Der Bote. Hans-Joachim Rech. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Joachim Rech
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511759
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der Georgi Schukow keinerlei Probleme bereitete. Ich setzte das Headset auf und sogleich kehrte eine beruhigende Stille ein, die mich gegen das unausrottbare Gemurmel der Kolleginnen und Kollegen aus noch sechs Nationen abschirmte, die sich wie auf jeder anderen Veranstaltung - gleich welcher Art weltweit - ungemein wichtige Dinge zu erzählen hatten, die nicht bis zur Pause oder Ankunft an Bord der Georgi Schukow warten konnten. Routinemäßig betätigte mein rechter Zeigefinger den Schaltknopf Headset hear on germany, und schon vernahm ich die wohlklingende Stimme einer zweiten „Natalie“ vielmehr Kollegin von Valeria Dernikowa, die uns noch um ein wenig Geduld bat, bis alle Teilnehmer gesteckt hatten und die Simultan Übersetzer den jeweiligen Landessprachen zugeteilt waren. Das übliche Prozedere, welches ich während meiner journalistisch-wissenschaftlichen Tätigkeit in den vergangenen fünfzig Jahren schon oft erlebte.

       Maximilian von Bergerdamm

      Ach - typisch Maxi, entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit - so ein Lapsus - das ist mir unangenehm - typisch Akademiker werden Sie jetzt sagen - kann ich verstehen, ginge mir ebenso - vergaß ich doch über meine Ausführungen zu Murmansk, zur Expedition, zu meiner Familie mit Hans dem U-Bootfahrer, Onkel Williy und letztlich zu den Pandemien der Vergangenheit, die uns/euch bis in diese Tage immer wieder mehr oder weniger stark heimsuchen können und auch werden ja was vergaß ich - au weih - mich vorzustellen. Der Altersheimer lässt grüßen. Ich habe bereits so viel gebabbelt, und Sie kennen nicht einmal meinen Namen. Mein Alter habe ich Ihnen bereits annähernd mitgeteilt - fünfzig Jahre naturwissenschaftlicher Journalismus, dazu fünfundzwanzig Jahre Geburt, Kindheit, Schulen, Volontariat, Fotografie, Uni - und Jahrzehnte der Praxis, Beiträge und Berichte für namhafte internationale Magazine und naturwissenschaftliche Editionen und Fachzeitschriften - nun ist es genug mit der eitlen Selbstdarstellung, aber Sie sollen ja auch wissen, wer Ihnen das wissenschaftliche Akademiker Latein allgemein verständlich aufbereitet und in gewisser Weise „packend und dramatisch“ präsentiert. Mein Name ist Maximilian von Bergerdamm, kurz Maxi Bergerdamm genannt, die Kollegen verpassten mir schon vor langer Zeit einen Spitznamen „ Maxi Hügel“ - wegen des kleinen Berges, so die Argumentation. Ist mir im privaten Kreis und unter Freunden wie Kollegen schon recht, offiziell natürlich Maximilian von Bergerdamm, das geht halt nicht anders. Jetzt kennen Sie meinen Namen und wissen auch wie alt ich bin - na - fünfzig plus X - äh - fünfundzwanzig macht - fünfundsiebzig. Ganz recht, ein alt gedienter Pressezossen, der sich noch immer an Bord gewaltiger Schiffe begibt - oder auch kleinerer (da ist dann das Kotzerlebnis bei Seekrankheit ungemein intensiver - weiß ich aus eigener Erfahrung), jedenfalls liegen die dicken Pötte doch sehr behäbig in der See so wie riesige Wale, auch wenn es zuweilen ziemlich ruppig werden kann, besonders im Nordatlantik, der für seine plötzlichen Wetteränderungen und extremen Ausschläge berüchtigt ist. Gleichwohl führen einige der wichtigsten Schifffahrtshandelsrouten über diesen Ozean des Nordens - von Ost nach West und umgekehrt. Das erklärt auch die immense Anzahl an Schiffswracks, die auf dem Grund dieses gigantischen „Binnenmeeres“ ruhen und trotz ihrer hohen Anzahl nur sehr schwer oder überhaupt nicht zu finden sind. Ich war damals im Sommer Neunzehnhundertfünfundachtzig an Bord des Suchschiffes Oktopus, mit dem Randy Ballin seit Jahren nach der legendären Titanic suchte, die im April Neunzehnhundertzwölf nach der Kollision mit einem Eisberg innerhalb von zwei Stunden sank und mehr als fünfzehnhundert Menschen in den Tod riss. Schließlich fand das Team um Randy Ballin den Ozeanriesen auf dem Grund des Atlantiks - in fast viertausend Metern Tiefe, genau sind es dreitausendacht- hundert und ein paar Zentimeter. Aufrecht steht sie auf ebenem Kiel, zerfleddert in zwei Teile, regelrecht zerrissen. Die Schiffskörper liegen rund sechshundert Meter auseinander - ein grandios-schauerlicher Anblick, als wir sie das erste Mal sahen - Live über Video. Möglich machten das Tauchroboter, die funkgesteuert über Kabel von einem Tauchboot dirigiert wurden. Uff - war das aufregend, denn allen saß ein dicker Kloß in der Magengrube, als das Tauchboot in langsamer Fahrt an den Bordwänden dieses stählernen Riesenschiffes entlang glitt, das Oberdeck inspizierte, die verbliebenen Aufbauten, um dann urplötzlich Mittschiffs ins Nichts abzutauchen. Die Titanic war während ihres Untergangs tatsächlich in zwei