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Bruder wollte seine Schwester rächen. Sie wissen, dass diese Kerle es mit der Rache ziemlich ernst nehmen. So, wie klingt das: Moodroo erwischt also diesen Frank, bringt ihn um und verbuddelt die Leiche an eine Stelle, von der er weiß, dass sie in den nächsten Tagen mit einer Teerschicht planiert wird.“ Paddy steckte endlich den letzten Bissen Steak in den Mund.

      Shane wusste nicht recht, was er von dieser These halten sollte. „Und wieso hat er ihm dann den Kopf abgeschlagen“, fragte Shane weiter.

      „Hat’s geschmeckt?“, wollte Kate wissen und räumte die Teller weg. Paddy grinste, lehnte sich zurück und kostete seine momentane Überlegenheit aus.

      „Kennen Sie nicht den Brauch, dass Aborigines ihre Toten nach einer Weile wieder ausgegraben haben und bestimmte Körperteile, die für den Toten eine besondere Rolle gespielt haben, weggenommen und noch mal woanders bestattet haben?“

      Shane schüttelte den Kopf.

      „Dacht ich mir. Und was denken Sie, was der Name Coocooloora bedeutet?“

      Shane musste passen und über Paddys Gesicht breitete sich ein triumphierendes Grinsen aus.

      „Coocooloora ist Aborigine-Sprache und heißt: böser Geist.“ Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab. „Aber woher sollten Sie das auch wissen?“

      In Shane kochte es. „Worauf warten wir dann noch? Lassen Sie uns zu diesem ... diesem Moodroo fahren!“

      „Ist nicht da, ich war schon an seinem Haus, wollte ihn wegen was anderem sprechen. Ist nicht da.“ Paddy verschränkte die Arme über seinem fetten Bauch und unterdrückte ein Gähnen.

      „Dann treiben Sie ihn verdammt noch mal auf. Ich will ihn so bald wie möglich sehen!“

      Paddy hob müde die Brauen. „Ja, aber nicht zu früh, dann haben die noch nicht ihren Rausch ausgeschlafen und wir machen den Weg umsonst.“

      „Und was ist mit der Vergewaltigung?“

      Paddy riss mit einem Mal die Augen auf. „Ich geb’ Ihnen jetzt einen guten Rat, Shane“,seine Stimme bekam einen drohenden Unterton, „glauben Sie nicht alles, was man Ihnen erzählt. Es gibt Leute, die wollen Sie nur benutzen.“

       Andy

      In dem Moment, als er die Türglocke bimmeln hörte, war ihm klar, dass er sein Leben nur noch komplizierter machte. Er hätte auf die andere Straßenseite wechseln, nicht stehen bleiben, nicht durchs Schaufenster sehen und sie beobachten sollen. Aber er hatte nicht die Straßenseite gewechselt, war vor dem Laden stehen geblieben und hatte durchs Schaufenster beobachtet, wie sie Zeitungen einsortierte. Sie trug enge Jeans und darüber ein kariertes Hemd. Ihr Haar hatte sie heute hochgesteckt.

      Er ging durch die Regalreihen, nahm eine Dose Bohnen, Eier, Toast und Marmelade. Sie hämmerte wortlos auf die Tasten der Kasse, tippte jeden Artikel ein. „Sieben fünfunddreißig.“ Er kramte das Geld aus der Hosentasche. Sie packte die Sachen in eine Plastiktüte, sortierte die Münzen in die Fächer der Kasse.

      „Ich dachte, du seist schon längst weg“, sagte sie endlich und sah ihn an, die Lippen schmal und unter den Augen bläuliche Schatten.

      „Aber ich hätte mich doch verabschiedet“, antwortete er. „Es tut mir leid, das mit deinem Mann.“

      Ihre Mundwinkel zuckten kurz. Dann schob sie das Kinn vor und meinte: „Tja, Schicksal“, und zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht. Er bemerkte im Ausschnitt ihrer Bluse die weißen Ränder ihres BHs. Ihre Haut dort sah zart aus. Hastig hob er den Blick und sah ihr wieder in die Augen. Ihr konnten seine Blicke nicht entgangen sein. Eine Weile schwiegen sie. Dann sagte sie:

      „Ich könnte eine Hilfe gebrauchen. Ich schaff das hier nicht allein. Ich kann dir aber nicht so viel zahlen.“

      Er hätte es auch umsonst gemacht.

       Shane

      Ein merkwürdiges, unangenehmes Gefühl hatte in dem Moment von ihm Besitz ergriffen, als er erfahren hatte, dass Betty Williams’ Bruder Moodroo der Aborigine war, den er öfter vor dem Pub stehen sah – und von dem er sich durchschaut fühlte.

