„War das schon immer so?“, fragte Jo und wunderte sich selbst darüber, dass sie an diesen brutalen Kerl überhaupt einen weiteren Gedanken verschwendete.
„Nein, aber das ist eine lange Geschichte, belassen wir es lieber dabei.“ Rose seufzte. „Lassen Sie uns lieber mit der Bestandsaufnahme weitermachen und zum Rosengarten gehen. Die Wege sind nach langem Regen leider immer matschig und müssten befestigt werden.“
„Dafür würde ich Ihnen Bruch-Granitplatten vorschlagen, die sehen ursprünglich aus und passen damit wunderbar in das natürliche Gesamtkonzept, das mir vorschwebt.“
„Bitte, hören wir doch mit den Förmlichkeiten auf und sagen einfach du, ja?“
„Gern.“
Kurz darauf erreichten sie einen verwilderten Rosengarten. In seiner Mitte befand sich ein eingefallenes Teehäuschen im englischen Stil, dessen Reste erkennen ließen, dass es einmal von einer Kletterrose erobert worden war.
„Der Rosengarten ist nach französischem Vorbild angelegt worden und der Pavillon war ein englisches Teehäuschen, nicht wahr?“
Rose’ Gesicht hellte sich auf. „Ja, da hast du recht. Es ist der Lieblingsplatz unserer Sarah für den Nachmittagstee und der Ort, an dem unsere Ärztin gern ihre Staffelei aufstellt und sich entspannt.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Hoffentlich war keiner drin, als das Dach eingestürzt ist.“
„Doch, und um ehrlich zu sein, ist er bei einem Streit unter Liebenden zusammengebrochen.“
Rose lächelte.
„Na ja, so morsch wie das Holz ist, war dazu nicht viel Kraft nötig. Hoffentlich ist keiner verletzt worden.“
„Nichts, was nicht innerhalb von ein paar Minuten … Ich meine nein, nicht ernsthaft.“
Rose klang, als hätte sie beinahe ein Geheimnis verraten. Jo kannte sich mit so etwas aus, aber sie wandte ihre Gedanken schnell wieder dem Teehäuschen zu. In seiner Glanzzeit musste das ein herrlicher und sehr romantischer Ort gewesen sein. Obwohl verwildert, dufteten die Rosen wunderbar. Nachher würde sie über die alten schmalen Wege schlendern und ihre Nase mit dem Duft der verschiedenen Blüten verwöhnen. Ein kleiner Ausgleich für den schmerzhaften Anfang ihres Auftrags.
„Ich kann schon jetzt einige alte Sorten identifizieren, die man heute als wahre Schätze bezeichnet und kaum noch zu sehen bekommt. Dieser Garten muss sehr alt sein.“
„Ja, den Rosengarten gab es schon hier, als das Gelände noch als Kloster genutzt wurde.“
„Wie wäre es, wenn ich den alten Stil beibehalte? Ich liebe diese alten Dinge.“
„Davon gibt es hier mehr, als du denkst“, murmelte Rose schmunzelnd und sagte dann lauter: „Ich glaube, das wäre den Bewohnern hier sehr recht.“
„Ein neues Teehäuschen im originalen, englischen Stil würde perfekt hier hineinpassen und ich habe auch einen entsprechenden Händler an er Hand. Morgen schicke ich dir die ersten Vorschläge.“
„Ich muss mal kurz rein und nach Alice sehen, sonst holt sie sich ein Eis nach dem anderen aus dem Gefrierfach. Ich bin in ein paar Minuten wieder da, einverstanden?“
„Kein Problem. Ich messe hier inzwischen das Fundament für die richtige Größe des Teehäuschens aus.“
„Gut, wenn du damit fertig bist, bevor ich zurück bin, dann geh ruhig schon mal vor zu unserem Teich. Der ist völlig – na ja, schau ihn dir einfach an. Siehst du, er liegt da hinten?“
„Ja, ich kann ihn sehen.“
Rose joggte schon beinahe zum alten Klostergebäude zurück. Kein Wunder, denn Alice wirkte vorhin wie ein cleveres Mädchen und hatte inzwischen vielleicht schon das dritte Eis im Mund. Jo musste schmunzeln.
***
Um in das Büro seines Anführers zu kommen, musste Quint durch „Elias Reich“, so stand es auf dem Schild ihres Computerfreaks.
