»Zwei Worte«, sagte Singer, »Freiheit und Verantwortung!«
Janisch übernahm den Faden: »Wir haben die Freiheit gewonnen …«
»… und haben die Verantwortung, sie zu bewahren«, spann ihn Nemec zu Ende.
»Was denken Sie?«, fragte Keinberger.
»Nun, ich denke, dieses Jubiläum ist von großer Bedeutung«, sagte ich.
Alle nickten.
»Ich denke auch, unsere beiden Länder könnten viel enger zusammenwachsen.«
Mehr Nicken.
»Ich denke, dass ein gemeinsames Europa das große Projekt unserer Lebenszeit ist.«
Sehr einiges Nicken.
»Aber ich denke auch, Sie finden für diese große, schöne Aufgabe einen geeigneteren Kandidaten als mich.«
Ich hörte Ohs, ich hörte ein Nicht doch und ein Aber geh.
»Wieso denken Sie das, Horak?«, fragte Janisch und verschränkte die Arme.
»Wissen Sie, mir fallen auf Anhieb zwei oder drei Autoren österreichischer Provenienz ein, die einen stärkeren Tschechien-Bezug haben als ich, und ich bin sicher, in Tschechien finden Sie ganz wunderbare Autoren, die eine Verbindung zu Österreich haben, die vielleicht sogar deutsch schreiben.«
»Das ist aber nicht Bedingung für uns«, sagte Keinberger.
»Sie könnten auch Suaheli schreiben«, sagte Singer, »wir übersetzen uns das schon.«
»Wir kennen natürlich jene Autoren, die gewöhnlich bei Artikeln, Ansprachen oder Ausstellungskatalogen zu unserem Thema zum Zug kommen«, sagte Nemec, »aber wir suchen ja gerade eine andere Stimme, einen frischen Zugang.«
»Ich bin kein politischer Autor«, sagte ich.
»Das glaube ich Ihnen nun aber nicht«, sagte Janisch, »Sie wollen mit Ihren Geschichten irritieren, und das ist ein politischer Akt.«
Bibliothe-Karin schaltete sich nun ein: »Lassen Sie Herrn Horak doch einmal darüber nachdenken, was meinen Sie? Für ihn kommt diese Einladung ja ganz überraschend, und er ist ja auch nur auf Besuch hier und hat natürlich seine sonstigen Agenden. Vielleicht wollen Sie morgen nach dem Frühstück bei einem Spaziergang in der Heide noch mal über die Angelegenheit sprechen?«
Ich dachte mir, aha, so regelt ihr hier eure Angelegenheiten, schickt die Leute uneins in die Heide, und sie kommen mit einer Übereinkunft wieder heraus.
»Ich werde darüber schlafen«, sagte ich, »vielleicht lasse ich mich ja überzeugen.«
»Hätten Sie denn schon eine Idee, wie Sie es anlegen würden?«, fragte Nemec, worauf Janisch rief, »Geduld, Jaromir!«, um sich dann entschuldigend an mich zu wenden: »Er glaubt, Literatur zieht man fertig aus der Lade und klebt nur einen Preiszettel drauf, verzeihen Sie.«
Bibliothe-Karin flüsterte mir ins Ohr: »Falls Sie morgen mit Janisch in die Heide gehen, lassen Sie sich erzählen, wie er Anfang der Neunziger mit Salman Rushdie im Waldviertel auf Fahrradtour war, Sie werden niederbrechen vor Lachen.«
Als ich das Wirtshaus betrat, das seit meinen Jugendjahren renoviert und radikal entmieft worden war, bemerkte ich sofort den winkenden Simon, der »Meister!« rief und mich zu dem Tisch weit hinten im Lokal lotste, an dem er mit Maja, Franzi und meinem Sohn saß. Er war zweifellos ein Mann der großen Gesten und des Überschwangs, Eigenschaften, die er jedenfalls nicht mit mir gemein hatte, und die Franziska gewiss als interessanten Kontrast zu mir erlebte, falls sie überhaupt noch andere Männer mit mir verglich, oder das je getan hatte.
Ich grüßte in die Runde und setzte mich neben Maja, während ich zugleich ein Bier bestellte. Von den Nachbartischen wurde ich mit neugierigen Blicken bedacht, von der großen Tafel beim Kamin winkte mir ein graubärtiges Runzelgesicht zu, das ich zuerst für den Bürgermeister hielt, kurz darauf aber als den Alten identifizierte, der neben Maja und mir im Pub Whisky getrunken hatte, was nicht bedeuten musste, dass er nicht doch der Bürgermeister war. Ich winkte zurück.
