Lausbubengeschichten & Tante Frieda - Teil 2. Ludwig Thoma. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Thoma
Издательство: Bookwire
Серия: Lausbubengeschichten & Tante Frieda
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783742772763
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und hat

       gesagt, sie hat sich vorher ein bißchen geärgert, aber sie weiß, daß es vielleicht nicht recht war,

       und es ist vorbei.

       Die Tante hat ihre Nase gerieben und hat gesagt, daß man sich natürlich nicht ärgern darf, wenn

       man die Wahrheit hört. Sie ist furchtbar gemein. Ich bin hinausgegangen, und meine Mutter hat

       gerufen: »Wo gehst du denn hin, Ludwig? Wir essen gleich.« Ich habe gesagt, ich muß

       geschwind ein unregelmäßiges Verbum anschauen, weil ich vergessen habe, wie es geht.

       Da hat meine Mutter freundlich gelacht und hat gesagt, das ist recht, wenn ich das unregelmäßige

       Verbum studiere, und man muß immer gleich tun, was man sich vornimmt.

       Und zur Tante hat sie gesagt: »Weißt du, Frieda, ich glaube, unser Ludwig hat jetzt den besten

       Willen, daß er auf dem Schimpasium vorwärtskommt.« Ich bin recht laut gegangen bis zu

       meinem Zimmer und habe die Tür aufgemacht, dann bin ich aber ganz still in der Tante ihr

       Zimmer gegangen. Der Papagei hat mich gleich gesehen und ist von der Stange gehupft und in

       das Eck gekrochen. Ich habe schnell das Glas mit Wasser vollgemacht und bin zu ihm hin und

       habe ihn zweimal angespritzt, daß es von seinen Flügeln getropft hat.

       Da hat er die Augen zugemacht, und er hat furchtbar gepfiffen, als wenn ich durch die Finger

       pfeife, und er hat geschrien: »Lora!« Da bin ich geschwind hinaus und in mein Zimmer und habe

       ein Buch genommen. Der Papagei hat noch einmal gepfiffen, und ich habe gleich gehört, wie die

       Tür vom Wohnzimmer aufgegangen ist, und die Tante ist schnell gegangen und hat gesagt: »Ich

       weiß nicht, warum Lorchen ruft.«

       Und dann ist es ein bißchen still gewesen, und dann hat sie in ihrem Zimmer geschrien: »Das ist

       ja eine Gemeinheit! Das arme Tierchen!«

       Und sie hat meine Mutter gerufen, sie soll hergehen und soll es anschauen, wie das Lorchen

       patschnaß ist, und das kann niemand gewesen sein wie der nichtsnutzige Lausbub.

       Das bin ich.

       Meine Mutter hat in mein Zimmer hereingeschaut, und ich habe vor mich hin gemurmelt, als

       wenn ich das unregelmäßige Verbum lerne.

       Da hat sie gesagt: »Ludwig, hast du den Papagei naß gemacht?«

       Ich habe ganz zerstreut aus meinem Buch gesehen.

       »Was für einen Papagei?« habe ich gefragt.

       »Der Tante ihren Papagei«, hat sie gesagt. Da bin ich ganz beleidigt gewesen. Und ich habe

       gesagt, warum ich immer alles bin, und ich habe doch mein unregelmäßiges Verbum studiert, und

       ich kann es jetzt, und auf einmal soll ich einen Papagei naß gemacht haben.

       Die Tante ist auch an die Tür gekommen und hat gerufen: »Wer ist es denn sonst?« Ich habe

       gesagt, das weiß ich nicht, vielleicht ist es der Schreiner Michel gewesen, der hat eine

       Holzspritze und kann furchtbar weit spritzen damit.

       Die Tante hat gesagt, ich soll mitgehen, sie muß es üntersuchen, und meine Mutter ist auch

       mitgegangen.

       Wie wir in das Zimmer hinein sind, hat der Papagei gleich den Kopf unter die Flügel versteckt

       und hat furchtbar gepfiffen und hat seine Augen auf mich gerollt.

