»Eifersüchtig! Weil Du nicht unersetzlich bist.«
»Warum betonst Du es? Du haßt mich. Es ist der Geschlechtshaß«, sagte der Zwanzigjährige.
Dies Wort, so hochgemut sie selbst auch reden konnte, machte ihr Scham, sie trat zum Fenster. Er war sogleich bei ihr und sprach ihr in den Nacken. »Wären wir frei! Geliebte Lea!« Sie unterbrach. »Du darfst mich Nora nennen, wie Alle, außer meinem Bruder.«
»Ich wünschte mir nichts, Leonora, als auf und davon mit Dir, und für Dich arbeiten, hungern, kämpfen. Erfolge, damit Du lächeln kannst! Reichtum, damit Du schön bist! Ein langes Leben, weil Du lebst!«
Sie hielt sich still, und erschauerte im Innern, so weich, so brennend war seine Stimme. Da erschien ihr im Spalt des Ladens ihr Bruder.
Der Bruder betrat festen Schrittes das Haus gegenüber. Dort wohnte die Fremde, die er liebte. Die Fremde schien droben hinter den Vorhängen sich anzukleiden. Jetzt gingen bei ihr die Türen. Der Bruder betrat das Zimmer daneben. Zu der Frau kam ihr Mädchen und half ihr. Schneller, die Frau stampft, sie kann es nicht erwarten, bis er ihr seine Geschenke und sich selbst bringt. Fertig, sie wird die Tür aufreißen, hinter der er umhergeht. Nein, Hut und Mantel – und fort, hinunter, zur Haustür hinaus, nahe der Mauer hin, damit er sie von oben nicht sieht, und um die Ecke. Fort.
Droben der Bruder aber ahnte nichts und ging umher. Plötzlich stand er, als sammelte er sich und erforschte, was geschah.
Die Schwester hinter dem Laden spürte im Nacken den Hauch ihres Geliebten, sie murmelte: »Was Du dahinredest, Claudius tut es. Er tut es, Lieber.«
»Er will in die Welt gehen mit einer Abenteurerin. Sie hält ihn überdies zum besten. Wir denken darüber dasselbe, schöne Lea.« Da biß die Schwester sich auf die Lippe.
Der Bruder drüben hatte sich gesetzt, war aufgesprungen und hielt nun das Ohr an die Tür nach dem Zimmer der Frau. Die Schwester sah seine Brust arbeiten, sie fühlte: »Wäre die Frau noch drinnen, jetzt müßte sie ihm öffnen!« Aber dem Bruder ward nicht geöffnet, er fiel auf einen Sitz, wie erschöpft von Anstrengungen, legte die Hand über die Stirn, die Augen, und wollte wohl still bleiben, – aber ihm zuckten die Schultern.
Der Schwester zuckten sie wie ihm, auch ihre Augen brannten. Der Freund hinter ihr murmelte: »Soll man ihn beneiden?« Sie wandte sich um. »Hüte Dich vor ihm!« sagte sie glühend. Er verzog den Mund. »Wir müssen uns beide vor ihm hüten. Im Grunde aber kenne ich ihn. Er spielt Komödie.«
Sie schritt tragisch in das Zimmer vor. »Rühre daran nicht!«
Er verbeugte sich. »Und Du bist seine Schwester.«
»Wie wir beide, Lieber, uns eigentlich fremd sind!« sagte sie verächtlich. Er ward bleich und stieß hervor: »Ich vergesse es selten.«
Sie sagte gehoben: »Ihn verstehe ich. Warum ist er nur mein Bruder!«
»Bringe es vor ihm selbst über die Lippen!« verlangte er höhnisch.
»Und warum mußt Du da sein?« fragte sie, und ihr junger, unbändiger Schmerz spielte sich ihr dennoch auch vor.
Er streckte die Arme nach ihr aus. »Ergreifend bist Du, Lea!«
»Nenne mich nicht Lea!«
Da lehnte er sich auf. »Ich bin aus anderem Blut als Ihr. Ganz recht, aus einem besser erhaltenen. Mich werfen die Gefühle nicht um. Vor mir wird Mancher daliegen.«
Damit war er draußen. Leonore hatte nur abgewehrt. Das Zimmer drüben, worin ihr Bruder geweint hatte, stand nun leer. Wann kam er zurück von seinem Lauf? Denn sie wußte, er lief jetzt durch die Stadt, ohne zu sehen noch zu hören, und den Kopf voll der alleräußersten Entschlüsse. Sie ward zum Mittagessen gerufen, aber sie verzog. »Wenn er heimkommt, will ich ihm auf der Treppe begegnen. Diesmal geschehe was will, ich umarme ihn. Habe ich es nicht schon einmal getan? Ich war zwölf Jahre alt, er vierzehn.«
Schon schritt er über die Straße herbei. Von der Treppe sah sie ihm entgegen, er blies noch immer aus einem Mund, den verstörter Haß krümmte, in Stößen den Zigarettenrauch. Als er seine Schwester erblickte, blieb der arbeitende Mund ihm stehen, Entspannung und Erlösung machten, daß seine Miene töricht ward. Ja, er lächelte, und er hob ein wenig die Hände, wie sie; es konnte der Anfang ihrer Umarmung sein. Dann streiften aber nur die Hände einander. In geschwisterlicher Scheu öffnete er ihr die Tür zum Saal und ging sie vor ihm her.
