Die prominente Fernsehschauspielerin: „Wenn man den richtigen Partner hat, dann ist man im siebenten Himmel angekommen, dann funktioniert alles im Leben….“
Begleitet von schmerzhaftem Aufstöhnen, schleuderte Sonja den Radiowecker zu Boden, wo er zertrümmert und stumm liegenblieb .
Sie hatte eine quälende Nacht hinter sich: stundenlang wachliegend, waren die Gedanken um ihre unbefriedigende, ja zutiefst bedrohliche Lebenssituation gekreist.
Nach kurzen Phasen eines seichten Schlafes war sie immer wieder hochgeschreckt und unruhig schlagenden Herzens durch die dunkle Wohnung geirrt. Übermannt von Übelkeit, hatte sie sich übergeben - wie schon so oft während der letzten Wochen. Das seidene Nachthemd war dermaßen durchschwitzt gewesen, dass sie es angeekelt vom Leib riss. Ein paar Schluck Slivowitz, gierig gesoffen, brachten kurze Beruhigung. Splitternackt war sie dann auf dem Bett gelegen; eine kitzelnde Morgenbrise umspielte ihren Leib und ließ die Qual der Sehnsucht wieder aufbrennen…da flüsterte sie mit der selben Zermürbtheit, mit der ein Gefangener nach wochenlanger Folter ein Verbrechen zugibt, das er gar nicht begangen hat:
„Ja, ich gehöre ganz Dir, Bruno! Wo bist Du? Erlöse mich! Bruno! Ich mach‘ alles was Du willst! Und wenn ich dafür sterben müsste!“
Ja aber…was bitte faszinierte sie so an diesem Bruno? Was brachte Sonja dazu, sich ihm in derartig vorbehaltloser Weise auszuliefern? Warum war ihr Selbstbewusstsein dermaßen zerschmettert?
Sie war doch eine wunderschöne Frau – die geradezu bestürzend makellosen Rundungen des Leibes, vermittelten in Gemeinschaft mit ihren klugen, ebenmäßigen Gesichtszügen ein Bild berührender Anmut!
Auch beruflich hatte sie großen Erfolg; als Chefkorrespondentin im „Ministerium zur Überwindung kultureller Gegensätze“ war sie allgemein respektiert und ihre Karriere verlief vielversprechend!
Wie konnte sie also in ein so tiefes Schlamassel geraten?
Gehen wir dieser Frage auf den Grund.
Sonja hatte Bruno vor einem knappen Monat kennengelernt. Ihr Leben war zu jenem Zeitpunkt von einem lähmenden Überdruss bestimmt gewesen; von einer profunden Unzufriedenheit, die immer stärker und stärker zu rumoren anfing. Ein immer spürbarer werdendes Gefühl der Einsamkeit, schleichend wie Metastasen, wurde dadurch begünstigt, dass es keinen Menschen gab, dem sie sich in tieferer Weise verbunden fühlte. Sie war knapp dreißig, Single, der Vater längst tot, die Mutter ausschließlich mit sich beschäftigt, Geschwister gab es keine.
Ihre Freundinnen aus der Schul-und Studentenzeit steckten mittlerweile in festen Beziehungen – und wenn sie nicht schon zwei Kinder hatten, so waren sie zumindest schwanger. Aus den ehemals aufgeschlossenen und abenteuerlustigen Spießgesellinnen hatten sich mit der Zeit betuliche und kindfixierte Nervensägen entwickelt. Alles drehte sich in überprotektiver Weise nur mehr um die 'Kleinen'. Wollte sie jemanden abends besuchen, hieß es: „Nein, bitte nicht. Die Kleine ist gerade am Einschlafen und ihr Rhythmus darf nicht gestört werden."
Oder, als eine Freundin sie eines Nachmittags besuchte, musste sich Sonja drei Stunden lang nonstop anhören, was für Probleme der Kleine mit dem Zahnen hatte....wie schlecht es doch sei, Kinder zu impfen....dass sie gestern beim Kinderarzt war, weil der Kleine schon zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen Durchfall gehabt hatte… und und und.
Richtig unangenehm wurde Sonja zumute, als ihre Freundin den Kleinen am Küchentisch zu wickeln begann. Zu diesem Zwecke musste Sonja drei große Pölster herbeischaffen, die ein Herunterfallen des Kindes vom Küchentisch verhindern sollten. Es überrascht nicht, dass die Tischplatte zunächst mit einem antiseptischen Mittel abgesprüht wurde und Sonja die Pölster mit dem Staubsauger reinigen musste. Als die Mutter die Stoffwindel des kleinen Buben dann öffnete, rollte sie vor Entzücken die Augen und sagte mit begeisterter Ernsthaftigkeit, es gäbe „kein beglückenderes Gefühl, als wohlgeformten Babykot zu riechen."
