Warum soll der Künstler keine Handlungen darstellen dürfen? Körper und Handlungen machen hier eins aus, das ist: Leben; und beides ist dafür da; hohes edles Leben; dies ist sein letzter Endzweck. Bei einzelnen Figuren gibt dies Schönheit; bei mehrern zu Darstellung einer Begebenheit kann und muß er zuweilen gar die Häßlichkeit abbilden, wie zum Beispiel den Maxentius in einer Schlacht vom Konstantin, einen Attila, einen Heliodor. Vollkommenheit zeigt sich von außen durch Schönheit, Unvollkommenheit durch Häßlichkeit; und die mehrsten Begebenheiten in der Welt sind ein Kampf zwischen Tugend und Laster. Soll er das Laster schön darstellen? Und ist er deswegen ein Kotmaler, wenn er es häßlich darstellt? Häßlichkeit verändert hier seinen Namen und wird zu Schönheit der Kunst. Die Geschichte soll auch bei dem Maler nicht bloß Augenweide sein, sondern tiefer dringen. Der Kunst dieses nehmen wollen heißt sie zum schalsten Zeitvertreib machen. Außerdem sind immer diese dreierlei Gattungen getrieben worden, wie schon in Griechenland, wo, nach dem Aristoteles, Polygnot die Menschen besser malte, als sie waren, Pauson schlechter und Dionys nach der Wirklichkeit.
An Ausdruck und Bewegung von Leidenschaften wird die Natur hoffentlich immer ebenso unerschöpflich bleiben als an neuen Gesichtern und Gestalten.
Kapitel 25
Kurz, der Künstler stellt wie ein Zaubrer für den Verständigen mit einem Blick auf einmal die wirkliche Tat dar, wo der Augenschein über alle andre Vorstellung hinreißt; und darüber macht der Geschichtschreiber und Dichter für die Unwissenden nur eine Brühe darum her, gleichsam seines Evangeliums Ausleger und Dolmetscher – stellt die schönsten Denkmale der Begebenheiten auf für Herrscher, Philosophen und Völker dem ersten feinsten Sinn des Geistes, und ihm am naturnächsten, dem Auge. Und es ist nicht mehr als billig, daß Zaubrer nicht darben.
Die Dichter, die einen Epaminondas aufführen, wie er leibte und lebte, laßt sie auch alles in der Geschichte dazunehmen, werden so rar sein wie die Maler, die seine Gestalt so treffend aus ihrem Kopf erfinden, daß sie seinem Porträte gliche; und es erwächst dem Praxiteles und Apelles daraus wohl wenig Nachteil, daß ihre Phryne den neuen Namen Venus aus der Mythologie, oder Helena oder Iphigenia aus den Dichtern, oder einen andern in ihren Kunstwerken aus der Geschichte habe: so wie dem Raffael, daß sein Oheim Bramante in der durch alle Zeiten göttlichen Gruppe der Schule den Archimedes vorstelle, wenn sich auch einmal des letztern Bildnis finden sollte.«
»Vortrefflich! mutiger, tapfrer, edler Jüngling«, rief er mir hier zu; »und nun genug. Wir haben den Kreis durchlaufen und sind unvermerkt auf derselben Seite wieder angekommen, wovon wir ausgingen. Ich reich Euch zum Frieden die Hand, schlagt ein; ich hoffe, daß wir gute Freunde sein werden, sobald wir uns ein wenig besser im Innern kennen. Man behauptet in der Hitze des Streits oft Dinge, die man selbst für falsch und übertrieben hält. Zuhörer, die Verstand haben, nehmen von selbst das Wahre heraus; und die keine Unterscheidungskraft besitzen, müssen überall Schwärmern oder der großen Herde wie die Kälber folgen. Der Abend ist zu schön, als daß wir ihn hier im Zimmer verplaudern sollten; und die unten tanzen und sich ergötzen, haben uns schon längst gerufen.«
Wir umarmten uns denn beide mit glühendem Gesicht und klopfendem Herzen.
Unten erfuhr ich, daß mein Mann ein Grieche sei aus der Insel Scio, den die Giustiniani als Knaben mit sich genommen hatten. Er hielt sich nun für beständig in Rom auf und lebte frei von einer kleinen Pension aus diesem Hause und erwarb sich das übrige damit, daß er griechische Handschriften aus der vatikanischen Bibliothek für auswärtige Gelehrten teils kopierte, teils die verschiednen Lesarten daraus sammelte. Er heißt Demetri und mag an die vierzig Jahr alt sein. Sein Wuchs ist groß und stämmicht und seine Gestalt so kühn und unabhängig und seine Sitte so gegen alles Vornehme, daß er wie Diogenes dem Dionysios von Syrakus zu Korinth hätte sagen können: er sei des glücklichen Lebens nicht wert, das er nun führe. Wie mir dies in meinen Eingeweiden herumging, kannst Du Dir leicht vorstellen.
