Gegen Abend erwacht ich wieder und hörte in einem Saale neben mir: Michelangelo, Raffael und Antiken; und unten Trommel und Geige. Ich sprang auf, und sah zwischen den Bäumen Fest und Tanz und Schönheit, und trat in den Saal. Der Streit war so heftig, daß man mich nicht bemerkte. »Michelangelo«, sprach ein reizender junger Mensch, »gehört gar nicht unter die Maler, so wenig als einer, der bloß den Kontrapunkt versteht, unter die großen Sänger und Geiger. Was hat er denn hervorgebracht? Seine Capella Sixtina, und weiter nichts als seine Capella Sixtina. Ist dies gemalt? Ist dies Natur? Wer kann sich erinnern, irgend etwas in der Welt gesehen zu haben, das seinen Herrgöttern, Propheten und Sibyllen und vollends seinen Seligen und Verdammten gliche? Geschöpfe einer ungeheuren Einbildungskraft, die zwar erstaunlich viel für Studium den Künstlern, aber wenig für Volksverstand und nichts für Auge und Herz sagen.
Der elende Florentinerschmeichler Vasari hat mit dem Dampf von seinem Weihrauchkessel, den er dem alten Kunstdespoten unter der Nase herumschwenkte, damit er durch dessen Empfehlung etwas zu malen bekäme, den Leuten das Gehirn benebelt. Und ist dies groß im Geiste, wie er die gütige himmlische Seele, den Raffael, verfolgt hat? Weil er selbst sein Unvermögen in der Farbe erkennen mußte, so zeichnete er mit aller seiner Gelehrsamkeit die Umrisse dem Venezianer Bastian, und dieser sollte mit seinem Kolorit den Pfeil vergiften. Aber was kam zum Vorschein in Pietro Montorio? Ein Zwitterding, welches seiner Einsicht wahrlich wenig Ehre macht, und der Göttliche blieb, wer er war. Raffael hingegen, der edle reine Jüngling, der nur die Vollkommenheit der Kunst im Auge hatte, sonder Neid, strebt in Unschuld, das zu dem Seinigen noch zu gewinnen, was der weit Ältere, der Mann in Rücksicht seiner, Vortreffliches besaß; und wahrlich meistens aus kindlicher Gutherzigkeit: denn die Antiken sind doch auch hierin ganz andre Muster, und Michelangelo ist dagegen ein Wilder. Und endlich konnte Raffael wohl von Michelangelo lernen, aber Michelangelo nicht von ihm; denn was den Raffael zum ersten Maler macht, lehrt und lernt sich nicht.«
Kapitel 22
Ein Landsmann von mir, der eigentlich mit diesem im Klopfgefechte begriffen war, wurde darüber vor Ärger grün und gelb, und die Nase schwoll ihm zusehends: doch konnt er vor Zorn nichts hervorbringen, so wortreich er auch sonst ist, und hätte bald wie Marcus Tullius Cicero vor dem schönen Clodius, dem rebellischen Tribun, das Hasenpanier ergriffen, wenn ich nicht einigermaßen seine Partie aufnahm. Ich antwortete:
»Die Herrgötter von Michelangelo könnt Ihr freilich nicht in der Welt gesehen haben: aber gibt's in der neuern Kunst erhabnere Gestalten? und entsprechen sie nicht doch alle dem, was der gemeine Mann bei uns sich als Zauberer vorstellt? Eure Gestalt selbst, Freund, ist zu edel und Eure Blicke zu hochgeistig«, fuhr ich fort, »als daß der Gott, der die Sonne schafft, und der, welcher die Eva schafft, Euch nicht ergriffen haben sollten. Das Erhabne schlägt ein wie ein Wetterstrahl und berührt am ersten die großen Seelen. Die Propheten und Sibyllen sind lauter mächtige Charakter im Feuer, Eifer und Begeisterung. Und im ›Jüngsten Gericht‹ verdammt Christus streng, droht die Sünder majestätisch mit aufgehobner Rechten fort: indes die zärtliche Mutter mit angelegten Armen und Händen an die Brust die Seligen heraufwinkt; und es ist ein Spiel der Phantasie, wo der menschliche Körper in allen möglichen Stellungen wunderbar sicher ausgezeichnet ist.
Ich habe vor wenig Tagen«, fügt ich hinzu, »ein kleines Gemälde von ihm gekauft, welches vorstellt Christum am Kreuz, wo der Erlöser gesagt hat: ›Weib, siehe, das ist dein Sohn!‹ und zu dem Jünger, den er liebhatte: ›Siehe, das ist deine Mutter!‹ Unten auf beiden Seiten mit der Mutter und dem Johannes, sie rechts, dieser links; und an den Armen des Gekreuzigten schweben zwei Engel in einem Gewitterhimmel voll Dunkelheit und Feuergewölk.