»Wo warst du so lange?«, fragte Maja leise und mit einem angespannten Unterton.
»Ich habe Bücher signiert, eine Großcousine getroffen, und dann wurde ich gebeten, ein literarisches Statement zum Fall des Eisernen Vorhangs zu verfassen.«
»So spontan und im Stehen?«
»Nein, ich glaube, ich habe etwas Zeit dafür.«
»Es ist nur«, flüsterte sie, »weil wir nämlich seit einer Stunde hier sitzen, und das Gespräch nicht eben wie geschmiert läuft, was angesichts unseres Bekanntschaftsverhältnisses ja auch nicht weiter überrascht.«
»Maja ist übrigens auch Autorin«, sagte ich in die Runde, um das Gespräch in Gang zu bringen, »sie hat schon einen Preis gewonnen!«
»Ach, wirklich, was für einen Preis?«, fragte Franziska.
Maja sah mich kurz etwas unglücklich an, dann sagte sie aber tapfer und erhobenen Hauptes: »Den 1. Preis bei der Nacht der schlechten Texte.«
Es entstand ein Moment der Stille.
»Das ist ein ernsthafter Preis!«, erklärte ich, und Maja erwiderte gedämpft: »Warum sollten wir auch sonst darüber reden?«
Maja begann, das Konzept des Literaturpreises zu erläutern, und alle hörten ihr aufmerksam zu, sogar mein Sohn David. Kunst interessierte ihn, vor allem Musik, aber auch Literatur und Film. Wie er da neben seiner Mutter saß, mit seinen etwas längeren Haaren, der fast abgeheilten Akne und der dicken Brille, die ohne sein Zutun im Laufe der letzten Jahre cool geworden war, konnte ich mühelos alles Mögliche in ihm sehen, den Indie-Rock-Musiker, den Autor schräger Short-Storys, den besessenen Filmemacher, aber bei herabgeschraubter Erwartungshaltung auch den Redaktionsassistenten in einem Fernsehsender oder Junior-Texter einer Werbeagentur. Seine Lehrer sahen leider fast nur den Faulpelz und Leistungsverweigerer in ihm, aber bei mir war es mit siebzehn nicht anders gewesen, kein Stück.
Franziska wirkte Maja gegenüber ganz unvoreingenommen, und ich glaube, es kümmerte sie nicht sonderlich, ob sie vielleicht zu jung für mich war. Ich hätte ihr auch erzählen können, ich lebte nun mit einem Koalabären und dem Geist von Harald Juhnke zusammen, und sie hätte nur gelächelt und gesagt: Schön, wenn du glücklich bist, und vergiss nicht auf Davids Geburtstag! In den vier Jahren seit unserer Trennung war sie zufriedener, autonomer und selbstbewusster geworden, als sie es mit mir je hatte sein können, während ich alle Stadien der Orientierungslosigkeit und emotionalen Unsicherheit durchlaufen hatte, die für solche Anlässe vorgesehen waren. Heute führte sie einen Bio-Lebensmittelladen in Linz und fuhr das Saab-Cabrio, das ich ihr einst versprochen, aber nie geschenkt hatte, und ich … na ja, ich war ein Stück Arbeit.
Nachdem wir das Essen bestellt hatten, begann Simon wieder von dem Mönch aus meinem Roman zu schwärmen: »Eine richtige Kultfigur hast du da geschaffen.«
»Danke schön, aber er beruht ja auf einem realen Menschen.«
»Weißt du denn, wer er war?«, fragte Simon fasziniert.
»Ich kenne seinen Namen nicht, aber ich konnte aufgrund seiner Aufzeichnungen darauf schließen, in welchem Kloster er gelebt hat.«
Simon fragte mich nach dem Tagebuch, und ich erzählte, wie ich es auf einem Flohmarkt in Graz entdeckt hatte und wie fasziniert ich von der Lektüre gewesen war.
»Hast du in dem Kloster recherchiert?«, fragte Simon.
»Nein, ich wollte die Geschichte nicht mit noch mehr Realität zuspachteln, ich habe eher versucht, Fiktion zu untermischen.«
Das Essen kam, und das Gespräch begann sich unzusammenhängend um Beruf und Biografie zu drehen. Simon war Apotheker, und er führte den Traditionsbetrieb seiner Familie inzwischen in sechster Generation, allerdings, sagte er, zog er alles