Der bildschöne Jüngling, welcher den Streit erregte, heißt Tolomei, ist ein weitläuftiger Anverwandter von ihm, Sohn eines griechischen Kaufmanns zu Brindisi, treibt hier die Malerei und steht unter seiner Aufsicht.
Ich sah ihn mit einer schlanken Römerin tanzen und mußte lächeln, daß der holde Bube den alten strengen Michelangelo so hart angegriffen hatte; das Rätsel ließ sich nun leicht auflösen. Das süße Paar wallte in jeder Bewegung neue entzückende Schönheit von sich; der Knabe schien ein Mädchen und die Jungfrau mit ihrem zündenden Blick ein verkleideter Jüngling. Die Menge stand umher, und kein Auge verwendete sich von ihnen aus den erheiterten Gesichtern.
Der Monat Oktober wird in Rom und auf dem Lande herum ganz der Freude gewidmet; jedes spart dafür den Sommer auf.
Ich machte mich bald wieder an den Griechen; ich hatte noch manchen Punkt mit ihm ins reine zu bringen, der kaum war berührt worden. Er erzeigte sich gefällig. Wir stiegen den Monte Testaccio hinauf, um die Gegend zu überschauen, und trafen oben Künstler an, die nach der Natur zeichneten. Man hat hier reizende Aussichten hin überall und verschiedne Landschaften, jede so vollkommen für Gemälde, um sie schier nur abzunehmen. Pyramide, die das Kleinod der Gegend bleibt; Sankt Paul und Tiber; Steffano rotondo, alte Wasserleitungen, Kolisäum, Grabmal der Metella; Pietro Montorio; Porta Portese zeigen immer neue bezaubernde Seiten mit Pinien, romantischen Villen, Rebenhügeln und den herrlichen Fernen der Gebirge von Frascati, Tivoli und dem Sabinerlande. Wir setzten uns nieder, und jeder drehte sich dahin und dorthin; die große Augenlust machte uns eine Weile stumm, und alle die andern Sinnen verloschen.
Wir fingen endlich an, von Rom zu sprechen, dem alten und dem neuern, gingen über auf Griechenland und dessen ehemaligen und gegenwärtigen Zustand: und unsre Reden stimmten so schön zur untergehenden Sonne an der unvollendeten Peterskuppel des unsterblichen Michelangelo! »Ach, alles geht auf und unter, Völker und wir, und die Werke der Menschen! Der Mensch ist ein stolzes Geschöpf«, rief ich aus; »er hat die Oberfläche der Erde gebildet, beherrscht den Adler und Löwen und bändigt das ungeheure Meer mit seinen Schiffen: aber er weiß nicht, von wannen er kömmt, noch wohin er fähret; erscheint, verändert sich augenblicklich, unsicher, ob er ein eignes Wesen ausmacht, und verschwindet. O ihr, die ihr um uns herum schlummert, ihr Scipionen, Camille, Lucrezien und Cornelien, was und wo seid ihr? Könnt ihr nicht erwachen und uns belehren?«
»Ein andermal hiervon«, gab er zur Antwort, »wenn wir mehr in Einsamkeit sind, nicht umgeben von soviel zerstreuender Herrlichkeit.« Er hielt diese Kuppel selbst für den kühnsten kolossalischen Gedanken eines Riesengeistes und glaubte, daß die alten Griechen und Römer ihn bewundern würden.
Wir kamen alsdenn wieder auf unser altes Thema, die bildende Kunst, und deren Wesentliches, den Menschen, und die Vollkommenheit seiner Gestalt; und unser beider Schluß war, daß der neuern hierin der Kern mangle. Man kann wohl sagen, daß die Werke der alten griechischen Meister eine Frucht ihrer Gymnasien waren und daß, wo diese nicht sind, sie schwerlich kann eingeerntet werden. Der erfahrne und geübte Sinn des ganzen Volks am Nackenden, dies ist die Hauptsache, die uns fehlt, nebst dem der Arbeiter selbst; das schönste Nackende der Kunst wird endlich nur durch Erinnerung geschaffen und genossen.
Man kann die Natur nicht abschreiben; sie muß empfunden werden, in den Verstand übergehen und von dem ganzen Menschen wieder neu geboren werden. Alsdenn kommen allein die bedeutenden Teile und lebendigen Formen und Gestalten heraus, die das Herz ergreifen und die Sinnen entzücken; die Regung in vollstimmiger Einheit durch den ganzen Körper des gegenwärtigen Augenblicks bildet kein bloßer Fleiß nicht. Je größer und erhabner der Künstler, desto edler und eingeschränkter die Auswahl. Im Nackenden der bei uns gewöhnlich bekleideten Teile, also des ganzen Körpers bis auf Kopf und Hände und Füße, können wir den Alten nicht gleichkommen,