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bemerkte er ihre fremde, geheimnisvolle Schönheit.

      Bettys blondes Haar, das sie straff nach hinten gebunden trug, stand in besonderem Kontrast zu ihrer hellbraunen Haut. Ihr Gesicht war schmal, die vollen Lippen waren unverkennbar ihr Aborigine-Erbe. Selbst auf dem Foto noch schien sie dem Betrachter bis tief in die Seele schauen zu können.

      „Sie sieht nicht so aus, als hätte man ihr etwas vormachen können“, bemerkte er.

      Offenbar überraschte er Lorraine mit der Bemerkung. Sie lächelte nervös. „Nein, Betty Williams war eine außergewöhnliche Künstlerin.“ Ganz sachlich fügte sie hinzu: „Ich habe sie nie mit dem Label Aborigine-Malerin verkauft. Sie thematisierte nicht Aborigine-Sein und den damit verbundenen Konflikt, wie es Robert Campbell jr., Richard Bell oder auch Gordon Bennett tun, die auch in Brisbane arbeiten. Sie war losgelöst, sie schuf Universelles.“

      „Für wie viel verkaufen Sie Bettys Bild da draußen?“, wollte er wissen. Lorraine sah durch ihn hindurch und antwortete leise: „Es ist unverkäuflich.“

      Dass er ging, schien sie nicht mehr zu bemerken.

      „Wiedersehen“, sagte er, als er an Tracy vorbeilief, die am Boden kniete und ein Bild auspackte. „Bye“, sagte sie, ohne aufzusehen.

      Das Erste, was er sah, als er die Tür zu seinem und Jacks Büro öffnete, war ein glattrasierter Junge, der an seinem, Shanes, Schreibtisch saß.

      „Shane, das ist Spencer, mein Assistent.“

      „Hi, schon viel von Ihnen gehört!“, sagte Spencer.

      „Na, Jack, du machst ja jetzt Karriere! Eigener Assistent ...“ Shane hörte seinen gönnerhaften Ton, der nichts anderes als Neid verriet.

      „Tut mir leid, dass mit dir, aber du wirst sehen, die rehabilitieren dich schon wieder.“

      „Sicher.“ Es klang bestimmt nicht sehr überzeugend.

      „Mensch, Shane, du kannst froh sein, hier raus zu sein. Ist wirklich kein Vergnügen, der Fall“, sagte Jack. „Ich komm überhaupt nicht mehr nach Hause. Ann will unbedingt noch ein Kind und ein neues Haus. Sei froh, dass du dir über so was keine Gedanken machen musst! Kaffee?“

      Shane schüttelte den Kopf.

      „Ich sag dir“, fuhr Jack fort, „das ist ´n Rummel mit dem Fall. Hellseher rufen auch schon an. Eine hat behauptet, sie hätte ein Foto von einer Vermissten in der Zeitung gesehen, und diese Frau hätte zu ihr gesprochen. Hätte gesagt: Wir sind noch mehr und so ein Zeug. Das war doch damals auch so, als wir den Rucksackmörder gesucht haben.“ Er kramte in den Unterlagen und biss zwischendurch in sein Sandwich. „Und wie läuft es bei dir?“, fiel Jack gerade noch ein.

      „Das ist er vielleicht, unser Mann.“ Shane schwenkte das Foto, das er sich eben mit Name und Adresse ausgedruckt hatte.

      „Der Mörder?“, fragte Al Marlowe, der gerade hereingekommen war.

      „Nein, der Tote“, gab Shane zurück.

      „Jack, nimm dir mal ein Beispiel und lass ein Bild vom Mörder raus!“, spaßte Marlowe und kräuselte seine Boxernase. Jack verzog das Gesicht. „Also, Shane, du bleibst an dem Fall in Coo... Wie, verdammt noch mal, heißt das verdammte Kaff?“

      „Coocooloora – böser Geist.“

      „Was?“, murmelte Jack.

      „Du bleibst an dem Fall in Coocooloora dran“, wiederholte Marlowe und strich sich über sein gegeltes Haar. „Wie lange brauchst du noch?“

      „Al, ich hab gerade erst angefangen! Du könntest mir mal jemanden zur Unterstützung schicken. Dunegal scheint mich nicht besonders zu mögen.“

      „Unmöglich, Shane, das kannst du dir aus dem Kopf schlagen! Wir haben hier alle Hände voll zu tun. Ich kann noch nicht einmal eine Praktikantin entbehren.“ Er zwinkerte.

      „Für mich hat er auch keine“, sagte Jack grinsend.

      „Also, gib Dampf! Je schneller du bist, umso eher darfst du dich hier wieder blicken lassen. Ach, und morgen früh um zehn erwarte ich dich bei unserem Meeting.“ Marlowe ließ die Tür hinter sich zufallen.

