Oder der Seidenlaubenvogel aus dem Osten Australiens. Er baut vor dem Sex eine kunstvolle Laube aus Farnen und Ästen, schmückt sie mit allerlei blauen Gegenständen, etwa Beeren, Blüten – aber auch mit Zivilisationsmüll wie blauen Strohhalmen, Kugelschreibern oder Batterienhülsen. Erst wenn er mit seinem Werk zufrieden ist, lässt der Vogel das Gebäude von dem begehrten Weibchen inspizieren.
Unermüdlich scheinen Eifer und Erfindungsreichtum, wenn es darum geht, einen Sexualpartner anzulocken. So suchen Nachtigallen durch ihre Gesangskunst und ein möglichst großes Repertoire an Melodien zu beeindrucken. Karibische Muschelkrebse erzeugen im Meer gezackte Lichtblitze. Und eine bestimmte Buntbarsch-Spezies schaufelt mit dem Maul eine Unterwasser-Sandburg auf, die die eigene Körperlänge um ein Mehrfaches übertrifft.
Kommt es nach all diesen Anstrengungen dann endlich zum ersehnten Akt, verausgaben sich viele Arten dabei bis zur völligen Erschöpfung.
Männliche Stabschrecken etwa halten sich bis zu zehn Wochen lang auf dem Rücken des größeren Weibchens fest, damit Rivalen nicht zum Zuge kommen.
Das Staffelschwanz-Männchen, ein kaum faustgroßer australischer Singvogel, verliert bei einem einzigen Paarungsakt acht Milliarden Spermien.
Habichte und Fischadler paaren sich mehr als 100-mal mit einem einzigen Weibchen, um den Samen möglicher Nebenbuhler aus dem Feld zu schlagen.
Viele Nagetiere versiegeln nach der Begattung die Geschlechtsöffnung des Weibchens vorsorglich mit einem Drüsensekret, das aushärtet und wie ein Keuschheitspfropf wirkt.
Und um ganz sicherzugehen, klammern sich männliche Libellen nach der Begattung so lange auf dem Weibchen fest, bis es mit dem Eierlegen beginnt. Erst dann ist der Sexualakt für sie vorbei.
Angesichts dieses enormen Aufwands, den viele Arten für die Fortpflanzung betreiben, rätseln Evolutionsbiologen seit Jahrzehnten über die Frage: Warum überhaupt hat die Natur eine so kräftezehrende Vermehrungsmethode wie die Sexualität „erfunden“? Und: Was genau ist Sex?
Zumindest über die Antwort auf die zweite Frage herrscht heutzutage weitgehend Einigkeit: Es handelt sich beim Sex um die Übertragung von Erbgut von einem Individuum auf ein anderes – mehr nicht. Gleichgültig, ob nun Insekten miteinander kopulieren, Würmer, Vögel oder Menschen.
Alles andere ist nur Beiwerk: die Lust und die Liebe, die Eifersucht und die Raserei, die langwierigen Rituale davor, die Erschöpfung danach.
Am Ende zielen diese Anstrengungen stets auf nichts anderes als einen Prozess, den das menschliche Auge allenfalls unter dem Mikroskop beobachten kann: Sex führt zur Verschmelzung der DNS zweier Lebewesen – zur Kombination jener Erbinformationen also, die im Kern fast jeder Körperzelle gespeichert sind und sämtliche Lebensprozesse steuern. Beim Menschen sind diese Erbinformationen auf 23 Chromosomen (oder DNS-Stränge) verteilt.
Von jedem Chromosom existiert eine zweite Variante. So haben menschliche Körperzellen nicht nur 23, sondern 46 Chromosomen. Kommt es zu einer Beschädigung des einen Datenspeichers, kann die Zelle auf die Variante zurückgreifen.
Dies ist eine Überlebensversicherung – aber auch ein gravierendes Problem: Denn würden zwei normale menschliche Körperzellen mit ihren 46 Chromosomen verschmelzen, entstünde logischerweise ein Embryo mit 92, in der nächsten Generation sogar einer mit 184 Chromosomen und so fort.
Irgendwann würde der Zellkern vor lauter DNS platzen.
Bevor daher in Hoden oder Eierstöcken Keimzellen gebildet werden, sorgt ein mehrstufiger Prozess für eine Halbierung des doppelten Chromosomensatzes. Das Ergebnis sind Zellen ohne Sicherheitskopien: weibliche Eizellen und männliche Spermien mit je 23 Chromosomen.