„Hey, Quint, wie ich höre, hast du eine neue Waffengattung entdeckt“, nervte ihn der stets gut gelaunte Elia mit einem Grinsen. „Und deine Begrüßung war umwerfend. Agnus und Alva haben durch die Außenkamera alles live und in Farbe mitbekommen, mach dich auf was gefasst.“
„Mir doch egal!“, rief er mies gelaunt und stieß die Glastür zu seinem Chef auf. Alva, die Frau von Agnus, hatte sich auf die Kante von dessen Schreibtisch gesetzt und blickte ihn scharf an. Dann stand sie auf und wandte sich an ihren Mann.
„Kümmerst du dich um Quint? Ich kümmere mich um den Schaden, den er angerichtet hat.“
Sie schnappte sich ihren Arztkoffer vom Boden und verließ mit grimmiger Miene das Büro.
Wie üblich wartete Agnus, bis seine Frau außer Sicht- und Hörweite war, dann stand er auf und meinte: „Alva ist stinksauer.“
„Mir doch egal.“
Die Faust seines Anführers traf ihn wie aus dem Nichts. Er hörte das Knacken seiner Kinnlade, während er durch den Raum flog und so heftig an die Wand krachte, dass der Putz bröckelte. Damit hatte Quint schon gerechnet, rieb eher beiläufig sein Kinn und rappelte sich wieder auf.
Zwei von Agnus’ Wänden waren nicht aus Glas und der nun fehlende Putz passte gut zu den anderen Löchern, die von ähnlichen Vorfällen herrührten. Sein Chef war nicht von der geduldigen, nachsichtigen Sorte. Aber als Anführer aller Wächter – und das seit mehr als sieben Jahrhunderten – durfte Agnus das auch nicht sein. Quint hätte sich keinen Geeigneteren für das Amt vorstellen können.
„Was ist nur in dich gefahren, Quint?! Hast du endgültig die Kontrolle verloren?“
„Diese Frau ist ein Sicherheitsrisiko, Agnus!“
„Ich frage mich inzwischen, ob du eines bist, Quint!“
„Im Ernstfall wärt ihr alle froh über meine Reaktion gewesen! Und ich würde jederzeit wieder so handeln.“
„John hat zu unserer eigenen Sicherheit hier eine perfekte Tarnung für uns aufgebaut. Wir sind offiziell eine Agentur für Bodyguards. Und du veranstaltest so einen Scheiß hier! Was hast du dir nur dabei gedacht?“
„Ich wollte ja ihre Erinnerung daran löschen, aber Alice …“
„Red dich nicht raus, Quint! Ich habe schon öfter gehört, dass du Frauen hasst, aber das schlägt dem Fass den Boden aus.“
„Diese Frau ist ein untragbares Risiko, Agnus! Zahl ihr eine Abfindung und schmeiß sie sofort raus. Wenn’s sein muss, mäh ich auch mal den Rasen und stutz mit ’ner Axt das Grünzeug.“
Agnus setzte sich wieder und atmete tief durch.
„Du bist ein prima Wächter, Quint. Und ich weiß, dass du im 18. Jahrhundert Fallensteller und Pelzjäger in Kanada warst und später mit deiner Mutter Pferde gezüchtet hast, aber einen grünen Daumen hast du ganz sicher nicht.“ Sein Chef musterte ihn von oben bis unten und schüttelte den Kopf. „Deine Daumen sind eher dreckbraun, genau wie der Rest von dir. Du stinkst, dass ich fast kotzen muss.“
„Ich hatte …“
„Hör schon auf, Quint. Dass du dich so gehen lässt – wir wissen beide, seit wann das so ist. Aber wie auch immer: Du bist für unsere Sicherheit verantwortlich, solange John weg ist. Du wirst diese Frau im Auge behalten. Und ich meine im Auge und nicht in den Händen, klar?“
„Aber sie ist …“
„John und Elia haben sie überprüft, zum Donnerwetter! Sie wird hier arbeiten und du wirst sie ihre Arbeit in Ruhe machen lassen, geht das in deinen Schädel? Keine Verzögerungen. Je schneller sie hier fertig ist, desto lieber ist es mir.“
Quint wollte erneut protestieren, doch Agnus stoppte ihn schon im Ansatz: „Nur wenn