Einen besonderen Tiefschlag zum Beispiel, hatte ihr einer ihrer frühesten Liebhaber, ein verwegener Schilehrer-Typ, versetzt. Sie war damals noch deutlich unter Zwanzig. Während seiner sportlich straffen Stöße sah er sie immer wieder kurz an, um gleich darauf für längere Zeit die Augen zu schließen. Nachdem sich dieser Vorgang mehrere Male wiederholt hatte, meinte er in keuchender Euphorie:
"Pfoh, geil! Ich hab' das G'fühl, i puder' die Kate Moss!"
Derartige Erfahrungen veranlassten Sonja, sich unwillkürlich zu verschließen.
Anders ausgedrückt: ein sexueller Höhepunkt war ihr in Gemeinschaft mit einem Mann bis jetzt unbekannt.
Und sie spürte seit der ersten Begegnung mit Bruno, dass den Gipfeln ihrer Freude in seiner Gesellschaft keine Grenzen gesetzt waren.
Wieder fuhren sie mit dem Taxi bis zu ihrer Haustür.
Wieder kam es zum Kuss.
Sonjas Poren öffneten sich; sie nahm Brunos linke Hand und legte sie auf ihren Busen.
Da brach er den Kuss ab. Ruhig und vorwurfsvoll sagte er:
„Sonja bitte, ich mag's nicht wenn Du mich drängst."
Er küsste ihre Hand und verschwand, wie zuletzt, im Dunkel der Nacht.
Und wieder:
Warten, warten, warten -
Durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.
Warten, warten, warten.....
Diesmal musste sich Sonja sechs Tage lang gedulden.....
Dann allerdings kam es zu einer sensationellen Einladung!
Bruno rief an, als Sonja noch im Büro war.
„Sonja! Ist es Dir recht, wenn ich Dich heute Abend mit dem Auto abhole?"
Natürlich war ihr das recht!
Auf ihre Frage, was er denn mit ihr vorhabe, hielt sich Bruno bedeckt.
Seinem Ersuchen, heute Abend keine Jeans sondern lieber einen Rock anzuziehen, kam sie selbstverständlich nach.
Wie verabredet, verließ sie Punkt zwanzig Uhr das Haus und trat auf die Straße.
Sie konnte ihn aber nirgendwo sehen. Er hatte ihr auch nicht gesagt, was für ein Auto er habe.
Sonja stand also auf der Straße und hielt sehnsuchtsvoll Ausschau in die Richtung, aus der Bruno in der Einbahngasse kommen musste.
Sie trug heute den teuren, cremefarbenen Body, den sie am ersten Tag nach Brunos Auftauchen gekauft hatte....
Nach zehn Minuten griff sie manisch zum Handy, unterließ es aber seine Nummer zu wählen, da sie nicht gegen Brunos Verbot verstoßen wollte.
Die wachsende Nervosität brachte sie nicht dazu herumzugehen, vielmehr wurde sie von Minute zu Minute statischer und regloser. Ihr Blick fiel auf die Fensterscheibe eines vor ihr parkenden Autos. Sie sah ihr leicht verzerrtes Spiegelbild....mit den gewellten, offen getragenen Haaren. Der kirschrote Mund und die schon etwas dicker aufgetragene Schminke, die die deutlichen Ansätze ihrer Gramfalten verdecken sollte, gaben ihrem Aussehen etwas Ordinäres, wie sie empfand; sie kam sich vor wie eine Straßenhure.
Ein Gefühl der Apathie lief vom Scheitel abwärts durch ihren Leib und irgendwann spürte sie die Beine nicht mehr. Gelegentlich lehnte sie den Kopf nach hinten und mit dieser Kippbewegung schlossen sich die Augen wie bei manchen Babypuppen, die dabei ein wohliges Säuglingsgeräusch von sich geben.
Aus ihrem Mund löste sich dabei aber ein geflüstertes und trauriges „Komm!"