      Am Ende des Ortes bog Paddy in die Straße, die zum Parkplatz führte. Zwei Kilometer weiter befand sich Moodroos Haus. Dort hatten Betty Williams und der Journalist in den zwei Wochen gewohnt, als sie in Coocooloora waren. Und dort hatte Moodroo seine Schwester tot in der Badewanne gefunden. Moodroo verschwendete offensichtlich weder Phantasie noch Arbeit an das von der Regierung gebaute Haus. Auf der Straße war ihnen kein Auto entgegengekommen. Es gab keine Nachbarn weit und breit. Das Erste, das Shane auffiel, war, dass Moodroos Haus von der Straße aus nicht sichtbar war. Zu viele Bäume und Büsche. Das Zweite war die Tatsache, dass man am Parkplatz – und damit am Fundort der Leiche vorbeifuhr, ehe man weiter in die Einfahrt zu Moodroos Haus einbog. Er wusste noch nicht, was er mit diesen Informationen anfangen sollte.

      Sie stiegen aus. Niemand schien da zu sein. Hin und wieder sang ein Vogel, krächzte eine Krähe. Im Vorgarten lagen leere Dosen auf dem trockenen Gras verstreut. Langsam ging Shane um das Haus herum, während Paddy am Auto stehen blieb. Vom Rasen war nicht mehr viel übrig. Moodroo gehörte ganz offensichtlich nicht zu den Menschen, die einen Rasenmäher vor sich herschieben oder Unkraut jäten. Shane stand auf der Rückseite des Hauses und bemerkte dort einen weiteren Eingang.

      „Moodroo, hallo!“

      Als niemand antwortete zog er die Fliegentür auf. Jedes Mal, wenn Shane ein Haus betrat, dessen Tür ihm nicht von innen geöffnet wurde, spürte er dieses unangenehme Gefühl, auf alles gefasst sein zu müssen. Auf Blut, Verwesungsgeruch, Tote, Halbtote, Verrückte, die mit einer Kanone hinter der Tür standen – doch hier schlug ihm nur abgestandener Essensgeruch entgegen.

      „Ist wohl ausgeflogen, der Vogel!“, hörte er Paddys Stimme. Er war von der Vorderseite hergekommen. Shane stand in der Küche und blickte geradewegs über die Theke hinweg ins angrenzende Wohnzimmer. Die Küche war voll von Geschirr, das offenbar nie weggeräumt wurde. Im Bericht über Bettys Selbstmord stand, dass sich die Küche in großer Unordnung befunden hatte. Shane zog die Fotos vom Tatort hervor, die er sich ausgedruckt hatte.

      Auch damals hatte sich in der Küche auf der Ablage schmutziges Geschirr getürmt. Eine Schüssel mit Hackfleisch, daneben ein Handtuch und in der Spüle eine Pfanne mit angebrannten Rühreiern, geradeso als wäre es Betty beim Kochen eingefallen, sich umzubringen. Der Boden war mit blutigem Wasser aus dem Badzimmer bedeckt.

      „Sagen Sie, Paddy“, Shane zeigte auf die Fotos, „ist eigentlich niemandem aufgefallen, wie viele Rühreier Betty briet, bevor sie sich umbrachte?“

      Paddy zuckte die Schultern.

      „Würden Sie mit einem solchen Bärenhunger spontan zum Messer greifen und sich die Pulsadern aufschneiden?“

      Paddy warf einen kurzen Blick aufs Foto. „Wer will schon wissen, was in so einem Menschen vorgeht?“

      Der Abschiedsbrief hatte auf der Küchentheke gelegen. Links von der Küche befand sich das Badezimmer, abgetrennt durch eine dünnwandige Schiebetür. Shane schob sie auf. Auf dem grünlichen Linoleum-Boden lagen Kleidungsstücke, Schachteln und Zeitschriften. In einigen der sonst grauen Fugen der Badewannenverkleidung erkannte er dunkle Stellen. Auf dem Foto sah man ein mittelgroßes Küchenmesser vor der Badewanne liegen, auf dem Boden stand ungefähr ein Zentimeter hoch das Wasser. Es hatte den Anschein, als hätte es Betty aus der rechten Hand fallen lassen, nachdem sie sich in die Badewanne und die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Im Bericht stand, dass das Wasser noch immer gelaufen war, als Moodroo Betty gefunden hatte. Im Wohnzimmer hatte der Teppich das Wasser aufgesaugt. Seltsam, sich zum Sterben in eine Wanne zu legen und das Wasser einfach laufen zu lassen, dachte Shane.

      Er ging ins Wohnzimmer und ließ seinen Blick über den zerfledderten Ohrensessel, die aufgeplatzten Polster der braunen Velourscouch und den fleckigen und abgetretenen Teppichboden gleiten.

      „War wohl umsonst. Ich weiß auch ehrlich nicht, was wir hier wollen.“ Paddy wischte sich den Schweiß