Teile zerbrochen, so wie es die Überlebenden aussagten. Einige Hundert Meter weiter entfernt lag die restliche Heckpartie ab dem dritten Schornstein in ziemlich desolater Verfassung; der Aufschlag auf dem Meeresboden hatte dem zerrissenen Schiffskörper heftig zugesetzt, ihn gestaucht, die Decks teilweise sichtbar zusammengepresst, dennoch machte sie auch in dieser wenig ansehnlichen Lage oder gerade deswegen, immer noch die Erscheinung einer Lady, die trotz der Jahrzehnte auf dem Meeresgrund und trotz der Beschädigungen während des Untergangs und anschließendem Sinkvorgangs bis zum Aufschlag auf dem Boden des Atlantiks ihre „Besucher“ wie magisch in den Bann zieht, einen Sog, der jeden der sie mit eigenen Augen dort unten sah, nicht mehr loslässt. Wenn dann noch der Name dieses eisernen Giganten am Heck des Wracks deutlich lesbar auftaucht - TITANIC - gehen fast allen die Emotionen durch, stellen sich die Haare zu Berge und füllen Tränen der Ergriffenheit die Augen. Mir war dieses Vergnügen vergönnt - zweimal sogar. Mitunter träume ich von ihr, nehme an ihrer ersten und zugleich letzten Fahrt teil, erlebe die Tauchgänge hinab in ihr eisiges, finsteres Grab, bis sie wie durch Zauberhand nach rund zwei Stunden im Licht der Scheinwerfer vor einem auftaucht - wie ein Phantom - wie ein Geist der Tiefsee, so wie die legendären Riesenkalmare die es gibt, und die erst vor wenigen Jahren von einem japanischen Forscher durch Tauchboote, ausreichend Ködertieren und sehr viel Geduld und Erfahrung sowohl im Atlantik als auch im Pazifik nachgewiesen wurden. Gewaltige Tiere von bis zu zwanzig Metern Länge, die Giganten der Tiefsee - der Architeuthis dux, der in allen Weltmeeren zuhause ist. Ja - die Tiefsee ist das letzte unerforschte und zum größten Teil noch unentdeckte Refugium auf diesem Planeten und hält für Forscher und Entdecker Überraschungen bereit, in die wir selbst in unseren wildesten Träumen nicht zu denken wagen. Entschuldigung - abgeschweift, aber so ist das bei uns Pressemenschen, wir sind halt ein Völkchen mit zuweilen eigentümlichen Verhalten, was auch unser Mitteilungsbedürfnis betrifft - besonders dann, wenn wir auf wirklich interessierte Menschen treffen, die sich für unsere Arbeit begeistern. Dann kennt unsere und auch meine Euphorie fast keine Grenzen mehr. Und die Liebe zur Schifffahrt, zur Marine - das ist meine zweite ganz große Leidenschaft, neben jener zu reifen, attraktiven, üppigen Frauen, die es mir seit meiner Kindheit angetan haben, aber dazu werde ich hier und jetzt und überhaupt nichts weiter sagen. Kurzum - wie stellt der Bergerdamm es an, dass er an Bord eines Forschungsschiffes kommt und mit dem wissenschaftlichen Team auf Tiefseefahrt in einem Tauchboot teilnimmt? Berechtigte Frage; also erstens durch meine journalistische naturwissenschaftliche Arbeit, die allgemein in Fachkreisen anerkannt ist. Dann - und jetzt kommt es - weil ich alle - ich sage alle Unternehmungen an denen ich teilnehme, als Selbstzahler bestreite, also weder Sponsoring noch andere finanzielle Zuwendung oder Unterstützung in Anspruch nehme. Zweite berechtigte Frage: woher hat der Bursche so viel Kohle, um dieses „Hobby“ zu finanzieren? Ganz einfach - Bergerdamm - ist doch ein Begriff - Maschinenbau - Hightech Förderanlagen und Großgeräte für den Übertageabbau weltweit - Tiefseebohranlagen - Förderplattformen; unser Laden ist ebenso auf dem Land und in allen Weltmeeren präsent (im Ober- wie Unterwasser) wie der Riesenkalmar. Und absolut umweltfreundlich - bis auf die gelegentlichen Kollateralschäden, aber das ist halt Verschnitt, kann Ihnen jeder Handwerker - besonders die Künstler - bestätigen. Meine Geschwister und der Vorstand leiten den Familienzirkus, damit alles in geregelten Bahnen verläuft. Die Brüder und Schwestern schaffen die Kohle ran, und ich versenke sie bei meinen Tauchfahrten im Meer - so die scherzhaften Bemerkungen der Großaktionäre und Kollegen aus dem Freundeskreis, den ich aus ganz privaten Gründen klein halte - sehr klein. Darum perlt dieser Humor an mir ab wie Wasser an einer Ente. Sollen Sie doch lästern und sich das Maul zerfransen, meine jährliche Apanage aus dem Milliardenschweren Vermögen der Bergerdamm AG ist völlig legal, wird ordentlich versteuert und ansonsten für meine „Hobbys“ verbraten. Ich bin fünfundsiebzig, für wen soll ich noch sparen - für ein Privatzimmer auf der Intensivstation oder den Bestatter? Drauf geschissen - Knete ist dazu da verballert zu werden, so mein großes journalistisches Vorbild Jens Hüball, der mich damals als kleinen Volontär in die Geheimnisse des investigativen Journalismus, des kritischen Schnüffelns einführte.

      „Kohle muss verballert werden - sie öffnet dir jene Türen zu Geheimnissen, aus denen wir die Schlagzeilen und Beiträge unserer Ausgaben errichten. Die Leser wollen kein Küchenkittelgeschwätz