Schweigen, wenn alles in dir schreit. Rosemarie Ruppen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rosemarie Ruppen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991310846
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auf Besuch. Mit großer Geduld hatte sie ihr beigebracht, wie sie ihre Schuhe selber binden kann. Dabei sah sie oft voller Mitleid auf die rauen, rissigen Hände.

      Einmal fragte sie ihre Großmutter: „Tun dir denn deine Hände nicht weh?“ Zärtlich strich sie über Sarahs Gesicht und meint: „Nein, mein Kind die tun mir nicht weh. Weißt du, als dein Großvater, mein Mann gestorben war, musste ich oft hart arbeiten. Es war nicht immer einfach, doch meine Kinder waren das ‚Wichtigste‘ für mich. Meine rissigen Hände haben mich nie gestört und ich habe mich dafür nie geschämt.“

      Sarah stand auf und setzte sich ihrer Großmutter auf den Schoss und fuhr ihr mit ihren kleinen Händen durch ihr graues Haar. Wenn das Wetter es nicht erlaubte, draußen zu spielen, war Sarah gerne in der Nähe ihrer Mutter. Wenn sie ihr Strickzeug in die Hände nahm, setzte sie sich nahe zu ihr. „Wenn ich größer bin, lernst du mich dann auch stricken?“, fragte sie ihre Mutter oft.

      Sarah liebte die Natur, sie konnte sich an jeder kleinen Blume erfreuen. Oft brachte sie ihrer Mutter ein Blumensträußchen nach Hause. An einem wunderschönen Sommertag stand sie vor der großen Wiese, nahe ihrem Elternhaus. Sie konnte nicht widerstehen, lief los und setzte sich mitten in das meterhohe Gras. Sie schaute zum tiefblauen Himmel und dachte, ob ihre Großmutter sie wohl sehen könne. Ein kleiner Marienkäfer setzte sich auf ihr Knie. In Gedanken an ihre Großmutter versunken, sah sie den Bauer nicht auf das Feld zukommen. Plötzlich schreckte sie ein lautes Geschrei auf … „Was fällt dir ein, komm da sofort raus. Wenn ich dich hier noch einmal sehe, sperre ich dich in den Schweinestall.“

      Sarah hoffte, dass ihre Eltern nicht von ihrem Abenteuer erfuhren, denn das würde bestimmt Hausarrest geben.

      Genau richtig an einem regnerischen Tag, packte sie ihr Geburtstagsgeschenk aus. Sie jubelte vor Freude. Ein roter Regenschirm, wie sie sich schon lange gewünscht hatte. Sie holte ihre Jacke und nahm ihren Regenschirm. „Ich muss schauen, ob er den Regen aushält“, sagte sie freudestrahlend zu ihrer Mutter und verließ das Haus.

      Ihre Mutter schaute ihr nach … sie freute sich mit ihrem Mädchen. Sarah blickte zurück und hielt begeistert ihren kleinen Daumen hoch. Sie vergaß sogar ihren Geburtstagskuchen, den sie mit ihren Geschwistern teilen wollte. Was für sie im Moment zählte, war ihr roter Regenschirm, mit dem sie stolz den Weg hochlief.

      Sie klopfte bei ihrer besten Schulkameradin an. Ihre Mutter öffnete die Türe. „Ist Charlotte zu Hause, ich möchte ihr meinen neuen Schirm zeigen und sie zum Kuchen einladen?“ „Sicher, komm rein. Viel Glück auch von mir.“

      Sarah ging gerne zu Schule. Das Lernen fiel ihr leicht. Ihre Lehrerin sagte oft zu ihr: „Du bist eine gute Schülerin, aber du bist eine Träumerin.“ Das störte sie allerdings gar nicht.

      Ihr war noch nicht bewusst, dass Träume zerstört werden können! Jahre später, aus dem kleinen verträumten Mädchen war eine lebensfrohe, hübsche junge Frau geworden, wünschte sie sich oft die Zeit zurück. Gerne erinnerte sie sich an ihre behütete Kinderzeit in ihrem Elternhaus. Die Tage bei ihren Großeltern vermisste sie sehr.

      Gut gelaunt kam sie auf ihr Elternhaus zu. Sie winkte ihrer Mutter am Fenster. Sie hatte den Nachmittag mit einer Kollegin verbracht. Sarah setzte sich zu ihrer Mutter und sah sie an. „Sag schon, was hast du auf dem Herzen?“ „Paula geht im Herbst in ein Mädchenpensionat. Meinst du, dass ich da auch hingehen könnte? Paulas Mutter meinte, wir könnten im Sommer arbeiten gehen. Sie hat eine Liste von Sommerjobs für junge Mädchen. So könnte ich einen Teil der Internatskosten selber bezahlen.“ Sarah sah ihre Mutter an. „Du sagst nichts?“ „Ich rede am Abend mit deinem Vater. Du weißt ja, dass du nach der obligatorischen Schulzeit arbeiten gehen solltest.“ Am Abend hörte sie ihre Eltern miteinander diskutieren und ahnte nichts Gutes. Sie lag noch lange wach, schlief dann mit dem Gedanken ein, dass sich bestimmt alles zum Guten wenden würde.

