»Dann würde ich Alles lernen,« dachte sie bei sich, während sie rasch längs des Reitweges durch den Wald dahin schritt. »Es würde meine Pflicht sein, zu studieren, um ihm desto besser bei seinen großen Arbeiten behilflich sein zu können. Da würde nichts Triviales in unserem Leben sein. Bei uns würden die größten Angelegenheiten des Lebens die täglichen Vorkommnisse ausmachen. Es würde sein, als ob ich Pascal geheiratet hätte. Ich würde lernen die Wahrheit in demselben Lichte zu erkennen, in welchem große Männer sie erkannt haben. Und dann würde ich wissen, was ich zu tun habe, wenn ich älter werde; ich würde begreifen, wie es möglich wäre, ein großes Leben zu leben – hier – jetzt – in England! Jetzt habe ich nie das Gefühl der Sicherheit, in irgend einer Beziehung das Rechte zu tun; Alles erscheint mir wie eine Missionsreise zu einem Volke, dessen Sprache mir unbekannt wäre – sicher fühle ich mich nur in Betreff des Bau's guter Wohnungen für ländliche Arbeiter – das ist etwas unzweifelhaft Gutes. O, ich hoffe, ich würde im Stande sein, den Leuten in Lowick gute Wohnungen zu verschaffen! Ich will eine Menge von Plänen zeichnen, so lange ich noch Zeit dazu habe.«
Plötzlich hielt Dorothea in ihrem Ideengange inne und warf sich die anmaßliche Sicherheit vor, mit welcher sie auf noch ganz ungewisse Ereignisse rechnete, als ihr das Erscheinen eines dahergaloppierenden Reiters an einer Biegung des Weges die Notwendigkeit einer gewaltsamen Ablenkung ihrer Gedanken auf einen anderen Gegenstand ersparte. Das gut gewartete kastanienbraune Pferd und zwei schöne Jagdhunde konnten keinen Zweifel darüber lassen, daß der Reiter Niemand Anderes sei als Sir James Chettam. Er erkannte Dorothea, sprang sofort vom Pferde und trat, nachdem er dasselbe seinem Reitknechte übergeben hatte, mit etwas Weißem im Arm, das die beiden Jagdhunde heftig anbellten, auf sie zu.
»Wie freue ich mich, Ihnen zu begegnen, Fräulein Dorothea,« sagte er, indem er den Hut abnahm und sein sanft gewelltes blondes Haar zeigte. »Mir wird dadurch ein Vergnügen, welches ich mir eben zu bereiten dachte, noch früher zu Teil.«
Dorothea fühlte sich durch die Unterbrechung unangenehm berührt. Dieser liebenswürdige Baronet, der ein ganz passender Bewerber um Celien's Hand war, trieb die Beflissenheit, sich der älteren Schwester angenehm zu machen, gar zu weit.
Selbst ein Schwager in spe kann einer künftigen Schwägerin lästig werden, wenn er sich immer in voller Harmonie mit ihr glaubt und sich mit jeder von ihr ausgesprochenen Ansicht einverstanden erklärt, auch wenn er eben vorher das Gegenteil behauptet hat. Daß er so weit fehl gehen könne, sich um sie selbst zu bewerben, fiel ihr nicht ein. Ihre ganze Geistestätigkeit ging in Überzeugungen anderer Art auf. Aber in diesem Augenblicke erschien er ihr wahrhaft zudringlich und seine eleganten Hände mit ihren Grübchen waren ihr geradezu unangenehm. Ihr Missmut machte sie tief erröten, als sie seinen Gruß etwas hochmütig erwiderte. Sir James deutete sich das Erröten in dem für ihn schmeichelhaftesten Sinne und meinte, Dorothea nie so hübsch gesehen zu haben.
»Ich bringe Ihnen einen kleinen Bittsteller,« sagte er, »oder vielmehr, ich bringe ihn, um zu hören, ob er Ihren Beifall findet, bevor er sein Gesuch vorbringt.«
Er präsentierte den weißen Gegenstand, den er unter dem Arme hielt; es war ein Bologneser Hündchen, eines der niedlichsten von der Natur hervorgebrachten Spielzeuge.
»Es ist mir peinlich, diese Geschöpfe zu sehen, die nur als Schoßhündchen auferzogen werden,« erwiderte Dorothea, deren Ansicht sich erst, wie es zu geschehen pflegt, in der Aufregung dieses Augenblicks bildete.
»O warum Das,« entgegnete Sir James, indem er mit Dorotheen weiterging.
