Was bedeutet das für dich und deine Performance?
Es bedeutet: je größer dein Raum (auch nur in deiner Vorstellung) bei Vorträgen, Reden oder beim Konzertieren ist, desto natürlicher passen sich dein Körper und deine Stimme an den Raum an. Sie werden ganz ohne Kraftanstrengung natürlich laut und tragend.
Gut, magst du nun sagen. Aber was, wenn ich mir einen großen Raum vorstelle, und dann doch wieder anfange, zu brüllen und nachher heiser bin?
Antwort 1: Stell dir den Raum nicht nur vor, sondern erfühle auch seine Größe (wie oben beschrieben).
Antwort 2: In einem großen Raum ist es wichtig, sich selbst und seine „Körpermitte“ nicht zu verlieren.
3. Du und der Bezugspunkt
Wir haben bereits die Bedeutung der Konzentrationskreise angesprochen. Nun geht es konkret darum, wie du – egal in welchem Raum – optimal mit deinem Publikum in Beziehung treten kannst.
Dazu sind zwei Dinge elementar wichtig:
1.Den eigenen Standpunkt und damit das Ruhen in der eigenen Körpermitte zu fühlen.
2.Die Distanz zum Bezugspunkt (Einzelperson, Gruppe) zu überbrücken.
Stell dir vor, du wärst ein Bogenschütze. Dein Pfeil ist die Botschaft, die du deinem Gegenüber vermitteln willst. Was musst du tun, damit deine Botschaft gut ankommt? Du musst deinen Bogen spannen, die Entfernung richtig abschätzen, ganz stabil stehen und den Pfeil in hohem Bogen zu deinem Gegenüber schießen. Wichtig ist dabei, dass deine Botschaft die ganze Distanz zwischen dir und ihm überbrückt. Nur dann kommen dein Vortrag, dein Gesang, deine Rede auch wirklich beim Gegenüber an.
Schaubild: Der Bogenschütze
Zwei Fehler können dabei auftreten:
1.Du verlierst im Laufe des „Gesprächs“ deine Mitte.
2.Du richtest deine Worte zwar an den Bezugspartner, aber deine Distanz ist zu kurz gewählt und deine Worte verpuffen auf der halben Strecke.
Wie kannst du diese Fehler vermeiden?
Damit deine Botschaft ankommen kann, ist es unerlässlich, dass du deine Körpermitte nicht verlierst. Denn wenn ein Bogenschütze instabil ist und z.B. wackelt, fliegt der Pfeil irgendwohin. Er muss – auch wenn er den Bogen spannt und zielt – entspannt und ruhig agieren.
Was bedeutet das übersetzt für dich?
Es bedeutet, dass du in dir ruhst, bei dir bist und bleibst. Dein Kraftzentrum, deine Sicherheit und deine Stärke liegen in deiner Körpermitte. Wenn du nun eine Botschaft sendest, schickst du diese aus dieser inneren Ruhe heraus ab. Es herrscht eine entspannte Anspannung.
Doch wie kann man die Körpermitte auch bei emotionalen Botschaften halten? Dabei sollen die folgenden Übungen helfen.
Deine Körpermitte als Motor
Stell dir vor, in deiner Körpermitte würde ein Motor sitzen. De facto ist es beim Singen und Sprechen auch so. Wenn du ihn angeschaltet2 hast, läuft er im Leerlauf, das heißt du spürst eine leichte Anspannung in der Körpermitte. Gleichzeitig ist dein ganzer Körper wach. Lehn dich nun innerlich an die Wirbelsäule an, so wie wenn du dich an einen Baum lehnen würdest. Blick und Aufmerksamkeit sind nach draußen gerichtet, aber innerlich ruhst du an deiner Wirbelsäule. Nun befindest du dich in einem entspannten gespannten Zustand – vergleichbar dem eines Kämpfers, der flexibel und elastisch auf jeden Impuls von außen reagieren kann.