       Die Tante hat geschrien: »Siehst du, er ist es gewesen! Mein Lorchen ist so klug!«

       Meine Mutter hat gesagt: »Wenn er aber doch sein unregelmäßiges Verbum studiert hat!«

       »Du glaubst immer deinen Kindern«, hat die Tante gesagt. »Davon kommt es, daß sie so

       werden.«

       Ich habe beim Fenster hinausgeschaut, und ich habe gesagt, ich glaube, daß der Michel vom

       Gartenzaun herübergespritzt hat, weil das Fenster offen ist. Die Tante hat gesagt, es ist viel zu

       weit und viel zu hoch, und dann muß man es doch am Fenster sehen, und das Fenster ist kein

       bißchen naß. ich sagte, der Michel kann furchtbar gut zielen, und ich bin es einmal nicht

       gewesen.

       Da hat Ännchen gerufen, daß wir zum Essen kommen, die Suppe steht schon auf dem Tisch, und

       wir sind gegangen. Der Papagei hat sich immer geschüttelt und hat die Federn aufgestellt, und die

       Tante hat gesagt: »Mein Lorchen muß keine Angst nicht haben. Ich lasse mein Lorchen nicht

       mehr naß machen.«

       Und sie hat mich furchtbar angeschaut, und der Papagei hat mich auch furchtbar angeschaut.

       Aber ich habe gedacht, er wird noch viel ärger schauen, wenn das Pulver losgeht.

       Beim Essen ist die Tante noch immer zornig gewesen; man hat es gekannt, weil ihre Nase vorne

       ganz weiß war und weil sie mit dem Löffel so schnell die Suppe gerührt hat.

       Meine Mutter hat gesagt, sie soll sich die Freude von der Ankunft nicht verderben lassen.

       Da hat sie gesagt, daß sie keine Freude nicht hat, wenn man ihr zuerst bös ist, weil sie die

       Wahrheit redet, und wenn man ein hilfloses Tier in den Tod treibt.

       »Aber Frieda!« hat meine Mutter gesagt, »er ist doch bloß naß gemacht!« Und Ännchen sagte,

       daß ein kleines Bad keinem Vogel nicht schaden kann.

       Da hat die Tante gesagt, sie wundert sich gar nicht, daß wir alle so feindselig sind, weil sie es

       schon gewohnt ist und weil schon ihre Brüder so waren und haben doch das ganze Geld

       verbraucht. Sie hat so getan, als wenn sie weinen muß, und sie hat sich die Augen gewischt. Aber

       sie hat keine Tränen daran gehabt. Ich habe es deutlich gesehen.

       Meine Mutter ist ganz mitleidig geworden und hat gesagt, daß wir sie alle mögen, weil sie doch

       die Schwester von unserm lieben Papa ist, und sie soll glauben, daß sie auch bei uns daheim ist.

       Da hat die Tante gesagt, sie will uns diesmal verzeihen und sie will nicht mehr daran denken, was

       ihr die Familie schon alles angetan hat.

       Sie ist auf einmal wieder lustig gewesen, und wie der Braten da war, hat sie mit der Gabel nach

       der Kommode gezeigt, wo das Bild vom Steinberger war, und sie hat gefragt: »Was ist das für ein

       häßlicher Mensch?«

       »Wo?« hat meine Mutter gefragt. »Der dort auf der Kommode«, hat sie gesagt.

       Meine Mutter ist ganz rot geworden, und Ännchen ist aufgesprungen und ist hinausgelaufen, und

       man hat durch die Tür gehört, daß sie heult. Meine Mutter hat ihre Haube gerichtet und hat

       gesagt, daß der Steinberger oft zu uns kommt und daß er gar nicht häßlich ist.

       »Er hat aber eine Glatze«, hat meine Tante gesagt. »Und er schielt mit dem linken Auge.«

       »Er schielt nicht«, hat meine Mutter gesagt, »es ist bloß eine schlechte Photographie, und es ist

       überhaupt ein Glück, wenn man ihn kennt, weil er so tüchtig ist.«

       Die Tante hat gesagt, sie will nicht, daß es in der Familie einen Streit gibt wegen einem fremden

       Menschen, aber sie hat nicht gedacht, daß er tüchtig ist,