Ugolino. Ganz recht. Ihr Zuruf im Klange der Klappererze und Trompeten machte mir warm. Aber ich wollte, daß ihr mir auch einige von euren fröhlichen Tagen herrechnetet.
Anselmo. War das nicht ein schöner und ein fröhlicher Tag, ihr Brüder, da mich Ruggieri meinem Vater nachschickte? und –
Francesco. Und da wir, auf dem goldnen Kahne, unsrer Mutter entgegensegelten, als die dankbaren Pisaner sie im Triumphe den Arno hinaufführten bis zur Villa Gherardesca.
Ugolino. Du warst auch zugegen, Gaddo: was sagst du dazu?
Gaddo. Mir wird ganz trübe vor den Augen!
Ugolino. Genug, meine Kinder; wir haben alle viel fröhliche Tage gelebt. Zu bedauern ist's, daß dies Leben nicht immer fortwährt. Man ist auf der Welt so glücklich.
Gaddo. (seufzend) Ach ja! das Leben ist so was Süßes!
Francesco. Das dächt ich nicht, mein Vater. Wenn man beim Tausch verlöre, da ließ ich's gelten. So aber gewinnt man ja in jeder Absicht.
Ugolino. Du hast's getroffen, Francesco. Das menschliche Leben ist zwar sehr glücklich; aber das höhere Leben nach dem Tode ist doch viel glücklicher: es hat keine Abwandlungen, es ist ein höheres Leben. Ach! von Vaterhuld floß das Herz unsers Schöpfers, da er Menschen schuf. Er setzte sie in einen irdischen Garten, und bereitete ihnen den Übergang in einen Garten des Himmels.
Francesco. Mir fällt dabei das Sterbelied unsers Schutzheiligen, Sankt Stephans, ein, wie ich's ein mal von einer sehr angenehmen Stimme gehört habe.
Ugolino. Sing es.
Francesco. (singt)
Ich soll den Lichtquell trinken
Am himmlischen Gestad!
Ach! wo das Lied der Sterne strömt,
Am himmlischen Gestad,
Da strömt ihr Silberstrom
Unsterblichkeit!
Ihn soll ich schaun! Gedank!
Unauszudenkender Gedank!
Ach! ich verstumme dir!
Ugolino. Du hast's gut gesungen. (Beiseite) Herunter, mein Herz! So weit war's wohlgetan, Ugolino!
Anselmo. (steht vom Stuhl auf) O Licht! Licht! o Salamis, heiliger Vaterlandsboden! Herd meiner Väter! und du, ruhmvolles Athen! und du, mit mir auferzognes Geschlecht! ihr Quellen, ihr Flüsse, ihr trojanischen Felder! euch ruf ich! seid mir gesegnet, o ihr meine Pflegerinnen! Dies letzte Wort ruft Ajax euch zu: das übrige will ich im Elysium den Schatten erzählen.
Ugolino. Was sagst du?
Francesco. Er hat die Rolle des Ajax Telamonius im Augustinerkloster gespielt. Dies ist nichts, als eine plötzliche Regung seines Herzens.
Ugolino. Gut; ich verlasse euch, meine Kinder. Der Morgen naht heran, und keins von euch hat noch den balsamischen Schlaf genossen. Schlaft nun wohl, ihr Geliebten. (Legt Gaddo wieder hin) Wenn wir uns wiedersehn, so – (Geht eilig ab)
Anselmo. Schläfert dich?
Francesco. Freilich! aber ohne meines Vaters Segen will ich nicht einschlummern! O mein Schlaf wird ein herzerquickender Schlaf sein!
Anselmo. Mein Vater soll mich auch segnen. (gehen ab)
Gaddo. Mich hat er gesegnet. Dennoch könnt ich itzt nicht einschlummern.
Fünfter Aufzug
Anselmo. Ich bin voller Erwartung.
Francesco. Er sprach die Worte »Es ist ein Gott, meine Kinder!« mit großer väterlicher Gemütsbewegung aus; er konnte keinen Ton mehr vollenden. O mein Anselmo, du weißt nicht, warum ich unsern Vater so schnell verließ.
Anselmo. Noch warum du mir winktest, dir zu folgen.
Francesco. Umarme mich, mein Bruder! daß ich dich fest an mein Herz drücke, Geliebter! Du bist doch nun völlig wieder Anselmo?
Anselmo. Ich bin mild, wie der Honig vom Hymettus.
