Horak am Ende der Welt. Jan Kossdorff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Kossdorff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903184909
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plauderten, und erst gegen Mitternacht verabschiedeten sich die Leute, um zur Pension zu marschieren, die zehn Minuten entfernt war und in der außer meinen Schülern nur ungarische Motorradtouristen übernachteten. Alle gingen, bis auf Maja. Sie blieb bei uns sitzen, die Füße auf der Bank, eine von Manfreds Katzen auf dem Schoß. Sie erzählte uns von ihrem Leben in Wien: Sie kellnerte, spielte ein bisschen Theater und dachte daran, ein YouTube-Star zu werden. Das Schreiben war für sie nur ein weiterer Versuch, ihr schwer fassbares Talent in einer konventionellen Form zu kanalisieren.

      Als Manfred ins Bett ging, holte sie den Wodka aus dem Regal und begann zu mir aufzurücken. Ich erklärte ihr, dass ich an und für sich schon der Richtige für so eine Situation sei, wir aber den ganzen nächsten Tag schreiben würden, und ich das gerne einigermaßen ausgeschlafen und ohne Kopfweh machen würde. Außerdem ließe ich mich auch nicht mit einer Seminarteilnehmerin ein, jedenfalls nicht während des Kurses. Sie trank ihren Wodka in einem Schluck aus, dann sagte sie: »Weißt du, das finde ich jetzt richtig gut von dir.«

      Trotzdem gelang es mir nicht, ihr zu verbieten, die Nacht bei mir im Kingsize-Bett in Manfreds Gästezimmer zu verbringen. Sie trug einen Schlumpf-Pyjama, eine Zahnspange und zwei Paar Socken und schlief ein, während ich mir noch die Zähne putzte. Als ich um halb sieben in der Früh aufwachte, war sie verschwunden.

      Die nächsten zwei Abende verliefen ganz ähnlich. Als die Seminarteilnehmer am Montag wieder abreisten, hatte ich mich schon an Majas Röcheln neben mir gewöhnt und fand sie auch sonst recht bemerkenswert. Trotzdem hatte sie beschlossen, nach Wien zurückzufahren, und ich brachte sie als Letzte zur Bushaltestelle in den Ort.

      »Du bleibst also noch?«, fragte sie mich, die Zigarette zwischen den Mundwinkeln, während sie sich die Haare zusammenband.

      »Ich arbeite noch an dem Text. Außerdem sind jetzt Wildwochen. Manfred kriegt eine Rehhälfte, wäre dumm, jetzt zu fahren.«

      »Verstehe.«

      Sie warf die Zigarette weg, nahm einen Schluck von ihrem Apfelsaft, dann küsste sie mich. Als der Bus kam, knutschten wir immer noch, und er fuhr ohne Maja weiter.

      »Hast du Kondome im Haus?«, fragte sie mich.

      »Ich hab sicher eines.«

      »Eines?«, sagte sie verwundert, und dann gingen wir zum Auto und fuhren in den Nachbarort zum Drogeriemarkt.

      Bei uns im Hotel Heide hatten sie kein Kracherl, also spazierte ich zu dem Gasthaus, in dem wir gestern gegessen hatten, und wo auch Franziska und ihr Anhang wohnten. Dort verkaufte man mir ein Keli Himbeer, unter der Voraussetzung, ich brächte die Flasche später zurück. »Vergessen Sie es nicht«, sagte die Wirtin eisig. Ich sah vor mir, wie die Kleinstadtbewohner mit Taschenlampen den Wald durchkämmten, auf der Suche nach der Flasche Keli, die nie zurückgebracht worden war.

      Zurück nahm ich meiner Erinnerung an Jugendtage folgend einen anderen Weg. Ich ging einen Pfad entlang, der zwischen Obstgärten und einem waldigen Hang außen um das Zentrum des Städtchens herum verlief. Er führte mich nach ein paar Minuten, in denen meine hübschen Wadeln vom Unkraut zerkratzt wurden, zum Teich von Heidenholz, einer der Natur überlassenen, von Weiden und Pappeln gesäumten Wasserflohlacke, von deren Existenz die Urlauber nichts zu wissen schienen. Die Holzbude am Ufer, wo man in meiner Jugendzeit Eis und Bier kaufen konnte, sah aus, als fiele sie bald in sich zusammen, der Steg war morsch, die Wiese in diesem Jahr noch nicht gemäht worden. Ich sah, dass dennoch eine Frau im See schwamm, und erkannte – an ihrem Nacken, ihrer Kopfhaltung – meine Ex-Frau Franziska.

      »Franzi!«, rief ich, aber der Wind rauschte durch die Blätter, und sie hörte mich nicht.

