Wollte Akuda sie provozieren?
Zweifellos. Sie fragte nach und bekam sofort die Bestätigung. »Was soll diese Stichelei, Herr Kollege Akuda?«
»Stichelei? Wir haben einen Mordfall aufzuklären und ich höre nur, wie nett es bei der Frau war und wie gut der Tee geschmeckt hat. Ist das Ihre Art, eine Befragung zu führen?«
»Herr Akuda, wir müssen uns ein Bild vom Mordopfer machen. Und wenn ich dazu einen Liter Tee trinken muss, dann werde ich das tun. Mit Ihren Methoden möchte ich nicht erneut in das Haus Weyres fahren. Wenn wir morgen erneut die alte Dame aufsuchen, dann begrüße ich es, mit Kommissar Hell dorthin zu fahren. Sie dürfen gerne die Monzelsche Schallplattensammlung einem eingehenden Verhör unterziehen. Das Vinyl steht vielleicht auf ihre ruppige Art, ich jedenfalls nicht«, sagte Rosin und bemerkte, wie aufgeregt sie war.
Akuda stieß einen Grunzer aus. Er sah aus dem Fenster. Hell überlegte. Und sein Fazit war eindeutig. Er wünschte sich sofort sein Team hierher. Selbst ein Wendt mit Männergrippe und ein Klauk mit Selbstfindungsproblemen waren sehr wahrscheinlich effektiver als zwei Kollegen, die sich wegen Kleinigkeiten beharkten.
Mein Gott, dachte er.
»Liebe Kollegen, ich appelliere an Ihren Teamgeist. Ich möchte keine Spitzfindigkeiten zwischen den Mitarbeitern haben. Wir sind nur zu dritt und wir haben eine harte Nuss zu knacken. Wem das nicht gefällt, der kann sich gerne anderen Aufgaben widmen! Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.«
Hell hätte nie gedacht, dass er einen Kollegen, der den gleichen Rang wie er bekleidete, so ansprechen würde. Aber Akudas Art gefiel ihm nicht und er war voll und ganz auf Rosins Seite.
»Schallplattensammlung? Das klingt tatsächlich nach etwas, was mich interessieren dürfte«, raunte Akuda vor sich hin, stand auf und streckte unmerklich seine langen Gliedmaßen.
»Ich bin dann mal vor Ort. Vielleicht kann ich den Platten ja ein paar Töne entlocken«, sagte er und grinste süffisant vor sich hin, als er den Besprechungsraum verließ.
»Blödmann. Kein Wunder, dass die den im Hamburg nicht mehr haben wollten«, beeilte sich Rosin zu sagen, als Akuda hinter der Glaswand verschwunden war.
»Wir müssen uns an ihn gewöhnen, wohl oder übel.«
»Dann wohl eher übel. Kaum sind wir Überthür los, haben wir den nächsten Kotzbrocken am Bein. Ich mag seine selbstherrliche Art nicht.«
Hell dachte an das Gespräch, das er mit Akuda auf der Erpeler Ley geführt hatte und an sein Unbehagen, das ihn dabei überkommen hatte.
»Na ja, Kotzbrocken ist vielleicht zuviel gesagt. Ich würde ihn eher als sehr direkt bezeichnen.«
Lea Rosin zuckte mit den Schultern. »Ich bin doch nicht rührselig, nur weil ich es bei der alten Dame gemütlich fand. Und gegen einen Tee und Kekse kann auch niemand etwas sagen, oder?«
Hell schätzte die intuitive Art der jungen Kollegin. Er tippte sich mit dem Finger an die Schläfe, dann auf die Brust. Dorthin, wo das Herz sitzt. »Man muss es nicht nur hier haben, sondern auch hier ...!«
Rosin nahm es als ein Kompliment und mit einem Lächeln entgegen.
»Sie dürfen mich morgen gerne begleiten, dann werden Sie sehen, dass ich recht habe«, sagte sie und stand auf.