Francesco. Ruggieri hat mir Gift gegeben, und ich werde sterben. Mein Vater wähnte, ich hätte mich betrogen; ich wähnt es selbst. Mein Vater soll mich nicht sterben sehen. Mein Vater hat mich zum letzten Male gesehen. Du erblassest? Was ist dir, mein Werter?
Anselmo. Cithäron fällt, die erhabne Pallene zittert, und Tempe welkt!
Francesco. Noch immer diese hochfliegenden Phantomen! Ach! wie quälst du mich, mein Anselmo!
Anselmo. Sprich es noch einmal aus, das geliebte tonvolle Wort. Wie war's? Sterben?
Francesco. In dieser Stunde. Daß ich euch itzt schon zurücklassen soll, meinen niedergebeugten Vater, dich, mein Anselmo, dich, mein Gaddo, (Indem er Gaddo mitleidig ansieht) das, das tut mir weh. Doch, ihr Armen, ich gehe nicht lange voraus.
Anselmo. Ha!
Francesco. Anselmo, ich will dir etwas ins Ohr sagen, ehe ich sterbe. Ich fürchte unsers Vaters Stillschweigen. Er ist arm an Worten, schwer beladen mit Jammer, schwerer, als ein Mensch es vor ihm gewesen ist. Kann er seine Seele bis ans Ende behaupten, so ist er der größte Sterbliche der Erden, wie er der größte in Pisa war. Aber seine Leiden sind zu vielfach. Deswegen hab ich gewünscht, ihn zu überleben, mein Bruder, um der Stab seines sinkenden Alters zu sein. Du bist ein Knabe von starker Seele, Anselmo; ja du bist mehr, als ein Knabe! Weine nicht, Liebster. Doch weine nur. Ich verstehe den ganzen Sinn dieser Zähre.
Anselmo. Wie schwach ich mir itzt vorkomme, du Goldzüngiger!
Francesco. Ein Wort sagte unser Vater: es gellt noch in meinen Ohren. »Ach, Herr, bewahre mich vor Verzweiflung!« So sagte unser Vater! So sagte Gherardesca! Er nannte sich den von Gott Verlassenen. Entsetzen fuhr durch meine Seele: aber ich hielt mich, daß ich nicht ausschrie. Bete für unsern Vater, Anselmo! (Indem er ihm die Hand drückt) Ich wollte dich auffordern – Nun vergeß ich, wozu ich dich auffordern wollte. Die Rede eines Sterbenden –
Anselmo. Sprich nicht eines Sterbenden, ehrwürdiger Jüngling! Wie, Lichtheller, du wirst mich nicht in diesem engen Thurme, von der Welt, und aller menschlichen Hülfe abgesondert, mit Gaddo allein lassen? Überdem ist mein Kopf zerstört. Ich schaudre, zurück, ich schaudre, vorwärts zu schauen.
Francesco. Recht so, das war's, wozu ich dich auffodern wollte. Laß Ruggieri nicht über die Seele eines Gherardesca triumphieren! Sei stärker, als deine Jahre. Tritt mit Anstand in die Laufbahn. Wache über deine Vernunft! Ruggieri allein sei der Tobende, aber auch der Zähnklappernde! Er, der itzt jauchzt, sei der Winselnde, der Kriechende, das Insekt! Stirb du deines Namens würdig, Anselmo. Stirb, daß ich dich an jenem Ufer umarmen könne, wie ich dich hier umarme. Gut! das Zittern deines Antlitzes verspricht viel! Dein stolzes Herz steigt sichtbar in deinen Mienen empor! Du bist mein Bruder!
Anselmo. (fällt ihm in die Arme) Ach!
Francesco. Meine Bitte hat ihre Deutung, Geliebter. Auch deines Vaters wegen wünsch ich dich standhaft. Kränk ihn nicht durch vergeblichen Kummer: er hat der Leiden genug. Laß mich keine Fehlbitte tun; gib mir deine Hand darauf. Itzt sterb ich vergnügt. Ohne heilige Fürbitten zwar der Knechte Gottes! Keine Träne fließt um mich in seinen Tempeln. Kein Edler im unedlen Pisa trägt meinen wandernden Geist auf den Flügeln seiner Andacht zum Himmel. Aber wo ihr seid, will ich sein. Auf dieser Grabinsel soll mein Geist verweilen, auf dieser schwanken Spitze hingeheftet ruhn, mit dem Winde Freudigkeit des Todes auf euch niederlispeln, bis ihr verklärt seid, wie ich.
Anselmo. (entschlossen) Da hast du meine Hand, Kind der himmlischen Grazie, Erstgeborner des großen Gherardesca! Nimm sie, nimm sie zum zweiten Male. Er