      Als Sarah am Morgen, sie stand früh auf, in die Küche kam, saßen ihre Eltern am Tisch und tranken Kaffee. An ihren Gesichtern, besonders am traurigen Blick ihres Vaters entnahm sie, dass sie ihr keinen positiven Entscheid mitteilen würden. „Wir können uns dein Studium nicht leisten. Du musst die Grundschule fertig machen und dann arbeiten gehen. Es tut uns leid.“ Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie ihre Schultasche und verließ die Wohnung … An diesem Morgen spürte, ja wusste sie: ihre wohlbehütete, schöne Kinder- und Jugendzeit war vorbei!

      Zwei Monate später: Sarah saß im Zug und Tränen verschleierten ihren Blick. Sie blickte aus dem Fenster. Der Zug fuhr vorbei an Wiesen, Bächen und Dörfern. Es überfiel sie eine unendliche Traurigkeit. Es war ein Einsteigen und Aussteigen, doch sie nahm es kaum wahr. Eine ihr gegenübersitzende ältere Frau schaute sie schon längere Zeit an. „Geht es dir nicht gut? Du bist noch jung und schaust so traurig aus.“ „Nein es geht mir nicht so gut“, sagte sie zaghaft. „Ich bin heute das erste Mal allein unterwegs.“ Beim Aussteigen sagte ihr die Frau: „Pass gut auf dich auf. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Wenn du magst, kannst du mich besuchen. Ich wohne hier im Dorf und heiße Helene Bircher.“ „Ich bin Sarah, danke für ihre Einladung.“

      Sarah sah die junge Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. Sie ging auf sie zu. „Sind sie Frau Müller?“ „Ja, ich bin Anna, so darfst du mich auch nennen. Das ist meine Tochter Lena. Und du bist Sarah. Meine Mutter hat mir von dir erzählt. Hattest du eine gute Reise?“ „Ja danke, das Elternhaus zu verlassen, fiel mir nicht leicht.“ Anna tat das junge Mädchen leid. „Ich nehme dir deinen Koffer ab, der ist bestimmt schwer. Du darfst Lena mit dem Kinderwagen schieben.“

      Das kleine Mädchen lächelte Sarah an, als ob es ihr Mut machen wollte. Sie lächelte zurück und die „Kleine“ fing an zu strampeln und lustige Laute von sich zu geben. „Ein Herz hast du bereits für dich gewonnen“, meinte Anna. Auf dem Weg in ihr neues Zuhause erklärte ihr Anna, was es in dem großen Dorf alles zu sehen gab. „Hier ist die Schreinerei meines Vaters. Er beschäftigt dort acht Arbeiter. Zwei sind hier vom Dorf. Die restlichen Arbeiter kommen von auswärts. Sie wohnen in unserem Haus. Und hier ist unser Laden, da darfst du arbeiten. Ich hoffe, es wird dir gefallen. Wir schauen kurz hinein, so kannst du meine Mutter kennenlernen. Meine Mutter und ich teilen uns die Arbeit. Ab Morgen bist du unsere neue Mitarbeiterin“, sagte Anna freundlich.

      Eine stämmige Frau kam auf sie zu und begrüßte sie. „Da bist du, ‚Willkommen‘ bei uns! Ich möchte, dass du mich wie alle anderen Angestellten mit Madam anredest.“ „Ja, das kann ich gerne“, sagte Sarah freundlich. „Sie scheint ein anständiges Mädchen zu sein“, flüsterte Madam ihrer Tochter zu.

      Während die beiden Frauen sich unterhielten, streckte Lena ihre Ärmchen nach Sarah aus. „Darf ich sie aus dem Wagen nehmen?“, fragte sie zaghaft. „Ja klar, mach nur!“ Anna hoffte, dass die Kleine ihr den Start ins neue Leben ein wenig erleichterte. Weiter liefen sie durch das Dorf, bis sie zu einem großen weißen Haus kamen.

      „Das wird ab heute dein neues Zuhause sein. Im ersten Stock wohnen meine Eltern. Im Parterre wohne ich mit meinem Mann und Lena. Rechts im angebauten Teil wohnen unsere Angestellten und dort ist auch dein Zimmer.“ Sie betraten das Haus und Anna zeigte Sarah das Zimmer. „Du kannst dich einrichten, ausruhen und eingewöhnen. Um sieben Uhr gibt es Nachtessen. Ich zeige dir noch das Esszimmer. Es wird auch als Aufenthaltsraum genutzt.“

      Irgendwie tat Anna das Mädchen leid. Das erste Mal fern vom Elternhaus, in einer neuen Umgebung mit lauter fremden Menschen. „Sarah, wenn du etwas benötigst oder Sorgen hast, darfst du jederzeit zu mir kommen.“ Mit Tränen in den Augen bedankte sich Sarah. Anna nahm sie kurz in die Arme und drückte sie.

      Sie ging in ihr Zimmer, packte den Koffer aus, legte sich aufs Bett und schlief ein. Aus Angst, was auf sie zukam, hatte sie die letzten Nächte kaum geschlafen. Durch ein Klopfen wurde sie wach und musste kurz überlegen, wo sie war.

      Vor der Türe stand