»Sehr gerne, ich liebe Earl Grey Tee.«
»Es sind nur noch ein paar Fragen, die ich geklärt haben möchte. Also, wenn Sie denken, dass wir unsere Ressourcen bündeln können für eine Tasse Tee?«
»Aber selbstverständlich.«
Rosin wartete zwei Sekunden, bevor sie eine Frage in den Raum warf. »Gibt oder gab es eigentlich jemals eine Frau Monzel?«
*
»Nimmst du eigentlich irgendetwas zur Beruhigung?«, fragte Klauk. Irina Lanau schaute aus dem Fenster und ließ mit der Antwort eine Weile auf sich warten. Dann schüttelte sie den Kopf und sah Klauk in die Augen.
»Ich nehme keine Psychopharmaka, wenn du das wissen willst, Basti.«
»Und warum nicht? Du erzählst mir, dass du nachts nicht schlafen kannst und auch weiterhin diese Albträume hast.«
Irina Lanau antwortete wieder nicht. Sie betrachtete Sebastian Klauk mit leicht hochgezogenen Augenbrauen und er sah, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»Irina, du musst dir Hilfe holen. Sonst wird dich die Erinnerung in ihrem Griff halten. Es hat keinen Zweck, den Starken zu markieren. Du tust dir damit keinen Gefallen!«, mahnte er. Er setzte sich neben sie auf die Couch und sie vergrub ihren Kopf in seiner Schulter. Sie begann hemmungslos zu weinen und Klauk streichelte sanft über ihren Kopf.
»Ich wünschte, dieser elende Unfall wäre nie passiert«, murmelte er in ihr Haar hinein.
»Du kannst doch nichts dafür«, schluchzte Irina.
»Ich kann schon etwas dafür. Hätte ich einen anderen Job, hätte mich der Killer nicht provozieren wollen. Hätte ich einen anderen Job, dann wäre ich früh genug in Siegburg gewesen.«
»Dein Job kann nichts dafür. Einzig dieser Gregor Quade kann etwas dafür. Er hat mich entführt, er hat die Frauen getötet. Du hast dazu beigetragen, ihn zu erledigen. Das ist dein Beruf, du bringst solche Monster hinter Gitter!«
»Ja, mein Beruf«, sagte Klauk bitter, »genau das ist es, was mir Sorgen bereitet.«
Er griff nach seinem Glas und trank es aus.
Irina löste den Griff und sah ihn an. »Was willst du damit sagen?«
Klauk saß einige Sekunden nur stumm da. Dann seufzte er. »Ich weiß es ja auch nicht.«
»Willst du den Polizeidienst quittieren?«
»Vermutlich nicht«, antwortete Klauk.
»Was heißt das?«
»Das ich trotz meiner Zweifel weitermachen werde. Aber es ist genauso möglich, dass ich in den Sack haue. Ja, so ist es. Ich kann dir nicht sagen, was ich machen werde.«
»Was willst du denn sonst machen, Basti?«
»Ich kann es dir nicht sagen!«, musste Klauk zugeben.
»Du kannst aber doch wegen dieser Sache deinen Beruf nicht aufgeben!«, protestierte Irina, fasste sich dann sofort mit schmerzverzerrtem Mund an die Wange.
Klauk hob den Zeigefinger. »Siehst du, es ist eben nicht nur eine beliebige Sache. Du hättest sterben können. Er hätte dich ebenso töten können wie die anderen Frauen!«
Irina strich sich über die Wange. »Ich lebe aber noch und du hast mich gerettet.«
Sie legte ihre Hand auf Klauks Knie.
»Ja, das kann sich aber eher der Kollege Akuda auf die Fahnen schreiben.«
Er nahm Irinas Hand und drückte sie. Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, hättest du den Kontakt zum Killer nicht gehabt, wer weiß, was dann passiert wäre.«
»Vielleicht aber auch gar nichts, wenn er nicht gewusst hätte, dass ich ein Bulle bin«, antwortete Klauk langsam.
»Oder er hätte mich genauso an den Tisch genagelt, wie seine Frau. Die Arme«, stieß Irina hervor.
»Denk nicht daran, bitte!«, versuchte Klauk sie zu beruhigen.
»Wenn das so einfach wäre«, sagte sie und sah aus dem Fenster, »hast du schon jemanden auf diese Art sterben sehen?«
»Nein«, entgegnete Klauk und der Kloß in seinem Hals fühlte sich riesig an. Er hatte schon einige Menschen sterben sehen. Der Letzte, den er sterben sah, war ausgerechnet der, über den sie jetzt sprachen: Gregor Quade. Der Siegsteig-Killer.