Johanna
Ja, stürzt die Mächtigen vom Thron, aber setzt euch bitte nicht selbst darauf
Die Replik von Wolfgang Metz auf Johanna Beck
Liebe Johanna,
danke für das Teilen deiner sehr persönlichen und schmerzhaften Erfahrungen.
Danke auch für deine Gedanken, Überlegungen und Forderungen.
Ich kann vieles davon gut nachvollziehen und glaube, dass wir an vielen Stellen dasselbe wollen und hoffen, nur von verschieden Standpunkten aus.
Wo soll ich anfangen? Vielleicht genau dort, wo du auch angefangen hast. Bei der Situation, wenn du einen Kleriker mit Kollar triffst und dich das „ultimativ triggert“. Meine Frage wäre nun: Wäre es eine Hilfe, wenn kein Kleriker mehr ein Kollarhemd tragen würde? Oder lass es mich ein wenig überspitzt sagen: Was dürfte ich als Kleriker noch anziehen und sagen, wenn ich alles weglassen müsste und würde, was irgendjemand aus verschiedensten Gründen antriggern könnte?
Wie gesagt, ich weiß, es ist überspitzt und ich bin nicht objektiv, weil ich Kollarhemdenträger bin. Nicht immer, aber immer wieder. Über die Jahre hinweg ist mir in diesem Zusammenhang alles Mögliche und Unmögliche begegnet. Es gibt die Leute, die mich schief anschauen und innerlich gleich in die rechte Ecke stellen, und die, die mich ansprechen, warum ich nicht im Kollar als Priester erkenntlich bin, und innerlich sogleich als liberalen Wischiwaschi-Typ abstempeln.
Das sind natürlich erst einmal nur Äußerlichkeiten, es ist erst einmal nur die Verpackung. Aber egal, was oder wer da drinsteckt, diese Verpackung bewirkt schon etwas. So wie auch bei dir. Hätte der besagte Priester aus deiner Kindheit immer Karohemd und Jeans getragen (auch eine beliebte und ganz eigene Uniformität bei manchen Priestern), dann wäre das vielleicht jetzt für dich ein Trigger.
Aber so ist es nicht und es ist wahrscheinlich auch nicht so einfach vergleichbar. Deine Worte zeigen mir aber, mit was für einer großen Sensibilität und Wachheit ich als Kleriker mit meiner Kleidung, meinen Gesten und Worten umgehen muss. Ich bin mir nicht sicher, ob es hilfreich ist, immer alles gleich wegzulassen. Aber es ist sicherlich notwendig, dass ich verantwortungsvoll mit dem umgehen muss, was ich nicht weglasse. Gewiss gelingt mir dies nicht immer, aber ich übe mich darin. Versprochen!
Aber egal, was ich anhabe oder nicht: Ich bin und bleibe ein ganz normaler Mensch. Ich stimme dir voll und ganz zu, dass die Überhöhung und Sakralisierung von Priestern, wie deine Geschichte zeigt, viel Unheil gebracht haben und sehr gefährlich für alle Beteiligten sein können. Manche Menschen hätten immer noch gerne Priester, die sakrosankt sind, die immer noch die letzten Bastionen und die letzten tragenden Säulen der societas perfecta darstellen und die für eine Heiligkeit stehen, die sie selbst gerne erreichen würden. In diesem Spiel wird die eine Seite Gefahr laufen, hochmütig zu werden, weil sie alles kann und darf und scheinbar perfekt ist, und die andere Seite ist deprimiert, weil sie ja scheinbar nie so perfekt sein wird. Ist Gott nicht Mensch geworden, um als Mensch unter Menschen zu leben und zu lieben, um gerade dieses Spiel nicht zu spielen?
Natürlich werden wir weiterhin als Kirche eine Institution sein und darin auch eine Struktur mit gewissen Hierarchien haben, und natürlich wird es auch weiterhin Kleriker (vielleicht auch Kleriker:innen) in Leitungsämtern geben. Das ist ja nicht die Frage. Aber die Frage ist, wie wir in diesen Strukturen miteinander umgehen, wie wir mit diesen Strukturen umgehen und wie wir in (möglichst naher) Zukunft diese Leitungsämter nicht in Flaschenhälsen produzieren, sondern auf breite Schultern verteilen. Demokratischer, kontrollierter, transparenter, gleichberechtigter und menschlicher!
Du zitierst Mk 10,43: „Bei euch aber soll es nicht so sein.“ Ich glaube, genau das ist der Punkt und das Maß, an dem wir uns messen müssen. Und zwar alle! Ich würde dahingehend auch noch die Fußwaschung (Joh 13,15) dazulegen wollen: „Ich habe euch ein Bespiel gegeben.“ Ich glaube nicht, dass das heißt, wir müssen dem oder der anderen gegenüber in jeder Begegnung in Ehrfrucht zerfließen. Aber ich frage mich, was wäre, wenn wir unseren Umgang miteinander immer wieder genau mit diesen beiden Stellen reflektieren würden? Ich glaube und hoffe, dass das im Sinne des Erfinders wäre!
Ja, „stürzt die Mächtigen vom Thron“ (Lk 1,52), aber bitte, setzt niemand anderen darauf und setzt euch auch nicht selbst darauf, sonst geht das gleiche Spiel nur mit anderen Protagonist:innen von vorne los.
Ich hoffe und erlebe an vielen Stellen neben allem Ärgerlichen und unerträglich Verknöcherten – Gott sein Dank – auch eine Kirche, die dialogisch und freimütig auf dem Weg ist. Eine Kirche, die männlich und weiblich und alles dazwischen ist. Eine Kirche, die getauft und geweiht ist, aber darüber hinaus genauso Gottes Gegenwart selbstbewusst in unglaublicher Vielfalt sucht und findet und feiert. Von mir aus auch gerne eine Kirche, die manchmal mit Karohemd und Jeans, aber vielleicht manchmal auch hoffentlich unbelastet mit Kollarhemd daherkommt, aber immer pilgernd, nicht besserwisserisch und nicht klerikalistisch, sondern Gott und die Menschen liebend und suchend.
Ich glaube, darin hoffe ich mit Dir zusammen.
Danke!
Herzlichst, Wolfgang
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