Ich will nicht sagen, daß ich die Sorgfalt der Dichter für Ehrbarkeit und Zucht etwa verspotten, oder geringschätzig machen wollte: sie bleibt schätzbar und nachahmenswürdig. Aber auf sie, als auf Hauptaugenmerk ausgehen, kann keine Poetische Leser desselben bilden, zeigt keinen poetischen Leser desselben an, verrückt vielmehr die Sphäre eines blos poetischen Lesens völlig. Fromm mag sie seyn, aber auch nichts weiter; ich will das Auge meines Jünglings nicht verwöhnen, bei Dichtern dergestalt einen Kundschafter der Ehrbarkeit abzugeben, sonst wird er kein poetischer Jüngling. Ein tugendhafter Jüngling aber? Recht gut! »Die Tugend, sagt der Landpriester von Wakefield, die immer und immer eine Schildwache nöthig hat, ist kaum der Schildwache werth!« – –
1 De verecundia Virgilii. v. Klotz. opusc. var. argum. p. 242. etc.
2 p. 242–44.
3 p. 249.
4 Quod ad animum quidem attinet, aliquoties illius imaginem carminibus intexuit. Nam & in Opusc. poet. Humana inquit fortis subjiciam mihi etc. p. 172. 73. 74. 75. 76. 77. 78.
5 Gleims Lieder Th. 1. p. 2.
6 p. 23.
7 p. 29.
8 p. 16.
9 p. 3.
10 p. 3.
11 p. 3.
12 p. 19.
13 p. 39. Im Ernste weiß ich, daß ein sehr erbaulicher Schriftsteller sich über die Worte:
Soll ich mir den Himmel wünschen?
Nein! dann wünscht' ich ja zu sterben!
recht fromm geärgert, und sich gegen die Neckereien mit dem Tode auch in seinen bloßen Todesschriften oft gnug erkläret.
14 p. 151–152.
II.
Jener frug: was ist Wahrheit? und ich werde wohl sehr weitläuftig, was Schaamhaftigkeit sey? fragen müssen, da Hr. Klotz nicht etwa über die persönliche Schaamhaftigkeit Virgils allein, sondern auch und insonderheit über die Schaamhaftigkeit, die in seinen Gedichten herrscht, spricht, und mit Allgemeinsätzen auf so viel andre schaamhafte und schaamlose Griechen und Römer beian zieht, daß mir über das weite Thema Angst und bange wird. Man erlaube mir also, mich auf eine Besichtigung der Schaamglieder so vieler Schriftsteller, aus verschiedenen Zeiten und Völkern und Gattungen, zum Voraus mit der Frage zu wapnen: »worin die Schaamhaftigkeit überhaupt bestehe? wie sich einzeln äußere?«
In keiner Aeußerung ist die Schaam wohl Menschlicher und in unserm Wesen profunder, als wenn sie ein Schleier wird, die Neigungen der Liebe zu bedecken. Rousseau mag untersuchen, wenn der Mensch aus einem vierfüßigen Thiere ein aufrechtgehender Mensch geworden; seitdem er ein aufrechtgehender Mensch ist, so scheint dem Triebe der Liebe ein andrer Trieb zum Gesellschafter gegeben zu seyn, der heißt Schaam; insonderheit beim schwächern Geschlechte. Selbst an Thieren will man etwas Aehnliches mit ihm bemerkt haben; wo aber auch nicht, so ist doch selbst bei Menschlichen Thieren, den Wilden, die natürlichste Handlung des Geschlechts nicht ohne diese Hülle; und man könnte vielleicht Wahrscheinlichkeiten angeben, warum sie darohne nicht seyn dorfte? Vielleicht ist bei Menschen der erste Trieb weniger Instinkt, weniger Naturzug, als bei Thieren; daß er also durch den Reiz eines Triumphs, durch kleine zu übersteigende Schwierigkeiten, durch die begleitende Schaam verstärkt werden mußte. Vielleicht war, insonderheit beim schwächern Geschlechte, dieser Schleier nöthig, weil in ihm, wie im Schleier der Venus bei Homer, die Liebe, der Reiz, und das Verlangen wohneten, weil er ein Band seyn sollte, Jupiter so an den Willen der Juno zu knüpfen, als Juno sonst, wenn es auf Gewalt ankam, an der güldnen Kette Jupiters hieng: vielleicht würde ohne diesen Vorhang wiederum der Trieb des andern Geschlechts, so wie die übrigen, nicht in den Schranken des Bedürfnisses bleiben, und denn, mehr als alle übrige, das Menschengeschlecht zu Grunde richten – Vielleicht sey Vielleicht: die Folge selbst ist gewiß: die Natur gab aus weisen Ursachen der Göttin Genethyllis eine Vorgängerin:
– – die wohlbewachte Schaam
Die Jüngste der Charitinnen.
Worte eines Weltweisen (dergleichen wir jetzt nicht so gar viele haben), dünken mich hierüber so neugesagt, und doch so altmenschlich empfunden, daß meine Leser ihn gerne statt meiner hören werden.1 »Die Schaamhaftigkeit ist ein Geheimniß der Natur, so wohl einer Neigung Schranken zu setzen, die sehr unbändig ist, und indem sie den Ruf der Natur vor sich hat, sich immer mit guten sittlichen Eigenschaften zu vertragen scheint, wenn sie gleich ausschweift. Sie ist demnach als ein Supplement der Grundsätze höchst nöthig: denn es giebt keinen Fall, da die Neigung so leicht zum Sophisten wird gefällige Grundsätze zu erklügeln, als hier. Sie dient aber auch zugleich, um einen Geheimnißvollen Vorhang selbst vor die geziemendsten und nöthigsten Zwecke der Natur zu ziehen, damit die gar zu gemeine Bekanntschaft mit denselben nicht Ekel, oder zum mindesten Gleichgültigkeit veranlasse, in Ansehung der Endabsichten eines Triebes, worauf die feinsten und lebhaftesten Neigungen der menschlichen Natur gepfropft sind. Diese Eigenschaft ist dem schönen Geschlecht vorzüglich eigen, und ihm sehr anständig. Es ist auch eine plumpe und verächtliche Ungezogenheit, durch die Art pöbelhafter Scherze, welche man Zoten nennet, die zärtliche Sittsamkeit desselben in Verlegenheit