allem die Erfahrung und die Ekstase (ebenfalls eine Form der gnostischen
Trance!) in den Vordergrund zu stellen. Wir haben am Schluss dieses Buchs
auch ein sexualmystisches Ritual geschildert, das zur Abrundung und Ergänzung dient. In Wirklichkeit ist die Trennung Magie / Mystik ab einer gewissen Stufe nämlich nur noch eine künstliche und wirkt geradezu albern: Denn
schlussendlich werden Magier und Mystiker irgendwann wieder eins - weil sie nämlich beide zu Gott werden und schon insofern ihr Schöpfungsrecht
wahrnehmen und ausüben, und sei es oft auch nur durch den Verzicht auf seine
Ausübung!
DER UMGANG MIT DER SEXUALITÄT
Es wurde schon darauf hingewiesen: die Einstellung zur Sexualität des
Menschen bewegte sich im Laufe der Geschichte stets innerhalb zweier
Extreme. Entweder man verteufelte das Geschlechtliche als "Satanslust" und als gefährlichen Trieb, der gesellschaftliche Ordnung und Seelenheil bedrohte, oder man "übersakralisierte" es, machte es zu etwas außerordentlich Heiligem und Sakrosanktem. In beiden Fällen war der Effekt in etwa der gleiche: die
Sexualität galt als "unantastbar", sei es, weil sie den Menschen befleckte, sei es, weil der Menschen in seiner eigenen Unreinheit Gefahr lief, dieses "Himmelsgeschenk" seinerseits zu beschmutzen.
Die Folge waren Neurosen und Verdrängungen, Tabus und Verklemmtheiten,
die auch heute noch weitgehend unsere Sexualität im allgemeinen prägen, wenngleich inzwischen oft vielleicht eher unbewusst. Denn obwohl zumindest
im Abendland die allgemeine Einstellung zur Sexualität inzwischen nach außen
hin liberaler geworden sein mag, wenngleich die Zügel gewiss etwas gelockert wurden, hat sich der Mensch innerlich noch lange nicht zu jener äußeren
Freiheit hinentwickelt, sind Eifersuchtsdramen und Entfremdung, Leeregefühl
und Impotenz nach wie vor an der Tagesordnung, steigt die Zahl der Triebverbrechen unverändert, findet die Sexualität immer mehr auf der
Bildebene der Pornographie, also im "Kopf" statt, anstatt den ganzen Körper des Menschen zu erfassen und zu umfassen. Das Ergebnis ist eine sexuelle Frustration, die den Glauben an die befreiende Wirkung der Sexualität, an ihre Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung des Einzelnen in Frage
stellt und schließlich in Ekel und Skepsis umschlagen lässt.
Das gilt übrigens nicht nur im Westen allein, diese Misere findet vielmehr
weltweit statt. Gerade die von schwärmerischen Naturen so hoch gepriesenen klassischen Länder "orientalischer Liebeskunst", etwa Indien, China, der
arabisch - islamische Kulturraum usw. kennen heute die größten Tabus und die schärfsten Strafen für jene, die sie übertreten oder brechen. Die Prüderie ist international und keinesfalls nur auf die katholische Kirche und ihre
puritanischen Ableger beschränkt.
Auf der Strecke bleibt dabei natürlich der Mensch: Da verfügt diese "Krone der Schöpfung" über eine Energiequelle allererster Güte, über eine Kraft, die das ganze Leben, wie wir es kennen, prägt, durchzieht und überhaupt erst möglich macht, und was tut er damit? Er fürchtet sich vor ihr, er verdrängt sie, lässt ihr allenfalls im verschämten ehelichen oder außerehelichen Kämmerlein oder in
der geistlosen Un - Erotik der Peepshows Raum, sich - mit stark beschnittenen Flügeln - zu entfalten. Daran ändert auch die gängige Promiskuität und das Gedeihen von Sexclubs und Bordellen nicht viel, im Gegenteil:
Derlei Erscheinungen sind ja nun nicht gerade neu, doch dürfte unsere Epoche
wahrscheinlich den Vogel in Sachen "lustlose Lust" abschießen. Die Hetzjagd nach der sexuellen Erfüllung geht, trotz Kinsey - Report und
Liebeshandbüchern, trotz Sexualtherapien und sexueller Emanzipation, unvermindert weiter, gelegentlich unterbrochen (oder gar noch angestachelt?)
von Faktoren wie der jüngsten Herpes - und AIDS - Hysterie und ähnlichen, oft als "Geißeln Gottes" gedeuteten, Selbstbestrafungsmechanismen.
