Die jesuanische Form der Machtausübung dreht die herrschenden, missbräuchlichen Asymmetrien komplett um, denn hier geht es um die Macht der Machtlosigkeit, der Verletzlichkeit, der Augenhöhe und des Dienstes.
EVANGELIUMSGEMÄSSE MACHTFORMEN
In diesem Kontext erweist sich – wie so oft – ein Blick ins Evangelium als besonders hilfreich, denn wenn es um die Machtfrage geht, so ist das Evangelium ein Lehrbuch par excellence: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,43–44). Die jesuanische Form der Machtausübung dreht die herrschenden, missbräuchlichen Asymmetrien komplett um, denn hier geht es um die Macht der Machtlosigkeit, der Verletzlichkeit, der Augenhöhe und des Dienstes. Wobei Dienst natürlich kein bloßes Etikett sein darf, das die eigentliche Macht kaschiert, vernebelt und somit jeglicher Kontrolle entzieht, wie es in der Kirche viel zu lange der Fall war. ‚Dienst‘ muss Ausdruck einer wirklich demütigen, gewaltlosen, menschenfreundlichen und respektvollen Leitungsform sein.
MÖGLICHE AUSWEGE
Einen guten und wichtigen Schritt in die richtige Richtung stellt der Synodale Weg dar, der als Reaktion auf die Ergebnisse der MHG-Studie ins Leben gerufen wurde und dessen Gast-Mitreisende ich bin. Er ist eine der wenigen – und vielleicht letzten – Chancen, grundlegende Veränderungen in der den Machtmissbrauch tragenden DNA der Kirche (vgl. Bischof Heiner Wilmer: „Der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche.“) herbeizuführen. Gerade die fundierten und wegweisenden Texte des Forums ‚Macht und Gewaltenteilung‘ entwerfen eine Kirche, wie sie sein könnte, ja sein sollte. Allerdings sind die Beschlüsse des Synodalen Weges bekanntlich nicht bindend, weshalb es letzten Endes in den Händen der Bischöfe liegt, ob, wie und in welchem Umfang sie die Beschlüsse in den jeweiligen Bistümern umsetzen. Werden sich die Bischöfe also weiterhin an ihre Macht und an verletzende, ungerechte und missbrauchsbegünstigende Strukturen klammern und somit die Botschaft, die sie eigentlich verkünden sollen, weiter verdunkeln? Oder sind sie bereit, sich selbst zu entmachten und an der Gestaltung einer demokratischeren, (geschlechter-)gerechteren, sichereren, evangeliumsgemäßeren und zukunftsfähigeren Kirchenform mitzuwirken? Diese Fragen können allein die Bischöfe beantworten.
So liegt es auch in den Händen von uns Gläubigen, ob wir dieses Machtspiel weiter mittragen und somit am Leben halten oder ob wir den Vertretern des klerikalistischen Systems Kirche schlichtweg die Macht entziehen: Indem wir uns daran erinnern, dass wir alle Würdenträger*innen sind.
Und auch der Theologie kommt in diesem notwendigen Veränderungsprozess eine tragende Rolle zu, denn es bedarf einer gegenwartssensibleren und missbrauchsunanfälligeren Theologie des Amtes: weg von einer gefährlichen Überhöhung, hin zu einer reflektierten Erdung. In diesem Zusammenhang betont der Wiener Pastoraltheologe Johann Pock: „Die Theologie des Amtes braucht eine Ausfaltung und Aktualisierung. Diese muss wegführen vom reinen Blick auf ‚Weiheämter‘ hin zu den Dienstämtern in ihrer Pluralität: Ämter von Frauen und Männern; Ämter mit Weihe, Beauftragung, Sendung; Ämter mit zölibatärer oder anderer Lebensform. Der Ausgangspunkt hat bei der gemeinsamen Taufberufung zu liegen, nicht bei der ‚besonderen‘ Berufung zum Priestertum“ (Pock, 183). Im Zuge dessen wäre es zudem an der Zeit, entklerikalisiertere und inklusivere Liturgieformen zu entwickeln.