      Ich stand da und beobachtete die gleichmäßigen, mir so vertrauten Schwimmbewegungen, während das Himbeerwasser, auf das Maja in unserem Zimmer sehnsüchtig wartete, in meiner Hand warm wurde. Erinnerungen an unzählige Wochenenden an Schotterteichen wie diesem schossen mir durch den Kopf – an Eisholen mit meinem Sohn an der Hand, Kartenspielen in der Wiese, mein Kopf mit nassen Haaren in Franzis Schoß liegend, eine Rätselzeitung, an deren Rand ich eine Buchidee kritzle, ein Bier aus der Kühlbox, und Franzi, die sagt: »Ich will nur einen Schluck …«

      Die ersten Jahre unserer Ehe waren wir Studenten und arm. Als es dann Geld gab, vor allem nach dem Erscheinen meines ersten Romans, der groß einschlug (und in dessen Krater später nur schwer wieder etwas wuchs), legten wir es für ein Haus zur Seite, das wir allerdings nie kaufen sollten, weil wir viel zu sehr an unserer alten Wohnung hingen. Unser Lebensstandard änderte sich in den Jahren darauf kaum. Vielleicht gab es einfach nicht viel zu verbessern.

      Während ich so dastand und an alte Zeiten dachte, sah ich den braunen Schlapphut von Janisch über das hohe Gras schweben, und ich schaute, dass ich wegkam. Am Zimmer traf ich auf Maja, die mit feuchten Haaren und dem Laptop auf dem Schoß im Bett saß. Ich reichte ihr die Flasche.

      »Warm«, sagte sie.

      Ich nickte. »Es ist warm draußen.«

      Sie nahm einen Schluck, und wahrscheinlich wollte sie grimmig schauen, doch die Himbeerbrause war stärker, und ein Lächeln kaperte ihre Lippen.

      Ich setzte mich an den Bettrand. »Vielleicht sollten wir abfahren«, sagte ich.

      Sie sah mich an, als würde sie mein Meinungsumschwung nicht besonders überraschen.

      »Und das Haus?«

      »Ich sage Wolf, dass uns was dazwischengekommen ist, irgendein Autoren-Notfall …«

      »Was könnte das sein?«

      »Bundeshymne braucht neue Strophe, keine Ahnung …«

      »Du kannst das nicht ablehnen.«

      »Was sollen wir denn hier?«

      »Soll ich dir die zehn Aktivitäten aufzählen, auf die du dich gestern Abend gefreut hast?«

      »Dieser kleine Grenzforscher will mit mir in die Heide, das ist doch grotesk!«

      »Das ist eine Chance!«

      »Die wollen mich doch nur, weil ich zufällig da war. Und einen tschechischen Namen habe.«

      »Jeden Job, den ich hatte, hab ich bekommen, weil ich eine junge, blonde Frau mit großer Klappe bin. Mit irgendwas muss man halt punkten.«

      »Du bist mehr als das.«

      »Aber ich erwarte nicht, dass das jeder sieht. Wieso glaubst du, das Privileg zu haben, nur für deine Arbeit beurteilt zu werden? So ist die Welt nicht.«

      »Warum bist du so dahinter? Als du deinen Roman fertig schreiben solltest, hab ich auch nichts gesagt, dass du dein Prokrastinieren auf olympisches Niveau gehoben hast!«

      »Du bekommst eine Gelegenheit, einen wichtigen Text zu verfassen, und sagst, ach, ich will nicht mit diesem Mann in die Heide.«

      »Es gibt dort nicht mal ein Gasthaus, Maja!«

      »Wenn du ernst genommen werden willst, musst du dir auch mal ein paar ernste Gedanken machen.«

      »Ich trage meine Ernsthaftigkeit bloß nicht vor mir her, sie steckt zwischen den Zeilen.«

      »Niemand hat mehr die Zeit, etwas zwischen den Zeilen zu suchen!«

      »Vielleicht ist das das Problem.«

      »Ich sag dir was: Wir ziehen jetzt in das Haus deiner Großeltern um, dessen vermeintlicher Verlust dir gestern noch fast die Tränen in die Augen getrieben hat, dann verbringen wir einen schönen Tag mit deiner Ex-Frau und deinem Sohn, und morgen spazierst du ein bisschen in der Heide herum und betreibst kluge Konversation. Und dann können wir ja fahren.«

      »Du bist ausschließlich dann vernünftig, wenn es um mein Leben geht.«

      »Weil ich dort ganz klar sehe, was das Richtige ist!«

      Mein Handy läutete. Ich zog das Telefon aus meiner Tennishosentasche, sah auf das Display und nahm den Anruf entgegen.

      »Manfred!«

      »Jakob!