227 241
228 242
229 243
230 244
231 245
232 246
233 247
Vorwort
von John Kotter
Dieser einleitende Abschnitt wendet sich an Interessierte, die gern mehr über die Entwicklungsgeschichte der in diesem Buch dargelegten Gedanken sowie über die sie stützenden Belege erfahren möchten. Wenn Sie nicht zu diesem Personenkreis gehören, schlage ich vor, dass Sie dieses Vorwort überspringen und direkt bei Kapitel 1 einsteigen.
Die Wurzeln der Arbeit, die zu Change führte, liegen mehrere Jahrzehnte in der Vergangenheit. Damals war ich nicht auf das Thema der Veränderung konzentriert, sondern mein Interesse galt anfangs der Leistung im weitesten Sinne – und so ist es auch heute noch. Warum leisten einige Organisationen mehr als andere? Warum produzieren einige einzelne Manager und leitende Führungskräfte so viel mehr und wertvollere Ergebnisse? Was ermöglicht es einzelnen Personen und Unternehmen, über längere Zeiträume hinweg ein hohes Leistungsniveau aufrechtzuerhalten? Diese Forschungen waren es, die meine Aufmerksamkeit auf die Themen Change und Leadership lenkten. Sie lieferten immer wieder zwingende Hinweise darauf, dass sich die Welt schneller bewegte. Die Fähigkeit, mit der Realität dieser Beschleunigung fertig zu werden, war ein entscheidender Faktor, der direkt den Kern dieser Leistungsfähigkeit bildete.
Im Lauf von beinahe 50 Jahren haben meine Kollegen an der Harvard Business School und in letzter Zeit auch meine Partner in der von mir mitbegründeten Beratungsfirma Kotter International insgesamt 16 mehrjährige Forschungsprojekte durchgeführt. Ich schätze, dass wir mehr als 600 Organisationen sehr gründlich studiert haben. Die meisten von ihnen waren Unternehmen, aber bei Weitem nicht alle. Wir forschten ebenfalls in Einrichtungen im Gesundheits- und Bildungssektor, in Regierungsbehörden, religiösen Einrichtungen und anderen Nonprofit-Sektoren. Wir beobachteten und befragten zahllose einzelne Fachkräfte, Manager und Vorstandsmitglieder aus nächster Nähe – auch hier hauptsächlich, aber bei Weitem nicht nur in Unternehmen. Die allererste Studie dieses Programms betraf sogar 20 Bürgermeister in Großstädten, die während der unruhigen 1960er-Jahre im Amt waren.
Innerhalb der einzelnen Projekte sammelten wir unsere Informationen zwar auf jeweils unterschiedliche Art und Weise, aber allen war gemeinsam, dass wir durch Beobachtung und Interviews so viele Einzelheiten zusammentrugen, wie es für Fallstudien erforderlich gewesen wäre. Bei keinem der Projekte verließen wir uns lediglich auf Umfragen oder anderweitig erzeugte Datensätze. Die Methode, mit der wir diese Informationen zu einem sinnvollen Ganzen ordneten, könnte man als qualitative Musteranalyse bezeichnen. Die Fokussierung lag unablässig darauf, die Folge von Handlungen zu ergründen, die schließlich zu Erfolgen oder, im Gegenteil, zu Misserfolgen führten.
Ich denke, dass dieses Forschungsprogramm, bei dem wir aus nächster Nähe die Siege und Kämpfe von Organisationen in einer immer unbeständigeren Welt untersuchten, in dieser Form das größte ist, das je unternommen wurde.
Darüber hinaus nutzten wir im Rahmen der Beratungsorganisation Kotter International in den letzten zehn Jahren die Möglichkeit, die Forschungsergebnisse in leicht zugängliche Playbooks zu verwandeln. Wenn wir dann mit Personen arbeiteten, die diese Playbooks umsetzten, beobachteten wir im Detail, welch großen Unterschied unser erweitertes Verständnis von Veränderungen in der Praxis ausmachen kann. Das Ergebnis: In einem Projekt nach dem anderen kam es dazu, dass Vorstände zu irgendeinem Zeitpunkt etwas in der folgenden Art aussagten: »Was wir erreicht haben, hätten die meisten der hier Beschäftigten noch vor zwei oder drei Jahren kaum für möglich gehalten.«
Wir publizieren die Berichte über unsere Arbeit auf vielfältige Weise, beispielsweise über Bildungsprogramme, Artikel in der Harvard Business Review, Vorträge, Blogs und die wichtigsten Presseorgane, aber unser wichtigstes Medium sind Bücher. Es wurden 21 Titel veröffentlicht und zwölf von ihnen waren Bestseller. Das Pinguin-Prinzip und Das Prinzip Dringlichkeit erreichten die Bestsellerliste der New York Times und das Pinguin-Prinzip stand außerdem ein Jahr lang auf Platz eins der Wirtschaftssachbücher in Deutschland und mehr als ein Jahr lang in den Niederlanden.
