Wenn die Angst stirbt, lernst du fliegen
Mehr über die Autorin Wiebke Huhs
VORWORT
Überzeugend zu sein ist heutzutage wichtiger denn je. Egal, ob auf dem Arbeitsmarkt, im Beruf oder im Alltag – überall gilt es, sich durchzusetzen und gegen die wachsende Konkurrenz zu behaupten. Und das gelingt dem am besten, der überzeugend auftritt, authentisch ist und sich und seine Meinung klar und sicher vertreten kann.
Ein einfaches Beispiel aus einer Situation, die ich oft erlebt habe, nämlich das Vorsingen für eine Rolle:
Den Zuschlag bekam am Ende oft nicht der beste Sänger oder die beste Sängerin, sondern die Person, die sich am besten “verkaufte”. Denn Singen ist nur ein Baustein in dieser „Vorstellungssituation“. Was mindestens genauso zählt:
•Wie war der Auftritt?
•Wie hat sich der Bewerber*in vorgestellt?
•Wie stand er/sie auf der Bühne?
•Lebte er/sie die Rolle?
•Hatte er/sie Lust am Singen oder sah man
ihm/ihr seine/ihre Angst und Nervosität an?
All diese Dinge sind letztlich entscheidend für den Erfolg.
Dein Körper, deine Stimme, dein Gestus, aber auch deine innere Einstellung, Überzeugung und Wachheit entscheiden darüber, wie stark und klar du beim Gegenüber ankommst und wie überzeugend du bist. Die Gesamtheit deiner Person macht deine Überzeugungskraft aus.
Aber was bedeutet es, überzeugend zu sein?
Überzeugen. Etymologisch bedeutete das Wort früher, eine Person durch Zeugen (einer Tat) zu überführen. Doch schon im 18. Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung hin zum heutigen Sinn. Jacob und Wilhelm Grimm beschreiben „Überzeugen“ in ihrem Deutschen Wörterbuch mit den Worten: „jemanden durch zeugen oder andere beweismittel zur anerkennung einer thatsache u. s. w. bringen, ihn etwas glauben machen.“1
In unserem Fall würde es bedeuten, eine andere Person dazu zu bringen, uns für die am besten geeignete und fähige Person für eine gewisse Aufgabe zu halten - oder zumindest für eine sehr qualifizierte Person.
Überzeugen heißt auch, präsent zu sein. Präsenz (vom Lateinischen praesentia = Gegenwart, Anwesenheit) wiederum bedeutet „da zu sein“, „wach zu sein“ – im „Hier und Jetzt” mit seiner ganzen Aufmerksamkeit und seinem ganzen Sein zu agieren.
Präsenz erfordert ein hohes Maß an Wachheit, Aufmerksamkeit für sich selbst und die umgebende Umwelt, Bewusstsein und Konzentriertheit; und all das in einem Zustand von innerer Entspanntheit und Lockerheit. Denn nur in diesem Entspannungszustand ist der Mensch ganz da und wach. Er erreicht einen hohen Grad an Aufmerksamkeit nach innen und außen.
Diese Haltung zu erreichen, scheint nahezu unmöglich zu sein. Denn wann sind Menschen in der heutigen schnelllebigen Zeit schon entspannt und locker? Dieses Buch will Wege zu dieser Wachheit und Aufmerksamkeit aufzeigen und Übungen an die Hand geben, die präsentierenden Menschen vor und während ihres Vortrags helfen sollen, diesem Zustand nahe zu kommen, sich bestmöglich zu präsentieren und so ihr Gegenüber (von sich und ihrer Leistung) zu überzeugen.
Warum ist diese Art der Wachheit und Aufmerksamkeit wichtig?
In der heutigen Informationsgesellschaft sind unsere Sinne in weiten Teilen abgestumpft, weil wir von Informationen und äußeren Reizen bombardiert werden. Wir sind übersättigt und reagieren eigentlich nur noch auf persönliche Situationen oder krasse, noch nie dagewesene Reize von außen (z.B. wenn in einem Krimi eine Person besonders grausam umgebracht wird oder eine unheimliche, noch nie dagewesene Krankheit – wie gerade Corona/Covid-19 - Menschen befällt.)