Sie mochte etwa eine halbe Stunde so gewartet haben, als sich die Tür eines auf der gegenüberliegenden Gassenseite parkenden schwarzen Lancia öffnete, der offenbar schon die ganze Zeit dort gestanden hatte.
Bruno entstieg dem Wagen und kam auf sie zu. Sonja glaubte, zu träumen.
Wieder legte sie den Kopf nach hinten und hauchte schmerzvoll:
„Warum machst Du Dich über mich lustig?"
Meinte sie das Schicksal....oder ihren Schutzengel.....oder ihren Sehsinn?
Bruno jedenfalls fühlte sich angesprochen und sagte:
„Ich mach' mich nicht über Dich lustig. Ich wollte Dich nur in Ruhe beobachten.“ Da fing Sonja an, leise zu weinen. Die Tränen rollten an ihren Wangen herab und sie fragte:
„Warum quälst Du mich so?"
Nach einer kurzen Pause antwortete Bruno:
„Sonja bitte, begrüße mich nicht gleich mit einem Vorwurf. Ich habe geglaubt Du bist nicht so wie alle Frauen. Aber Du hast mich gerade bitter enttäuscht. Schon seit Tagen freue ich mich auf diesen Abend; und jetzt hast Du alles verdorben."
Er drehte sich um, ging zu seinem Wagen und öffnete die Tür.
Sonja schrie auf: „Bruno!!"
Ohne zu schauen lief sie über die Fahrbahn. Sie hörte das ohrenzerreißende Quietschen von Autoreifen und spürte an der rechten Hüfte den harten Stoß eines Autos, das sie eben beinahe überfahren hätte. Sonja nahm dies in ihrem Schrecken gar nicht wahr, beugte sich hastig zu Brunos Lancia, klopfte zaghaft an dessen Seitenfenster und flehte:
„Bruno! Bitte lass mich nicht so stehen! Bitte! Ich bin nicht so wie alle anderen Frauen! Glaub es mir! Bitte!"
Er ließ das Fenster einen spaltbreit herunter und sagte, den Blick melancholisch auf das Lenkrad geheftet:
„Ich bin schon so oft enttäuscht worden."
Dann schwieg er.
Sonja verharrte fünfzehn Sekunden in ihrer Position, dann ging sie um das Auto herum und öffnete schüchtern die Beifahrertür. Sie beugte sich leicht ins Wageninnere und fragte kleinlaut:
„Darf ich mich hineinsetzen?"
Nach einigen endlosen Momenten nickte er wortlos, ohne ihr den Blick zuzuwenden.
Leise, um nur ja nicht zu stören, kauerte sich Sonja auf das schwarze Leder des Beifahrersitzes. Ängstlich blickte sie ihn an.
Am liebsten hätte sie jetzt gesagt - und es lag ihr auch schon auf der Zunge -
'Bruno, ich hab' so eine Sehnsucht nach Dir.'
Sie wollte aber nicht drängend oder gar fordernd wirken und sagte:
„Dein Auto ist schön."
Da wandte ihr Bruno kurz seinen leidenden Blick zu, um schließlich wieder mit enttäuschtem Ausdruck in die Betrachtung des Lenkrades zu versinken.
Nun hielt es Sonja nicht mehr aus und sagte:
„Bruno, ich hab' so eine Sehnsucht nach Dir!"
Da löste er sich aus seinem elegischen Ausdruck, schien plötzlich zu strahlen und sagte: „Ich hab' uns für heute etwas ganz Tolles ausgedacht. Da wirst Du nie draufkommen!"
Er startete den Motor und reversierte den Wagen aus der gar nicht so kleinen Parklücke. Trotzdem hatte er gehörige Mühe damit, der Motor starb viermal ab.
Mit fast schon provokanter Langsamkeit chauffierte er den Wagen unsicher durch die abendlichen Straßen.
Sonja fragte: „Wo fahren wir denn hin?"
Er antwortete: "Bitte nicht reden. Ich muss mich konzentrieren."
Sie verließen das Stadtzentrum und gelangten auf eine große Ausfallstraße.