Dieses Gefühl solltest du immer und zu jeder Zeit deines Vortrages haben und, wenn möglich, nicht verlieren. Denn jetzt bist du entspannt und wach zugleich und kannst sofort auf jede Situation reagieren.
Wenn du nun emotionaler oder leidenschaftlicher erzählen und agieren möchtest, stell dir vor, du würdest peu à peu vom ersten in den vierten Gang schalten – immer aus deinem Motor heraus. Das bedeutet, deine Energieleistung aus dem Motor wird größer. Es bedeutet nicht, dass du nach vorne preschst, deine Mitte verlierst und womöglich im Nacken fest wirst, nur weil du deine Botschaft zum Gegenüber schieben willst. Das ist einer der häufigsten Fehler, der sofort dazu führt, dass sich die Kraft aus dem Zentrum in den Hals und auf die Stimmbänder verlagert. Du wirst dadurch unweigerlich mit der Zeit müde. Gleichzeitig verlierst du meist an Authentizität und Ausstrahlung und wirkst bemüht und angestrengter.
Damit dies nicht geschieht, merk dir für alle Lebenslagen den folgenden Satz: „Ich schalte bewusst. Nicht: ‚es‘ schaltet mich. Und ich entscheide, wie hoch ich schalte.“3
Die anschließende Übung soll diese Idee noch einmal vertiefen und das Beispiel des Motors in der Körpermitte noch besser erfahrbar machen.
Der Springbrunnen
Stell Dir vor, deine Körpermitte wäre ein großes Becken gefüllt mit Wasser; das Becken eines Springbrunnens, in dem immer Wasser für die Wasserspiele zur Verfügung steht. In der Mitte befindet sich die Düse des Springbrunnens. Gib nun einen Impuls von unten in Form eines scharfen, stimmlosen „s“. Der Konsonant schießt wie das Wasser aus der Düse. Er kann in unterschiedlichen Intensitäten hervortreten: als dünnes Rinnsal, als normaler Strahl oder als 15-Meter-Fontäne. Dein Impuls im Bauch entscheidet, wie stark er durch die Düse nach außen tritt. Wichtig ist dabei nur, dass sich nach den Aktionen immer wieder das Becken mit Wasser füllt.4
Funktionell ausgelegt bedeutet das, dass du nach den Impulsen das Zwerchfell immer wieder richtig löst, damit sich dein Körper (das Wasserbecken) mit Luft (in unserem Beispiel: Wasser) füllt.
Diese Übung trainiert neben dem Verbleiben in der Körpermitte auch die schnelle reflektorische Atmung. Denn das Becken füllt sich nur dann mit Wasser, wenn sich die Bauchdecke genauso schnell löst, wie sie sich durch den Impuls anspannt.
Unter reflektorischer Atmung versteht man eine Atmung, die – wie der Name bereits sagt – reflexartig, also nicht vom Willen gesteuert, geschieht. Sie funktioniert automatisch, wenn man z.B. einen Explosivlaut wie ein t, k oder p abspricht. Durch die Sprengung des Verschlusses entsteht eine Art Rückstoß-Ventil und die Luft, die ich gerade verbraucht habe, strömt von selbst wieder zurück.
Gleichzeitig kann durch den Springbrunnen auch die sogenannte „gestaltete Emotionalität“ geübt werden. Diese benötigen wir für jede Art des Sprechens und Singens auf der Bühne. Sie besagt, dass der Akteur nicht mit seinen direkten und echten Gefühlen agiert, sondern diese Emotionalität gestaltet.
Das heißt: er lässt sie quasi durch einen Filter erst nach draußen dringen, damit die Gefühle nicht direkt auf die Stimme durchschlagen. Sonst könnte es z.B. bei einem starken emotionalen Ausbruch dazu kommen, dass wir anschließend nicht mehr gesund und gut weitersprechen können.