Verschmelzen die beim Sex miteinander, stimmt die Rechnung wieder: Es entsteht eine befruchtete Zelle mit 46 DNS-Fäden, aus der dann der Embryo wachsen kann. Jedes Kind erbt also eine Hälfte seiner Erbinformationen von der Mutter, die andere vom Vater.
Für Verliebte mag diese Form der Verschmelzung eine romantische Wunschvorstellung erfüllen. Aus emotionsfreier biologischer Sicht aber scheint sie den Sex mit einem erheblichen Nachteil zu belasten: Mütter und Väter geben nur die Hälfte ihres eigenen Erbguts weiter. In der Enkel-Generation lebt also nur noch ein Viertel der eigenen Gene fort.
Ein preußischer Untertan, der um 1700 Kinder zeugte, hätte zehn Generationen später mit seinen heute lebenden Nachfahren weniger als ein Tausendstel seiner eigenen DNS gemein.
Subjektiv mag ein Mensch zwar das Gefühl haben, in seinen späten Nachfahren fortzuleben – aber er teilt diese Verwandtschaft mit Abertausenden seiner Zeitgenossen. So ist jede Ahnentafel eigentlich das Schaubild einer genetischen Verlustbilanz.
Es ist geradezu paradox: Genau betrachtet dient Sex eben nur sehr eingeschränkt der Fortpflanzung von etwas Eigenem. Vielmehr bewirkt die ständige Verschmelzung dessen Verdünnung und Verwässerung in immer homöopathischere Dosierungen – bis hin zum völligen Verschwinden.
Damit aber widerspricht der Sex scheinbar jenem Grundsatz der Evolutionstheorie, nach dem Lebewesen nur das eigene Erbgut fördern.
Denn in der Evolution waltet ein striktes Erfolgsprinzip: Jedes Individuum ist bestrebt, sich möglichst erfolgreich zu vermehren – die Selektion im Überlebenskampf ist geradezu definiert als direktes Ergebnis des eigenen Fortpflanzungserfolgs. Als Ergebnis der Weitergabe des eigenen Erbguts.
Der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins spricht sogar von „egoistischen Genen“. Demnach sind alle Organismen – ob nun Einzeller, Edelfalter oder Mensch – nichts anderes als „Behälter“ für DNS: Körperhüllen, in denen die Erbsubstanz „egoistisch“ danach trachtet, sich möglichst oft zu vervielfältigen und in neuen Körperhüllen weiterzuleben.
Genau das aber ist bei der sexuellen Vermehrung nur begrenzt der Fall. Umso rätselhafter erscheint es, weshalb die Verschmelzung als eine Variante der Fortpflanzung zweier Wesen einst überhaupt entstanden ist – und wieso sie nicht wieder verschwand.
Zumal die Natur zeigt, dass es auch ohne Sex geht – mit viel weniger Aufwand und der vollständigen Weitergabe des eigenen Erbguts.
Bei diesen Vermehrungs-Varianten geht nicht eine einzige Erbinformation der elterlichen DNS in der nächsten Generation verloren – eine ideale Lebenswelt also für „egoistische Gene“.
Es gibt drei Formen der nichtsexuellen Vermehrung:
1. Die Querteilung. Sie ist so alt wie das Leben selbst: Seit Jahrmilliarden verdoppeln Bakterien ihre Erbsubstanz und schnüren sich in der Mitte ein, bis schließlich zwei Zellen entstehen.
2. Die Knospung. Ein Teil des Mutter-Organismus schnürt sich ein, bis er abfällt. Aus diesem Körperfragment wächst ein neues Individuum heran.
Auch vielzellige Tiere vermehren sich durch Knospung: Im Süßwasser lebende Hydra-Polypen etwa bilden kleine Auswüchse an ihren Körpern, die alsbald davonschwimmen. Aus ihnen reifen kleine eigenständige Polypen heran. Mitunter verliert ein Seestern einen Arm, an dem mit der Zeit neue Arme wachsen, bis nach wenigen Wochen ein vollständiger neuer Seestern über den Meeresboden kriecht. Und Kartoffeln, Erdbeeren und viele andere Pflanzen vermögen Knospen und Stecklinge zu produzieren, aus denen neue Gewächse gedeihen.
3. Fragmentierung. Dabei zerfällt der gesamte Körper, etwa von Flechten oder Cyanobakterien, in Einzelteile. Aus jedem Fragment wächst wieder ein vollständiges Lebewesen.
Eine weitere Variante, bei der alle Gene weitergegeben werden, ist die Jungfernzeugung. Bei dieser – von Biologen „unisexuell“ genannten – Form der Fortpflanzung wächst aus einer unbefruchteten Eizelle im Leib des Muttertiers ein Tochterindividuum