Last but definitely not least wäre da die in der gemeinsamen Taufberufung schon angeklungene und nicht zu unterschätzende Rolle des gesamten Gottesvolkes. Denn um Macht innehaben und ausüben zu können, bedarf es auch eines Gegenübers, das dieses ‚Spiel‘ mitmacht und das sich dieser hochproblematischen Machtform freiwillig unterwirft. So liegt es auch in den Händen von uns Gläubigen, ob wir dieses Machtspiel weiter mittragen und somit am Leben halten oder ob wir den Vertretern des klerikalistischen Systems Kirche schlichtweg die Macht entziehen: Indem wir uns daran erinnern, dass wir alle Würdenträger*innen sind. Indem wir uns nicht mehr gehorsam fügen, sondern freimütig Widerstand leisten, uns selbst ermächtigen und gemeinsam für eine bessere Kirche kämpfen – im Wissen darum, dass Gott auf der Seite der Erniedrigten und Ohnmächtigen steht und nicht davor zurückschreckt, „die Mächtigen vom Thron“ (Lk 1,52) zu stürzen.
LITERATUR
Benedikt XVI., Schreiben zu Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des „Dies Natalis“ von Johannes Maria Vianney; abrufbar unter: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale.html.
Bucher Rainer, Transformationen der Pastoralmacht, in: Dessoy, Valentin/Hahmann, Ursula/Lames, Gundo (Hg.), Macht und Kirche, Würzburg 2021, 85–102.
Dessoy, Valentin/Hahmann, Ursula/Lames, Gundo (Hg.), Macht und Kirche, Würzburg 2021.
MHG-Studie, Zusammenfassung [Version 13.8.2018]; pdf-upload unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-Endbericht-Zusammenfassung.pdf.
Pock, Johann, Prävention als Ziel der Priester-Aus- und -Weiterbildung. Der Beitrag der Theologie, in: Prüller-Jagenteufel, Gunter/Treitler, Wolfgang (Hg.), Verbrechen und Verantwortung. Sexueller Missbrauch von Minderjährigen in kirchlichen Einrichtungen, Freiburg i. Br. 2021, 162–189.
[Links zuletzt eingesehen am 20.12.2021]
Klerikalismus: Vom Leben und gelebt werden
Ok, ich bin Kleriker. Das lässt sich nicht so einfach ändern und das will ich auch nicht verleugnen. Aber wie klerikal bin ich? Kann ich das eine überhaupt ohne das andere sein? Nach welchem Maßstab darf ich als Kleriker handeln und entscheiden, ohne als klerikal abgestempelt zu werden? Wolfgang Metz
Vor einigen Jahren an einem Freitagabend nach dem Gottesdienst: Nur wenige Wochen zuvor wurde auf Wunsch von Menschen aus unserer Kirchengemeinde die Kommunion unter beiderlei Gestalt im Gottesdienst am ersten Freitag eines Monats eingeführt. Die Ansage dabei war, die Kommunion so zu empfangen, wie es für eine:n die richtige Weise ist: nur in Form der Hostie oder die Hostie in den Kelch einzutauchen oder auch aus dem Kelch zu trinken (natürlich mit dem Hinweis, vorsichtig zu sein).
Nach einem der ersten dieser Gottesdienste kam ein jüngerer Mann auf mich zu und begann eine Diskussion mit mir, dass das so nicht ginge und man das so nicht darf. Die Hostie selbst in den Kelch einzutauchen, sei ganz klar dogmatisch verboten, weil man so die Kommunion nicht gereicht bekommt, sondern sie sich selbst nimmt. Er war dabei ernst und es war ihm wichtig, dass alles richtig gemacht wird.
Ich habe dann eine ganze Zeit mit ihm gesprochen, ihm versucht zu erklären, dass man das so einfach nicht sagen kann, weil man ja den Kelch trotzdem gereicht bekommt, und dass das eine gängige Praxis in unserer Diözese im Allgemeinen und in vielen Kirchengemeinden im Konkreten ist. Er hat immer und immer wieder nur gesagt, dass man das nicht darf und dass das so nicht geht.
(Nur kurz zur Klarstellung: Mir geht es hier nicht um eine dogmatische Diskussion. Dieses Fass soll hier erst einmal keine Rolle spielen und zubleiben. Es geht mir um die handelnden Personen.)
Erst ganz am Ende unseres Gesprächs oder besser gesagt unserer