Dreizehn dieser Bücher wurde die Ehre zuteil, in Listen der besten Sachbücher des Jahres zum Thema Wirtschaft oder Management aufgenommen zu werden. Accelerate (2014) wurde beispielsweise von der Zeitschrift Inc., dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum, von strategy+business und dem Chartered Management Institute zum besten Buch des Jahres gekürt. Leading Change (1996) ist das wohl bekannteste dieser Bücher. Es wurde in 26 Sprachen übersetzt und vom Time-Magazin zu einem der 25 einflussreichsten Managementbücher aller Zeiten gewählt.
Das jüngste Projekt, aus dem dieses Manuskript entstand, nahm formal vor vier Jahren seinen Ausgang. Damals bildeten wir bei Kotter International eine Forschungsgruppe, die sich auf die jüngsten Erkenntnisse der Gehirnforschung konzentrierte. Wir kamen rasch zu dem Schluss, dass sich dieser Forschungszweig in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten sehr stark weiterentwickelt hatte. Zudem stellten wir fest, dass er sehr große Übereinstimmungen mit unseren eigenen Beobachtungen über die »menschliche Natur« und ihre Rolle bei der Erleichterung oder Blockierung von Veränderung und Innovation aufwies.
Uns schien, als habe die Kombination aus Erkenntnissen der Gehirnforschung, unserem jahrzehntelangen Forschungsprogramm, der wachsenden Liste wichtiger Beratungserfahrungen und einigen Pionierergebnissen aus den Bereichen der Unternehmensgeschichte, der Organisationsforschung, Leadership und sozialen Anthropologie zahlreiche bedeutende Implikationen für die Frage, warum uns Menschen Veränderungen so schwerfallen und was Führungskräfte tun können, damit wir auf Bedrohungen und Gelegenheiten erfolgreicher reagieren. Durch diese Perspektive erhielten wir auch neue Einsichten in die kausale Dynamik der Entstehung von Beobachtungen, die wir immer und immer wieder machten – in die Ursachen, warum manche Unternehmen viel mehr leisten als andere.
Mehr denn je bestätigte diese letzte Runde der Forschungsarbeiten nicht nur die Belege für einige unserer Thesen, sondern sie erweiterte und ergänzte auch unsere frühere Arbeit auf neue und vielversprechende Weise.
Auf den folgenden Seiten werden wir nun unter anderem die folgenden Themen näher untersuchen:
Eine Umgebung, die sich immer schneller und auf immer komplexere Art und Weise verändert, beispielsweise auch durch sogenannte »disruptive« Neuerungen, ist womöglich nicht mehr nur ein Faktor, sondern die zentrale Kraft, die die Herausforderungen formt, denen Organisationen und Individuen heute gegenüberstehen.
Weder die menschliche Natur noch die häufigste Form der modernen Organisation sind für die Bewältigung derart umfassender und schneller Veränderungen geschaffen. Im Gegenteil: Unser stärkster unwillkürlicher Impuls richtet sich auf Stabilität, Effizienz, Verlässlichkeit, eine schnelle Ausmerzung von Bedrohungen und vor allem auf das kurzfristige Überleben.
Aus diesem Grund klaffen die Geschwindigkeit, Stärke und Komplexität der Veränderungen im Umfeld der Organisationen und die Fähigkeit eines fest verdrahteten Unternehmens sowie der Menschen, mit ihnen Schritt zu halten, immer weiter auseinander. Diese breiter werdende Kluft ist Gefahr und Chance zugleich, denn die Organisationen sind bemüht, sich agil an die Realitäten in der äußeren Umgebung anzupassen und ihnen, wenn möglich, sogar vorauszueilen.
Nichtsdestotrotz lassen sich zumindest einige (oder auch viele) Unternehmen so führen, dass diese Lücke sich schließt oder wenigstens verringert. Diese Unternehmen kommen mit schnellen Veränderungen wesentlich besser zurecht, als es die Norm ist, und