»Ich glaube, alle Verzärtelung, mit der man diese Tiere behandelt, macht sie nicht glücklich. Sie sind zu hilflos, ihr Körper ist gar zu zart. Ein Wiesel oder eine Maus, die sich selbst ihren Unterhalt verschaffen, sind interessanter. Ich stelle mir vor, daß die Tiere um uns her den unsrigen ähnliche Seelen haben und entweder ihre eigenen kleinen Angelegenheiten wahrnehmen oder unsere Gefährten werden können, wie Monk hier. Solche Geschöpfe wie dieses da sind Schmarotzer.«
»Es freut mich sehr, daß Sie diese Tiere nicht mögen,« sagte nun der gute Sir James; »ich würde mir nie eines halten; aber die Damen finden gewöhnlich Gefallen an Bologneser Hündchen. Hier John, nehmen Sie den Hund.«
So wurde der nicht zu Gnaden aufgenommene Hund, dessen Nase und Augen ebenso schwarz wie ausdrucksvoll waren, beseitigt, sobald Dorothea sich dahin ausgesprochen hatte, daß es ihm besser wäre, nie geboren zu sein. Sie fand es jedoch notwendig, sich noch näher zu erklären:
»Sie dürfen aber nicht von meinen Gefühlen aus Celia's schließen Ich glaube, sie hat diese kleinen Schoßhunde gern. Sie hatte früher einmal einen kleinen Terrier, den sie sehr liebte. Mich machte das Tier unglücklich, weil ich immer fürchtete, es zu treten. Ich bin etwas kurzsichtig.«
»Sie haben Ihre eigenen Ansichten über Alles, Fräulein Dorothea, und Ihre Ansichten sind immer gut.«
Was konnte Dorothea auf ein so fades Kompliment antworten.
»Wissen Sie, daß ich Sie darum beneide,« fügte Sir James hinzu, während sie in dem raschen von Dorothea angenommenen Schritte mit einander weiter gingen.
»Ich verstehe Sie nicht recht.«
»Ich meine Ihre Fähigkeit, sich eine Ansicht zu bilden. Ich habe wohl meine Ansichten über Personen. Ich weiß, ob mir die Leute gefallen oder nicht. Aber sonst, wissen Sie, wird es mir oft schwer, mich zu entscheiden. Man hört sehr verständige Ansichten für und wider eine Sache.«
»Oder Ansichten, die uns verständig scheinen. Wir wissen vielleicht nicht immer zwischen Sinn und Unsinn zu unterscheiden.«
Dorothea fühlte, daß diese Bemerkung etwas derbe sei.
»Ganz richtig,« erwiderte Sir James, »aber Sie scheinen eben diese Fähigkeit der Unterscheidung zu besitzen.«
»Im Gegenteil, ich fühle mich oft unfähig zu einer Entscheidung, aber das kommt von meiner Unwissenheit; der richtige Schluss ist doch immer vorhanden, wenn ich ihn auch nicht ziehen kann.«
»Ich glaube, es gibt Wenige, die ihn rascher finden würden. Wissen Sie, daß Lovegood mir gestern sagte, daß Sie die besten Ideen über den Bau von kleinen ländlichen Wohnungen hätten – ganz merkwürdig für eine junge Dame, meinte er. Sie sind, um mich seines Ausdrucks zu bedienen, ein wahres Genie. Er teilte mir mit, daß Sie Herrn Brooke veranlassen möchten, einen neuen Complex von kleinen Wohnungen bauen zu lassen, erschien es aber für wenig wahrscheinlich zu halten, daß Ihr Onkel sich dazu verstehen werde. Wissen Sie, das ist eine der Sachen, die ich tun möchte, ich meine auf meinem eigenen Gute. Ich würde mich glücklich schätzen, Ihren Plan auszuführen, wenn Sie mir eine Einsicht in denselben vergönnen wollten. Natürlich ist das Capital verloren, darum sind die Leute dagegen. Die Arbeiter können nie eine Miete bezahlen, die einem angemessenen Kapitalzinse entspricht. Aber bei alledem ist es doch der Mühe wert, die Sache zu unternehmen.«
»Der Mühe wert, das wollt' ich meinen!« sagte Dorothea emphatisch, den kleinen Verdruss von vorhin ganz vergessend. »Nach meiner Meinung verdienen Alle unter uns, die ihre Gutsangehörigen in solchen Schweineställen wohnen lassen, wie wir sie um uns her sehen, mit einer Geißel aus ihren schönen Häusern gepeitscht zu werden. Diese Gutsleute könnten glücklicher sein als wir, wenn ihre Wohnungen wirkliche Häuser wären, wie sie menschlichen Wesen gebühren, von welchen wir Pflichterfüllung und Zuneigung erwarten.«
»Wollen Sie mir Ihren Plan zeigen?«
»Sehr gern. Mein Plan ist gewiß sehr fehlerhaft; aber ich habe mir alle Pläne für ländliche Arbeiterwohnungen in Loudon's Buch genau angesehen und habe mir daraus angeeignet, was mir das Beste schien. O welch ein Glück wäre es, wenn wir hier in der Gegend eine Musterwohnung errichten könnten. Mir scheint, statt des Lazarus, der an unseren Pforten liegt, sollten wir die Schweinestallwohnungen aus unseren Parks verbannen.«
Jetzt war Dorothea in der