Innerlich verhält sich der Großteil der sogenannten zivilisierten Menschen passiv und lässt alles auf sich zutreiben, anstatt es selbst zu steuern. Einige Menschen sind sich mittlerweile dessen bewusst und versuchen, die Informationsflut etwa durch Nachrichten- oder E-Mail-Entzug für eine gewisse Zeit einzudämmen.
Um präsent und überzeugend zu sein, muss jeder Einzelne seine innere Wachheit wieder entdecken, die Konzentration schulen und seine Aufmerksamkeit auf jedes noch so kleine Detail trainieren. Erst dann können die eigenen Stärken und Besonderheiten optimal hervorgehoben werden.
Am schnellsten kann diese Wachheit durch Basis-Übungen der Schauspielkunst, des Sprechens und des Singens wachgerufen werden. Dieses Buch stellt einige der effektivsten Übungen vor, mit deren Hilfe Präsenz und Überzeugungskraft gefestigt und trainiert werden können. Die Übungen sind in unzähligen Seminaren, Kursen und Einzel-Coachings erprobt und zeichnen sich durch ihre Einfachheit und schnelle Effizienz aus. Natürlich gibt es noch eine Vielzahl anderer Übungen oder Varianten. Deshalb erhebt dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Vielmehr habe ich aus dem reichhaltigen Erfahrungsschatz diverser Schauspiel- und Sprechausbilder, meiner Lehrer und meiner eigenen über 25-jährigen Erfahrung die besten Übungen zusammengetragen. Sie stammen aus den Bereichen Schauspiel, Improvisationstheater, Gesang, Bühnen- und Mediensprechen, Präsentation in den Medien und etlichen Körpermethoden wie Yoga, Alexander- oder Franklin-Technik. Die Übungen können sowohl von Anfängern als auch von Fortgeschrittenen ausgeführt werden und richten sich an alle darstellenden Künstler, Redner und Personen, die in ihrem Beruf sich, ein Unternehmen oder ein Produkt optimal präsentieren müssen. Denn für all diese Berufsgruppen ist Überzeugen das oberste Gebot.
Ich halte meine Ausführungen bewusst anschaulich und leicht verständlich und werde viele Beispiele aus dem Alltag anführen, um den praktischen Nutzen der Übungen zu verdeutlichen.
Das ist der erste Teil des Buches.
Der zweite Teil des Buches geht dann vertiefend auf verschiedene Aspekte rund um das Thema Überzeugen ein. Hier habe ich die Expertise von Fachleuten hinzugezogen, die in ihrem Gebiet Koryphäen sind und wirklich aus der Praxis für die Praxis berichten können. Denn was bringt es, wenn in Lehrbüchern Dinge stehen, die in der Praxis kaum umsetzbar sind?
Und nun viel Spaß beim Lesen, Ausprobieren und Umsetzen.
1Jacob und Wilhelm Jung: Deutsches Wörterbuch in 16 Bänden. Leipzig. 1971, Bd. 23, Spalte 677
DEN RAUM WAHRNEHMEN
Kennst du das? Du stehst an einem Rednerpult und referierst. Plötzlich meldet sich in einer der hinteren Reihen ein Zuhörer und bittet dich, lauter zu sprechen. Was dann normalerweise passiert ist: Du kommst dem Wunsch nach, erhebst die Stimme und redest meist mit viel zu viel Kraft und Anstrengung weiter. Oftmals bist du nach der Veranstaltung heiser oder zumindest stimm-müde.
Das muss nicht sein. Warum können z.B. Schauspieler stundenlang sprechen, ja zum Teil sogar minutenlang schreien, ohne müde zu werden? Ganz einfach. Sie nutzen den Raum, in dem sie agieren, optimal aus und sprechen nicht unbedingt lauter, aber konzentrierter. Sie können in einem großen Theater auf