen.
7
Landry selbst hatte gar keine Ahnung von der Eifersucht seines Bruders, denn derartige Empfindungen waren seinem Wesen durchaus fremd, und so lange er lebte, war er noch nie auf irgend etwas eifersüchtig gewesen. Wenn Sylvinet kam, ihn in la Priche zu besuchen, nahm Landry ihn mit und zeigte ihm, um ihn zu zerstreuen, die großen Ochsen, die schönen Kühe, den Schafstall und die reichen Ernten auf dem Anwesen des Vaters Caillaud. Landry schätzte und würdigte das alles, nicht aus Neid, sondern weil er Geschmack fand an der ländlichen Arbeit und an der Viehzucht, und weil er einen offnen Sinn hatte für das Schöne und Nützliche, was alle diese Dinge mit sich brachten. Er hatte seine Freude daran, wenn die junge Stute, die er auf die Wiese führte, recht sauber, wohl genährt und glänzend war. Er konnte es nicht leiden, wenn auch nur die unbedeutendste Arbeit in oberflächlicher Weise verrichtet wurde, noch daß irgend etwas, das gedeihlich und nutzbringend werden konnte, vernachlässigt und verachtet wurde, als ob es nicht auch zu den Gaben des lieben Gottes gehört hätte. Sylvinet betrachtete alle diese Dinge mit gleichgültigen Augen und wunderte sich, wie sein Bruder so großen Anteil daran nehmen konnte. So fand er überall wieder einen Grund zum Argwohn und sprach zu Landry:
»Du bist ja ganz vernarrt in diese großen Ochsen; du denkst wohl gar nicht mehr an unsere kleinen Stiere, die so feurig und doch so sanft und folgsam mit uns beiden waren. Von dir ließen sie sich noch williger anschirren als von unserem Vater. Du hast mich auch noch nicht einmal nach unserer Kuh gefragt, die doch so gute Milch gibt, und die mich jetzt immer so betrübt ansieht, wenn ich ihr das Futter bringe; es ist grade, als ob sie es verstände, daß ich nur ganz allein bin, und als ob sie mich fragen wollte, wo denn der andere Zwilling sei.«
»Sie ist ein gutes Tier, das ist wahr,« sagte Landry; »aber betrachte einmal diese hier! gleich wird sie gemolken und in deinem ganzen Leben hast du noch nicht eine so reichliche Milch gesehen.«
»Das mag sein,« erwiderte Sylvinet; »aber daß die Milch und der Rahm ebensogut wären, wie die von unserer braunen, da wette ich doch, daß dies nicht der Fall ist, denn die Futterkräuter vom Zwillingshofe sind besser, als die hier wachsen.«
»Den Teufel auch!« fuhr Landry auf, »ich möchte doch wohl überzeugt sein, daß unser Vater gern tauschen würde, wenn man ihm die schönen Heuernten, die Vater Caillaud von seinen Wiesen heimführt, für seinen Binsenwuchs an den Ufern des Baches böte!«
»Bah!« hob Sylvinet wieder an und zuckte mit den Achseln, »es gibt in dem Schilfgrunde viel schönere Bäume, als alle die eurigen sind, und was das Heu betrifft, wenn es auch spärlicher wächst, so ist es doch sein, und wenn es eingefahren wird, verbreitet es den ganzen Weg entlang einen Duft wie Balsam.«
So stritten sie um nichts und wieder nichts, denn Landry wußte recht gut, daß es kein schöneres Anwesen gibt als das, was man selbst besitzt; und Sylvinet dachte bei allen seinen Behauptungen im Grunde nicht mehr an das väterliche Besitztum, als an irgend ein anderes, indem er das Anwesen in la Priche herabsetzte. Aber aus allen diesen Wortfechtereien ging es klar hervor: daß der eine der beiden Brüder sich damit begnügte, zu arbeiten und zu leben, einerlei wo und wie dies geschah; und daß der andere gar nicht begreifen konnte, wie es nur möglich sei, daß sein Bruder fern von ihm, auch nur einen Augenblick des Behagens und der Ruhe genießen könne.
Wenn Landry ihn in den Garten seines Herrn führte und zufällig einmal das trauliche Gespräch mit ihm unterbrach, um von einem Pfropfreis einen abgestorbenen Zweig abzuschneiden, oder um ein Unkraut auszureißen, das dem Wachstum der Gemüse hinderlich war, ärgerte sich Sylvinet, daß sein Bruder stets an Ordnung und fremden Dienst denken konnte, statt wie er es tat, mit gespannter Aufmerksamkeit auf das geringste Wort seines Bruders zu horchen. Er hütete sich aber wohl etwas davon merken zu lassen, denn er schämte sich, daß er so leicht zu ärgern war; aber, wenn der Augenblick der Trennung kam, pflegte er wiederholt zu sagen: »Nun, für heute hast du wohl genug an mir gehabt; vielleicht gar zu viel, daß dir die Zeit darüber lang geworden ist.«
Landry konnte diese Vorwürfe nicht verstehen; sie waren ihm peinlich, und er begriff nicht, warum sein Bruder sich in solchen Anspielungen erging; dieser aber wollte und konnte sich nicht weiter darüber erklären.
Wenn der arme Bursche schon auf die geringsten Dinge, die Landry beschäftigten, eifersüchtig war, wie viel mehr war er dies auf die Personen, denen Landry eine Anhänglichkeit bewies. Er konnte es nicht vertragen, daß dieser mit den anderen Burschen in la Priche in freundlichem Verkehr stand; und wenn er sah, daß er sich mit der kleinen Solange befaßte, sie liebkoste, oder mit ihr spielte, hielt er ihm vor, daß er seine kleine Schwester Nanette vergesse, die, nach seiner Meinung, doch tausendmal zierlicher, hübscher und liebenswürdiger sei, als jenes garstige kleine Ding.
Da es nun einmal in der Natur der Eifersucht liegt, niemals gerecht sein zu können, schien es ihm wiederum, daß Landry sich, wenn er auf den Zwillingshof kam, viel zu viel mit seiner kleinen Schwester beschäftigte. Sylvinet warf ihm vor, nur für sie Auge und Ohr zu haben, und daß er selbst ihm langweilig und gleichgültig sei.
Endlich wurde er in seiner Freundschaft so anspruchsvoll und geriet in eine so traurige Verstimmung, daß Landry darunter zu leiden begann, und weder Glück noch Freude darin finden konnte zu häufig mit seinem Bruder zusammen zu sein. Es ermüdete ihn etwas, immer wieder denselben Vorwurf hören zu müssen, daß er sich so gut in sein Schicksal gefunden habe, und er hätte auf den Gedanken kommen können,