Es versteht sich von selbst, dass die junge Mutter es für unnötig hielt, den Küchentisch nach dem Wickelvorgang zu säubern.
In signifikanter Weise gingen diese Hochämter der Mütterlichkeit stets mit einem diffusen Zorn auf den jeweiligen Kindsvater einher. Es gab definitiv keine von Sonjas ehemals lebenslustigen Freundinnen, die sich im Laufe eines Gesprächs nicht über ihren Mann zu beklagen begann und sehr bald in weinerliches Jammern darüber verfiel, wie wenig Aufmerksamkeit der Mann doch den Kindern – und vor allem I h r entgegenbrächte. Wie in einer immer wiederkehrenden Litanei, gipfelten die Klagen der Frauen in den beiden Sätzen: „Er redet nicht mit mir!" und: „Er hört mir nicht zu!"
Aus Frustration darüber, sprachen sie ihrem Partner jegliche Kompetenz in Kinderfragen ab und kommentierten jede Fütter-, Wickel- oder sonst irgendwie kindbezogene Handlung des Mannes nur mit herablassender Verachtung und zänkischen Kommentaren.
Die Männer verstanden meistens gar nichts. Ihnen fehlte der Durchblick. Sie erlebten aus ihrer Sicht nur Geringschätzung, die ihnen von den Frauen her entgegenstrahlte; dazu Vorwurfskaskaden und sexuelle Ablehnung.
Und schlussendlich fanden sich beide Partner in einer frustrierend einsamen Lebenssituation wieder.
Haarsträubend waren auch die Berichte über Familienväter, die hinten und vorne bedient werden wollten (wie sie es halt von i h r e n Müttern her gewohnt waren) - obwohl ihre Frauen ebenfalls einen 8-Stunden Arbeitstagtag zu bewältigen und sich zwischendurch auch noch um die Belange der kränkelnden Schwiegermutter gekümmert hatten (ohne deshalb von deren übler Nachrede verschont zu bleiben).
Irgendwann regte sich in Sonja der Verdacht, dass all ihre nun in festen Beziehungen lebenden Freundinnen nur aus einem gesellschaftlichen Imperativ heraus eine Bindung eingegangen waren, der da hieß: Wenn Du keinen Mann hast, bist Du keine vollwertige Frau.
Oder dass die Menschen womöglich gar nicht aus freiem Willen handeln, sondern nur unter dem Diktat der Evolution; und die individuelle Befindlichkeit war der Evolution letzten Endes wurscht - Hauptsache: fortgepflanzt!
Andererseits....wozu es leugnen, ja, Sonja wünschte sich ein Kind!
Gelegentlich begann sie sich selber zu misstrauen; besser gesagt, die Tatsache, dass sich in dieser Angelegenheit immer ein kritisches Aufbäumen in ihr breit machte, verleitete sie allmählich zu dem Gedanken, sie sei vielleicht gar keine 'richtige Frau'.
Aber w e r oder w a s sollte sie denn sein? Eine herzlose Mutation? Eine Supernova im menschlichen Kosmos? Oder war sie vielleicht gar nicht real? War sie nur die Traumgestalt eines gemeinen Gottes? Oder die unausgeklügelte Kunstfigur eines originellen Romanciers?
Dieser Mangel an Gewissheit darüber, wer sie denn eigentlich sei und was sie sich eigentlich w ü n s c h t e, bildete den dissonanten Grundakkord ihres Bewusstseins.
Sie fühlte sich so hilflos.
Bevor wir uns jetzt dazu verleiten lassen, ihr wohlmeinende Ratschläge zuzurufen - indem wir etwa auf die unendliche Freiheit des Single-Daseins verweisen - sollten wir bitte eines nicht übersehen: eigentlich suchte sie ein ernstzunehmendes Vis-á-vis, ein respektvolles Gegenüber dem sie vertrauen und an das sie sich anlehnen könne; jemanden, der sie verstand und akzeptierte wie sie war, dessen Gedanken sie fesselten, dessen Anblick sie beglückte, dessen Töne sie berauschten und dessen Gerüche sie erregten - kurz: sie suchte die große Liebe!
Und das bedeutet, der Weg war bestens geebnet für Bruno, den Erlöser.
Auch die Gegebenheiten im beruflichen Umfeld unterliefen den Wunsch nach Geborgenheit.
Sonjas Anstellung als ‚Chefkorrespondentin im Ministerium zur Überwindung kultureller Gegensätze‘ erforderte ihre Anwesenheit etwa bei Vernissagen oder festlichen Theaterpremieren.
Ursprünglich brachte sie derartigen Veranstaltungen großes Interesse entgegen; konnte man doch dort mit gebildeten und hochkultivierten Menschen zusammentreffen.
Sie hatte diese Aufläufe der Eitelkeiten aber bald satt. Die meisten Künstler waren eine Enttäuschung: