Der Kardinal
Eine Biographie
Er ist der Sohn der schönen Fürstin von Ascoli. Sein Vater war irgend ein Abenteurer, er nannte sich damals Marquis Pemba. Aber die Fürstin liebt gerade diesen Sohn. Er erinnert sie an einen Garten, an Venedig und an einen Tag, da sie schöner war als sonst. Darum soll dieser Sohn das Leben haben und einen Namen: Marchese von Villavenetia. Der Marchese von Villavenetia. Der Marchese ist ein schlechter Schüler. Er liebt, den Falken auf der Hand zu fühlen. Sein Lehrer sagt ihm einmal (und der Lehrer weiß nicht viel von der Jagd): »Wie, wenn der Falke einmal nicht wiederkehrt?« »Dann, dann –« sagt der Zögling sehr erregt – »dann werd ich selbst Flügel spüren.« Und er wird ganz rot, als ob er sich verraten hätte. Später, um sein fünfzehntes Jahr, wird er eine Weile still und fleißig. Er liebt die schöne Herzogin Julia von Este. Ein Jahr lang liebt er sie so, – dann geht er und befriedigt sich bei einer blonden Magd – und hat die Liebe vergessen. jetzt beginnen rasche, rauschende Tage. Sein Degen hat selten Nacht. Er kommt nach Venedig und muß an einen Garten denken. Ein Jahr lang sucht er diesen Garten, dann findet er Valenzia. Sie ist groß, golden und stolz. Er kann sie nicht zugleich mit den anderen denken. Er denkt sie überhaupt nicht, er küßt sie. Aber sie hat einen Geliebten. Man sagt sogar, daß sie einen Gatten hat, aber der Geliebte ist gefährlicher. Der Marchese kennt ihn längst. Es gibt seit einem Jahrhundert überall Bilder von ihm. Sie hängen in den dunkelsten Sälen, gewöhnlich über einer Tür, damit die Kinder sie nicht sehen sollen. Sie haben den bösen Blick. Und der Marchese fühlt sich verfolgt davon. Er sieht in jedem Weinglas gespiegelt: diese dunkle, geheimnisvolle, gedrängte Stirn und die geraden schwarzen Brauen an ihrem Saum. Er wird schreckhaft. Er zuckt bei tausend Gelegenheiten zusammen und lacht dann sehr laut. Eines Nachts, da der Vorhang des breiten Bettes sich gerührt hat, springt er aus dem Fenster des Palazzo der Signora in den Kanal. Er hört Schüsse, kommt aber bis zur Piazzetta, wo Fischer ihm helfen.
Zehn Jahre später fährt er nach Venedig, nur um sich jenes Fenster anzusehen. Es ist von feinstem Stil, ein Spitzbogen mit Zierrat, nicht überladen. Das befriedigt ihn. Er ist noch jung, Sekretär des Kardinals Borromeo, und erkennt Venedig wieder. Bei einem Feste sieht er auch Valenzia. Sie ist ganz wie damals, sie kommt auf ihn zu: aber er ist ein anderer, er verneigt sich sehr tief und zieht sich mit dem Senator Gritti zu einem ernsten Gespräch zurück. Gerade vor Ostern wird er Kardinal. Am Auferstehungstag fühlt er die schwere violette Seide von seinen gesunden Schultern rauschen. Er freut sich an den schönen Knaben, die ihm die Schleppe tragen, er freut sich an dem Licht, an dem Glanz, und der Gesang steigt ihm zu Kopf wie Duft von Weinbergen. Über ein Jahr bei den Osterfesten fehlt der Kardinal. Er lebt auf einem seiner Güter und schmückt seine Gärten. Am großen Sonntag sitzt er über den Plänen eines neuen Schlosses. Vielleicht läßt San-Sovin sich noch erbitten, es zu bauen, Am Abend fällt einem Günstling ein, daß Ostern ist. Der Kardinal lacht. Man rüstet rasch ein Fest, und die Mädchen aus Carmagnola kommen, zweimal fünfzig Mädchen.
Der Kardinal hat große Gastlichkeit. Überall erzählt man von ihm. Das Volk hält ihn für einen Zauberer. Zwanzig Maler sind um ihn, zehn Bildhauer arbeiten in seinen Parken, und jeder Dichter vergleicht ihn mit irgendeinem Gott. Eines Tages empfängt er Valenzia. Die Signora ist strahlender als je. Er gibt ihr täglich Feste. Mitten im schönsten wird dem Kardinal durch einen reitenden Boten ein Brief gebracht. Er liest, wird blaß und reicht ihn Valenzia. Am Abend reist die Signora ab nach Rom. Sie hat Freunde dort unter den Kardinälen. – In der Nacht erwacht der Kardinal. Er liest noch einmal den Brief, und sein liebster Knabe hält ihm die Fackel dazu. Die letzten Worte sind: Der Papst ist tot.
Drei Tage später erhält der Kardinal einen Brief von der alten Herzogin von Ascoli, seiner Mutter, aus Rom. Es ist der erste Brief von ihr. Sie beglückwünscht ihn zu irgend etwas. Er versteht es nicht ganz. Aber am Abend beruft man ihn dringend nach Rom. Da begreift er und nimmt sich vor, seiner Mutter einen Giorgione zu schenken.
Generationen
In unseren Stuben riecht es am Donnerstag nach Tomaten, am Sonntag nach Gänsebraten, und jeden Montag ist Wäsche. So sind die Tage: der rote, der fette, der seifige. Außerdem gibt es noch die Tage hinter der Glastür; oder eigentlich einen einzigen Tag aus Kühle, Seide und Sandelholz. Das Licht darin ist gesiebt, fein, silbern, still; Ruß, Sturm, Lärm und Fliegen kommen nicht mit herein wie in alle anderen Stuben. Und doch ist nur die Glastür dazwischen; aber sie ist wie zwanzig eherne Tore, oder wie eine Brücke, die nicht enden will, oder wie ein Fluß mit einer unsicheren Fähre von Ufer zu Ufer.
Selten kommt jemand hinüber und erkennt nach und nach, tief in der Dämmerung: über dem Sofa, groß, in Goldrahmen, der Großvater, die Großmutter. Es sind enge, ovale Brustbilder, aber beide haben ihre Hände hineingehoben, so mühsam das gewesen sein mag. Es wären keine Porträts geworden ohne diese Hände, hinter denen sie leise und bescheiden hingelebt haben, alle Tage lang. Diese Hände hatten das Leben gehabt und die Arbeit, die Sehnsucht und die Sorge, waren mutig und jung gewesen und sind müde und alt geworden, während sie selbst nur fromme, ehrfürchtige Zuschauer dieser Geschicke waren. Ihre Mienen blieben müßig irgendwo weit vom Leben und hatten nichts zu tun, als einander langsam ähnlich zu werden. Und in den Goldrahmen über dem Sofa sehen sie wie Geschwister aus. Aber dann stehen mit einem Male ihre Hände vor den schwarzen Sonntagskleidern und verraten sie.
Die eine, hart, krampfig, rücksichtslos, sagt: So ist das Leben. Die andere, blaß, bang, voll Zärtlichkeit, sagt: Sieben Kinder – oh! Und einmal ist der blonde Enkel dabei, hört die Hände und denkt: diese Hand ist wie der Vater, und meint die harte, narbige damit. Und vor der bleichen Hand fühlt er: wie die Mutter ist sie. Die Ähnlichkeit ist groß; und der Knabe weiß, daß die Eltern sich nicht gern so sehen mögen; deshalb kommen sie selten in den Salon. Sie passen in die Stuben, die voll sind von lautem Licht, und in den Wechsel der Tage, die bald rot von Tomaten, bald dumpf von Soda sind. Denn das ist das Leben. Und es bleibt alles in ihren Zügen hängen wie einst an den Händen der Großeltern. Ein paar Hände sind sie und nichts dahinter.
Hinter der Glastür sind seltsame Gedanken. Die hohen, halbblinden Spiegel wiederholen immerfort, als müßten sie's auswendig lernen: der Großvater, die Großmutter. Und die Albums auf der gehäkelten Tischdecke sind voll davon: Großvater, Großmutter, Großvater, Großmutter. Natürlich stehen die steilen Stühle ehrfurchtsvoll herum: als ob sie einander eben erst vorgestellt wären und gerade die ersten Phrasen tauschten: »Sehr angenehm«, oder: »Sie gedenken, lange hier zu bleiben?«oder so etwas Höfliches. Und dann verstummen sie ganz, sagen gleichsam: »Bitte«, wenn die Spieluhr beginnt: »Tingilligin ...« Und sie singt mit ihrer welken, winzigen Stimme ein Menuett. Das Lied bleibt eine Welle über den Dingen und sickert dann in die vielen dunklen Spiegel hinein und ruht in ihnen wie Silber in Seen.
In einer Ecke steht der Enkel und ist wie von van Dyck. Er möchte so heißen, daß man seinen Namen zur Spieluhr singen könnte, denn er hat plötzlich das Gefühl: Kampf und Krankheit sind es nicht, auch nicht die Sorgen und das tägliche Brot und der Wäschetag und alles andere, was mit uns draußen in den engen Stuben wohnt. Das wirkliche Leben ist wie dieses »Tingilligin« ... Es kann nehmen und schenken, kann dich Bettler rufen oder König und tief oder traurig machen je nachdem, aber es kann nicht das Gesicht bang oder zornig verzerren und es kann auch – verzeih, Großpapa – es kann auch die Hände