      „So ist er halt“, sagte Jack. „He, wann gehen wir mal wieder auf ein paar Drinks und ein Steak ins Breakfast Creek? Was machst du heute Abend?“

      „Hab vielleicht was vor.“

      „Aha, ne Weibergeschichte, was?“

      „Bye, Jack.“ Shane ging hinaus.

      Im Auto versuchte er, Eliza Lee zu erreichen, doch im Institut nahm niemand ab. Halb fünf. Zeit genug, um einen Blick in die Pension zu werfen, in der Frank Copeland gewohnt hatte.

       Moodroo

      Es war schon längst an der Zeit, das puri-puri, die Zauberformel aufzufrischen. Die heißen Finger der Sonne kratzten an den Wandbildern, trockneten die Farbe aus, dass sie bröckelte. Übermalen war gefährlich. Man musste den Geistern erklären, warum man es tat. Das Auto war schon ganz verblasst, und der Hut des Weißen hob sich kaum noch von der rötlichen Höhlenwand ab.

      Er nahm den flachen Stein und legte ein Stück Ocker darauf. Rot vom Blut eines heiligen Emus und Ocker von der Leber eines Kängurus. Er ging besonders sparsam damit um. Mit einem anderen Stein zerstieß er das Ocker zu einem feinen Pulver, gab ein paar Tropfen Wasser hinzu und ein bisschen Bienenwachs, das er auf seinem Weg gesammelt hatte. Der weiße Lehm kam aus dem Billabong, dem Zusammenfluss zweier Wasserläufe, und das Schwarz war verkohlte Rinde. Zu allen Farben gab er ein wenig Wasser und manchmal Bienenwachs, auch einen Rest Emufett hatte er aufbewahrt. Emufett mochte er besonders. Es machte die Farben geschmeidig und glänzend. Kein Regen und keine Feuchtigkeit könnten den Bildern so schnell etwas anhaben. Dann nahm er einen der Pinsel aus zarten Zweigen und tauchte ihn in die Farben ein.

      Das Auto war bald wieder da, und unter dem Hut kam ein Mann zum Vorschein. Moodroo achtete darauf, dass er dessen Haut ganz weiß malte. Er wiegte seinen schweren Kopf mit den grauschwarzen Locken und begutachtete sein Werk. Diesmal musste das puri-puri wirken.

      Zu lange schon war er nicht mehr hier gewesen. Er hatte vergessen wollen. Wie die Weißen. Die wollten auch vergessen. Sie erinnerten sich noch nicht einmal mehr an ihre Großväter und Großmütter. Er hatte vergessen wollen, dass er anders war.

      Ganz hinten in der Höhle an der Wand entdeckte er den Abdruck einer Hand. Er kroch durch den Staub dorthin und legte seine Hand auf den Abdruck. Seine Hand überragte ihn um ein Vielfaches. In dem Moment, als seine Hand den rauen Fels berührte, wusste er, wann die Wildorangen reif waren und wo der Ahne sich zum Schlafen hinlegt und im Traum tiefe Rillen in den Fels neben sich kratzt. Und er wusste, wann der blauzüngige Lizard aus seinem Winterschlaf erwachte und wo die Kängurus Wasser tranken. Er hörte an den Vogelstimmen und roch an den Dürften der Bäume, welcher Tag im Jahr war. Und er spürte den harten und doch gepolsterten Rücken einer Ahnin an seinem Bauch, die sich bückte und eine Wurzel ausriss. Er schmeckte die Süße der Honigameise und das weiche Innere der gebratenen Raupe. Der Rauch des Feuers am Abend brannte in seiner Nase und vor seinen Augen tanzten die Funken. Und er blickte in die großen schwarzen Augen seiner Tanten, die ihre mächtigen, weichen Körper wiegten. Die Sonne brannte auf die Baumwurzeln in der flachen Grube im Sand, vor der sein Onkel saß. Er hielt ein leicht gekrümmtes Stück Holz an eine Wurzel, verglich die Krümmung und schlug dann Teile des Holzes ab bis der Winkel der gleich war wie der Wurzel. Er schnitzte das Holz an einer Seite flacher als an der anderen bis er zufrieden war. Dann stand er auf und schleuderte es in den Himmel. Surrend kehrte es zurück.

      Die Männer kamen wieder – jedoch ohne ein schlaffes Känguru auf ihren Schultern, ohne in sein weiches Fell gepackte Opposum, ohne den Federberg des Emus. Und wieder aßen sie das, was die Tanten und seine Mutter den Tag über gesammelt hatten. Jeder bekam etwas, auch wenn sie nicht viel hatten. Er dachte an den Abend, als er das erste Mal bemerkt hatte, dass sein Onkel, der das große Känguru erlegt hatte, die kleinste Portion Fleisch bekam. Doch