möglichst alles mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, was nicht ganz "keimfrei" ist, also nach Ängsten und Komplexen riecht.
Dies gilt insbesondere für die Sexualität, die ebenfalls möglichst
"repressionsfrei" ausgelebt werden soll usw. Angst gilt als "böse", als ebensolches "Satanswerk" wie früher die Ausschweifung und Zügellosigkeit.
Nun soll hier gewiss nicht kritisiert werden, daß die Psychologie danach strebt, den Menschen zu befreien. Das will die Magie, und gerade die Sexualmagie, schließlich auch. Doch geht letztere dabei etwas andere und, wie wir meinen, vernünftigere, wirkungsvollere und realistischere Wege. Denn den völlig angstfreien Menschen gibt es nicht, ja kann es gar nicht geben. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Angst eine wesentliche Grundbedingung für
das biologische Überleben darstellt. Überlebenstrieb und Angst vor dem Tod
sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wäre nicht die Angst vor dem Erfrieren, der Hungersnot und dem Verdursten, es gäbe weder Kleidung noch Architektur, weder Ackerbau, weder Nahrungsmittelsilos noch Trinkwasserbecken -kurz um, überhaupt keine Zivilisation und Kultur.
Doch damit nicht genug. In der Magie spielt die Angst oft eine entscheidende
Rolle, verleiht sie doch gewaltige Kraft, wenn man nur richtig mit ihr umgeht.
Aus diesem Grund galt in der Magie des Mittelalters auch das Prinzip der "Einweihung durch Schrecken": der Aspirant musste nach manchen seelischen Torturen beispielsweise zu Neumond bzw. Mitternacht (also zur ominösen, unheilvollen "Geisterstunde") in einer Gruft oder auf dem Friedhof schaurige Beschwörungen durchführen, womöglich ein Blutopfer darbringen, sich den "Mächten der Hölle" stellen usw. Schamanismus und Kaula Tantra kennen übrigens ähnliche Praktiken. Angst ist sogar eine Grundenergie der Dämonenevokation. Ohne Angst und Schrecken sind Dämonen in der Regel
nicht sichtbar zu evozieren, sie "ernähren" sich gewissermaßen von dieser Kraft des Magiers.
Ein weiteres Problem beim Umgang mit der Sexualität sind die Tabus. Doch
auch diese haben ihren eigenen Wert. Im Tantra wird systematisch damit gearbeitet, etwa beim Pancha makara, bei dem der bewusste Tabubruch auf dem Gebiet der Ernährung und der Sexualität (z.B. Inzesttabus) als Energiequelle für die weiterführende Meditation und
Bewusstseinserweiterung dient. Wie bei der in schamanischen Kulturen (und
auch heute bei uns noch unter Kindern und Banden von Jugendlichen und Heranwachsenden) üblichen Mutprobe, stellt das Springen über den eigenen Schatten einen wichtigen Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Selbstbestimmtheit dar. Nicht jeder wir d so weit gehen wollen wie der Chaos - Magier, der konsequenterweise gelegentlich auch im
Sexuellen die Ekeltrance sucht, um mit dieser magisch zu arbeiten. Doch sollte
die dahinter stehende Grundstruktur für jeden Sexualmagier verbindlich sein:
durch den Einsatz bizarrer, ungewohnter und dem Verstand oft abstrus erscheinender Praktiken erhalten wir Zugang zu jenen veränderten Bewußtseinszuständen, welche, wie schon erwähnt, den Schlüssel zur
magischen Kraft darstellen.
Flüchten Sie sich dabei jedoch im eigenen Interesse nicht in Ausreden wie: "Das brauche ich nicht, ich komme auch so in gnostische Trance"; oder: "Derartig drastische Methoden sind doch unnatürlich und gefährlich" usw. Zum einen zeigen solche Ausflüchte in der Regel genau jene Hebelpunkte auf, an denen
man ansetzen muss, will man mit der magischen Entwicklung
(und der Entwicklung zum Magier!) ernst machen. Zum anderen ist Trance nicht gleich Trance, und das gilt, auch für die gnostische. Mit etwas Erfahrung werden Sie feststellen, dass die Magis (übrigens ähnlich wie Chi oder Prana) durchaus unterschiedliche Qualitäten haben kann, je nachdem, mit welchen Mitteln wir
sie freisetzen.