Als Charles Darwin seine Evolutionstheorie entwickelte und, etwas verkürzt formuliert, nachzuweisen versuchte, dass der Mensch im Prinzip vom Affen abstammt, ging ein Aufschrei der Empörung durch die europäische Zivilisation. Als Sigmund Freud, ein knappes Halbjahrhundert später, den Sexualtrieb zum Seelenfaktor Nummer eins erklärte und sich anschickte, den Menschen vor
allem als triebgeprägt zu deuten, ja einen Großteil seiner seelischen Störungen
auf den falschen Umgang mit diesem Trieb zurückzuführen, da war erneut buchstäblich die Hölle los. Wieder waren es Kirche und Reaktion, die sich (zum Teil noch bis heute) gegen ein solches Menschenbild stemmten und dagegen Sturm liefen. In beiden Fällen war das Grundmotiv das gleiche: Man weigerte sich, die "Tiernatur" des Menschen anzuerkennen, einmal genetisch (Darwin), einmal sexualistisch (Freud). Gerade im Falle Freuds werden die Unterdrückungsmechanismen besonders deutlich, hatten doch schon die (heidnischen!) altgriechischen Philosophen die Sexualität als "tierischen" Trieb abgestempelt, den es zu überwinden galt. Man sollte sich freilich nicht allzu überheblich über derlei Reaktionen mokieren. Dahinter stand immerhin einmal mehr eine Ur - Angst, die Angst nämlich, der ganze mühsame Evolutionsprozeß (der ja Interessanterweise, zumindest was die kulturell - sittliche Entwicklung
und die Heilsgeschichte anbelangt, auch von Darwins Kritikern weitgehend anerkannt wurde) könne gefährdet sein.
Sollte denn wirklich nach zigtausendjähriger Entwicklung als Fazit nichts
anderes übrig geblieben sein als daß der Mensch im Grunde doch nur ein Tier
sei, und gar nicht einmal unbedingt ein viel besseres als die anderen? Wir
werden auf diesen Tieraspekt noch zurückkommen, wenn wir uns mit der atavistischen Magie befassen. Hier möge fürs erste die Feststellung genügen,
dass diese entwicklungsgeschichtlichen Ausführungen nötig sind, um uns Klarheit über unsere heutige Position zu verschaffen, um zu erkennen, daß wir auch das weltanschauliche Erbe unserer Vorfahren in uns tragen, nicht nur das
genetische!
Denn eines hat sich trotz aller Veränderungen bis in unsere Zeit erhalten: die
Angst vor der Sexualität! Nun hat die moderne Psychologie auf mannigfache Weise ihre Schlüsse und Konsequenzen aus dieser "Angstnatur" des Menschen gezogen. Hört man heutige Psychologen über ihre Disziplin sprechen, so fällt
auf, dass sie sehr oft ein neues Menschenbild vertreten, das jeder von uns in größerem oder geringerem Ausmaß bereits
verinnerlicht hat: nämlich die Utopie vom angstfreien Menschen. Schon Freud und Adler wollten den Menschen von seinen Komplexen und Neurosen
befreien, Groddek strebte mit seiner Psychosomatik das gleiche an, und heute sind die Zeitschriften voll von Begriffen wie "angst - und repressionsfreie Pädagogik", "Befreiung von Sexualängsten", zwangsfreie Partnerschaft" usw. Prüfen Sie sich doch einmal " selbst: Meinen nicht auch Sie, daß es das Ziel des Menschen sein sollte, möglichst "frei" zu sein, nämlich frei von Ängsten und Zwängen, von Verdrängungen und Hemmungen, von Komplexen und Neurosen, kurz von Zwangsverhalten aller Art?
Diese Einstellung hat zu mancherlei Exzessen geführt, von denen einige inzwischen bereits wieder fast in Vergessenheit geraten sind (man denke etwa
an die Kommunen der Apo - Zeit oder an die "antiautoritäre Erziehung nach
dem Prinzip Summerhill o.ä.). Hängen geblieben ist nach den stürmischen spät sechziger Jahren, etwas überspitzt