Christus und die Madonna sind die erhabensten tragischen Gestalten, die ich je in Malerei gesehen habe. Christus ist ein leidender Alexander, Hannibal, Cäsar und was man Großes und Erhabenes von Menschheit kennt. Ein göttlicher Jüngling voll Güte für den großen Haufen, welcher der Menge unterlag: ein Tiberius Gracchus, und die Mutter eine Cornelia, voll Geistesstärke und Größe.
O wie verschwinden alle Madonnen und wie ist selbst Raffael, den ich bewundre und liebe wie den neuern Apelles, klein dagegen und gewöhnlich! Stellung von ihr, Blick zu ihm, zu seinem schmerzenbändigenden scharfen Aug und hohen Angesicht; herabgehaltne Rechte, voll Kraft und Zorn angehaltner linker Arm, Daum und Zeigfinger nach dem Jünger hin gerichtet; der Wurf des blauen Mantels über das rote Gewand: alles harmoniert und macht ein Ganzes. Johannes sinkt vor Schmerz zusammen mit übereinandergeschlagnen auf die Brust gelegten Händen.
Welch Meisterwerk von Zeichnung ist der Körper des Gekreuzigten! Wahrheit bis in die kleinsten Teile und zugleich Leben und Leiden durchaus in Einheit.
Man fühlt wirklich hier etwas von dem, was Vasari im allgemeinen sagt, der zuweilen so golden beschreibt, ob es gleich wahr ist, daß ihn seine antike Vaterlandsliebe zu Ungerechtigkeiten gegen die drei großen Apostel der Kunst, Raffael, Tizian und Correggio, verleitet: es ist, als ob ein himmlischer kraftvoller Genius heruntergekommen wäre und Mitleiden mit allen den Stümpern gehabt und denselben gezeigt hätte, wie ein Christus am Kreuz und eine Madonna und ein Johannes dabei vorzustellen sei. Er ist bis zur Täuschung angenagelt und bewegt sich gerade dazu, wie es sich schickt.
Die Mutter ist ein hohes Weib, noch in unverwelkter Schönheit, ihres Adels bewußt, die über die Grausamkeit zürnt, welche man an dem Sohn ausübt, sein ganzes Leiden fühlt mit dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknirschung noch solche Festigkeit und Erleuchtung hat, um erhabner als eine Niobe dabeizustehen und anzuschauen.«
Der junge Künstler fuhr auf, drückte mir beide Hände, freudig und verschämt im Gesichte glühend, und sprach freundlich zu mir: »Ich habe nur gelästert, um den dort zu schrauben; und überhaupt erfährt man mit den bittersten Widersprüchen am besten die Wahrheit, die man sonst selten aus den verborgnen Tiefen eifersüchtiger Virtuosen hervorholt. Ich kenne das kleine Gemälde von Michelangelo wohl; wievielmal ist es nicht kopiert worden! Nur wünscht ich, daß die Figuren in Lebensgröße wären. Ich kann das Kleine nicht leiden, es geht mir wider den Sinn; und ist ein Schlupfwinkel, wohinein sich Mittelmäßigkeit und Schwäche verbirgt und bei Weibern und Kindern und Unverständigen großtut.«
Ich antwortete ihm, daß ich hierin gar sehr seiner Meinung wäre, daß aber doch am Ende alle Kunst bloß Zeichen sei und Verstand und Geist am mehrsten von einem Menschen entscheide; und daß, wer keinen Verstand habe, nirgendwo obenan stehen könne. Michelangelo hätte sich übrigens mit seinen Enakskindern, den Propheten und Sibyllen genug gerechtfertigt. Unterdessen sei wieder wahr, es könn einer außerordentlich viel Verstand und Erhabenheit in der Denkungsart haben und doch ein schlechter Maler sein.
Hier tat einer in der Ecke mit hämischem Blick und boshaftem Lächeln den Mund voll gerader weißer scharfer Zähne aus einem prächtigen schwarzen Bart auf, streckte die rechte Hand hervor aus einem abgetragnen grauen Mantel, fuhr in meiner Rede fort und sagte:
»Und einer blutwenig Verstand haben und ein sehr berühmter, vielleicht auch guter Maler sein.
In dieser Kunst kann es einer ohne Schöpfungskraft, Erfindungsgeist, ohne eigentlichen Verstand, oder wie Ihr das heißt, was im Leben einen Menschen über den andern setzt, nach dem allgemeinen Urteile weiter bringen als in irgendeiner andern, wenn er nur ein gutes Auge hat, sich eine fertige Hand erwirbt im Schweiße seines Angesichts und überdies Achtung gibt, was denen gefällt, die reich sind und kaufen. Und je mehr er bloßer Kopist der Natur ist, desto mehr wird er gefallen. Und er muß behaupten, dies sei das Wahre, und alle Überflüge der Einbildungskraft, die nur hie und da einige Sonderlinge aufhielten, als leeres Zeug verachten und fragen, was nennt ihr erhaben?«
Ich wußte nicht, ob ich dies für Mutwillen, Satire oder Ernst aufnehmen sollte; doch hetzt' es mich schnell auf, und ich antwortete geradezu, wie es die Lage der Sachen erheischte.