Da kamen von drinnen auch die Eltern, und jeder ging schweigend auf seinen Platz an dem runden feierlichen Tisch, der unter dem Kristall und den Wachskerzen des Lüsters inmitten des Saales gedeckt stand. Um die tafelnde Familie her, wie schon längst um ihre Vorfahren, glänzten in den feinen, gebrechlichen Holzwänden die alten Spiegel matt. Gemalte Ranken und bunte Vögel überzogen an den Rändern das Glas. Die Fenster trugen geraffte weiße Seide, goldgelbe Vorhänge, hoch wie in Bühnenbildern, und auch noch vergoldete Kandelaber hielten davor Wache.
Der Vater, im Frack, weil er von irgendeiner bedeutungsvollen Begebenheit kam, zerlegte ein Geflügel, die Mutter äußerte sinnend ihre Sorgen wegen der Tischordnung auf ihrem nächsten Diner, die Kinder saßen in guter Haltung. Ein Schiff sollte bald getauft werden, der Vater wünschte den Sohn zur Seite zu haben bei der Zeremonie. Die Reichstagswahlen standen bevor; der Freund des Vaters, Ermelin, war Kandidat; – da traf es uns doppelt peinlich, daß unser eigener Angestellter, der Buchhalter im Hafenspeicher, sich hatte aufstellen lassen von der verbotenen Sozialdemokratie. »Du bist unterrichtet, mein Sohn?« – was ein Verweis war, denn der Sohn war unbesonnen genug gewesen, den Buchhalter, in Gegenwart anderer Angestellter, durch ein Gespräch auszuzeichnen.
Der Sohn schien seinen Fehler nicht einzusehen, der Vater erwähnte daher Mangolf, den Freund. »Ihr Studenten erscheint hier für einen Ferienmonat, fühlt Euch noch keineswegs bürgerlich eingeordnet und bewegt Euch demgemäß. Meinetwegen. Dein Freund Mangolf hat aber die Gabe, seinen künftigen Pflichten vorzugreifen und schon heute der Welt Verständnis entgegenzubringen. Ich erfahre von den Beteiligten, daß sowohl der Hauptpfarrer von Sankt Simon wie der Direktor des Stadttheaters ihn als erste Kraft für ihre religiöse Aufführung schätzen.«
Erst bei dem letzten Satz hörte der Sohn wieder hin, er überlegte, das sei es, weshalb er seinen Freund zuletzt doch ablehne. »Uns trennt ein einziges Wort, das er anbetet: Erfolg haben.« Worauf er wieder in den inneren Anblick dessen versank, was ihm vor allem Ehrgeiz, allen Siegen stand. Da unterbrach die Mutter. »Wie starrst Du Deine Schwester an, ihr wird schlecht.«
Die Schwester hatte sein Gesicht sich verdüstern gesehen, – etwa nicht, weil der Name ihres Geliebten fiel? Der Bruder aber sah die ganze Zeit, mit den Augen in ihren, doch nur ein Gesicht, das nicht da war. Er kannte es, wie nur es, und verging doch vor Unruhe, was er denn kenne. Man konnte jene Frau also lieben wie das Leben, und vor lauter Begehren nicht einmal in ihrem Gesicht Bescheid wissen, ob es böse war, ob es glücklich war, ob es überhaupt das Gesicht eines fühlenden Herzens war. »Das ist meine Schwester«, sah er, »die ich klein kannte. Schön ist auch sie, auch sie blond, farbenhell und mit der dreisten Nase. Sehe ich sie einzeln, keiner ihrer Züge ist vollkommen, die Augen nicht, der Mund nicht, aber alles zusammen macht ein Wesen aus, wie es gewachsen ist mit mir selbst und wie es sein soll. Furchtbare Frau dort drüben, die unkennbar und doch unausweichlich ist! Ich muß zu ihr hinüber«, sah der bedrängte Zwanzigjährige und rückte schon den Stuhl.
Ein Wort des Vaters hielt ihn zurück. Ob er Eile habe. Ob die Ferien ihm zu lange währten. Er verteidigte sich ausweichend. »Schließlich kann ich nicht mehr tun, als daß ich sämtliche Prüfungen mache, zu denen mir Gelegenheit geboten wird.« Aber er wußte schon, wo dies hinaus wollte.
»Du möchtest vielleicht nächstes Semester mehr Geld ausgeben? Gern. Zerstreue Dich.« Der Vater fragte von unten, mit der gefalteten Stirn, die überlegen und doch auch machtlos aussah. Der Sohn ward weich. »Wie sehr muß ein so strenger Mann Kummer leiden, bevor er sogar meinen Leichtsinn unterstützt.« Die Augen der Mutter erbaten es wie eine verdiente Huldigung, er möge die Frau ihr opfern. Der Blick der Schwester