Der Laie und Anfänger unterscheidet meistens nur zwischen "schwächerer" und
"stärkerer" magischer Energie; von daher rühren auch die Vorurteile, die man manchen Magieformen entgegenbringt ("Schwarze Magie ist mächtiger als
Weiße Magie" Voodoo ist stärker als westliche, "Magie" usw.). Der erfahrene Magier hingegen weiß genauer zu differenzieren.
Er unterscheidet, sofern er Pragmatiker ist, stets situativ: Jede magische
Operation bedarf nämlich imgrunde einer eigenen Form der Magis, und diese freizusetzen gelingt nur durch die Kombinatorik bestimmter Techniken, Reize
und Trancen. Das ist ein sehr individueller Vorgang, und es lassen sich daher keine starren Regeln für ein "korrektes" Verfahren aufstellen. So wird der eine Magier beispielsweise für die Geldmagie ausschließlich planetenmagische Operationen mit dem Jupiter - und Merkur - Prinzip wählen, während
sein Kollege sich dabei ebenso ausschließlich der Sigillenmagie bedient; ein anderer schwört dafür auf die Sexualmagie usw. Magie ist nicht zuletzt auch die Kunst, diese Kombinatorik der Energien zu beherrschen und stets das Angemessenste und Erfolg Versprechende zu tun. Das lässt sich aber nur durch Intuition und viel Erfahrung erreichen, und aus diesem Grund bleibt es keinem Magier erspart, mit möglichst vielen
Techniken und Methoden zu experimentieren, um sie aus eigener Anschauung heraus beurteilen zu können.
Auch in der Magie gibt es, wie in jeder anderen Disziplin, Buchhalter - ,
Künstler - und Forschernaturen, wird phantasielos oder phantasievoll
gearbeitet. Das ist eine Sache des Talents und des Temperaments, doch strebt
der Magier auch, anders als der Durchschnittsmensch, in der Regel nicht danach, sich möglichst bald eine möglichst wasserdichte und katastrophenarme Realität zusammenzuzimmern; er sucht vielmehr (auch das unterscheidet ihn zunächst
vom Mystiker) die Vielfalt, eben das bunte Leben. Es versteht sich von selbst, dass dazu auch der Mut gehört, nicht nur die Tabus anderer zu brechen, sondern vor allem auch die eigenen.
Sind Ihnen bestimmte sexuelle Praktiken sehr stark zuwider, können Sie sicher sein, dass an diesen Punkten auch sehr starke innere Energien gebunden sind. Zwingen Sie sich
bewusst zur Auseinandersetzung mit diesen Praktiken, so werden Sie unweigerlich feststellen, dass dies in Ihnen eine ganz andere Kraft und Magis freisetzt, als dies bei weniger verfänglichen Techniken der Fall gewesen wäre.
Das bedeutet freilich nicht, dass Sie deshalb dabei auch eine besonders
angenehme Erfahrung machen werden, oft ist das genaue Gegenteil der Fall.
Aber die "Einweihung durch Schrecken" war und ist ja
auch nie eine angenehme oder gar "gemütliche" Erfahrung, und doch führt sie
oft sehr viel gründlicher, schneller und effektiver zum nächsten Teilziel, als dies
die Zimperlichkeit vermag. Dies sollten Sie stets bedenken, bevor Sie sich dazu entschließen, eine bestimmte sexualmagische Erfahrung zu verweigern (was allerdings durchaus auch sinnvoll sein kann!).
Andererseits ist ein erzwungener Tabubruch nur eine sinnlose Quälerei, wenn
nicht dahinter die richtige Einstellung und Zielsetzung steht. Nackte Angst allein macht noch keine Einweihung, auch nicht die Tatsache, dass man sie vielleicht überlebt oder überwunden hat. Aus diesem Grunde ist es auch so wichtig, was übrigens alle guten Magiebücher betonen, dass der Magier zu seinem eigenen Willen findet, dass er ein Ziel vor Augen hat und weiß, weshalb er den
Tabubruch begehen muss und will. Dies im Alleingang zu tun, ist oft sehr schwierig, weshalb sich auch manch ein angehender Adept nach einem Meister oder Lehrer sehnt. Doch hat das Meister - Schüler - Prinzip auch seine Tücken: Zwingt der Meister den Schüler wider dessen Wollen (nicht "Willen"!) zu bestimmten Dingen, richtet