Ich hatte einst die Vorstellung, irgendwann sei ich mit dem Zweifel durch. Irgendwann herrsche Ruhe. Doch Gott lässt sich nicht beweisen. Wer meint, die Schönheit einer Berglandschaft sei genügend Beweis für die Existenz Gottes, verkennt die Ernsthaftigkeit des Problems. Der Glaubende interpretiert die Welt aus seiner Sicht. Der Zweifler sieht sie aus seiner Perspektive: Das herrliche Alpenpanorama ist nicht mehr als eine Spätfolge des Urknalls.
Den Wunsch, den Zweifel loszuwerden, muss ich begraben. Ich will den Zweifel integrieren statt eliminieren. Ihm einen Platz lassen in meinem Innern. Er gehört zu mir wie andere Dinge, auf die ich nicht unbedingt stolz bin, mit denen ich mich eben versöhnen muss. Wenn Glaube Vertrauen bedeutet, dann ist Zweifel eine Vertrauenskrise. Die kommt in jeder Liebesbeziehung vor. Es muss gar nicht die Sorge sein, betrogen zu werden. Es kann auch um die Frage gehen, was man füreinander ist. Wenn eine frische Liebe die symbiotische Phase verlässt, in der man dauernd aneinandergeklebt hat, ist das die notwendige Voraussetzung, damit eine reife Partnerschaft wachsen kann. Liebende müssen sich aufeinander verlassen können, aber sie haben auch ein eigenes Leben. „Wenn man auch das Kopfkissen teilt, so sind die Träume doch verschieden“, lautet ein Sprichwort aus der Mongolei. Abweichende Geschmäcker und Meinungen können wir aushalten, sogar Pausen in der Beziehung, um sich neu füreinander entscheiden zu können.
Mir erzählte ein Mann, die Frau seiner Liebe habe ihn gefragt: „Warum liebst du mich?“ Seltsam, oder? Weil diese Frau so schön ist, so intelligent, so geistreich, lustig, kreativ, stark, wegen ihrer Stimme, ihres Geruchs, ihrer Sinnlichkeit? Oder weil sie so gut kochen kann? Welche Antwort würde der Dimension der Liebe gerecht? Übertragen auf das Verhältnis von Gott und mir: Ich liebe Gott, weil … weil es so ist, weil ich nicht anders kann. Warum liebt Gott mich? – Wir stellen einander diese Fragen nicht. „Die Liebe erträgt alles“ (1 Korinther 13,7). Gottes Liebe erträgt meine Zweifel.
Vor mehr als 25 Jahren rückte mir der Zweifel drängend auf die Pelle. Ich las mich stapelweise durch atheistische Literatur hindurch. Ich dachte, nun müsse ich mich entscheiden, Kopf oder Bauch? Zweifeln oder glauben? Aber auf eines von beiden verzichten? Ich versuchte zu beten in absoluter spiritueller Trockenheit. Mein Glaube schien erloschen, nur ein Fünkchen blieb glutrot. Ich rang mit Gottes Engel wie einst Jakob (Genesis / 1 Mose 32,23–33). Und schrieb zwei Bücher, deren Titel mir zu Leitsätzen wurden: „Zweifle dich durch“ und „Zweifeln hilft glauben“.
Mein Verlangen, den Zweifel hinter mir zu lassen, kommt in die Tiefen der Erde. Ich begrabe einen zweifelsfreien Glauben: Ruhe sanft! Der Zweifel lebt in mir. Ich lebe mit ihm. Und glaube mit ihm. Wenn auch oft unsanft.
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