Sternenhagel. Daniel Hartmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Hartmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783907210390
Скачать книгу
Schatz, ich fahre um eins ins Einkaufszentrum. Gestern ist der ganze Christbaumschmuck zerbrochen, als der Meteor über das Haus gerast ist. Willst du mit?« »Lieber nicht, ich möchte noch etwas in meinem neuen Buch lesen. Es ist spannend.«

      Ihre Mutter wuschelte ihr durchs Haar und lachte.

      »Wie kann man Platon spannend finden?« Dann wurde sie ernster. »Wenn der Sturm zunimmt, dann mach bitte alle Fensterläden zu und pass auf, dass Django das Haus nicht mehr verlässt, ok?«

       Freitag, 11. Dezember, 0:16 Uhr, New York, Manhattan,Hyatt Herald Square, 30 West 31st Street,15. Stock, Zimmer 1502

      Sie blickte den Tower des Empire State Buildings hoch. In dieser Nacht leuchteten der Metallmast und die beiden obersten, zurückversetzten Gebäudeteile nur rot. Blutrot. Rot wie die Liebe, hätte man sagen können. Sentimentaler Quatsch, hätte sie gesagt. Gefühle seien etwas für Schwächlinge und Looser. Manche Manager, die sie hinter sich gelassen hatte, waren der Ansicht, sie würde über Leichen gehen. Auch das war ihr egal. Es gab nur einen Weg. Und der führte nach oben. So auch jetzt bei der Gazzo Valde Oil & Mining Trust Company, ein Konzern, der von der Organisation gegen den Willen des früheren Managements und der Belegschaft übernommen worden war. Zehntausende verloren danach ihren Job. Einige nahmen sich ihr Leben. Sie warf ihr blondes langes Haar in den Nacken. Sie wusste, dass sie sehr gut aussah und sie achtete sorgfältig darauf, dass das so blieb. Doch das war nicht ihre einzige Waffe, wenn es darum ging, etwas zu erreichen. Ihr war jedes Mittel recht. Wirklich jedes.

      Jim Morrison forderte sie aus dem anderen Hotelzimmer auf, sich anzuschauen, was wir der Welt angetan hätten.

      Rivulet hob die linke Augenbraue. Sie fand Musik etwa gleich nützlich wie Stützstrümpfe. Verächtlich atmete sie aus und drückte ihren Daumen auf den Abdrucksensor ihres Smartphones. News. Das Fenster des News Tickers der Financial Times poppte auf. Headline: 137 stocks hit fresh 52-week lows on NSE. An der New Yorker Stock Exchange, der größten Wertpapierbörse der Welt, hatte sie das meiste Geld angelegt. Sie hielt nichts von gemischten Portfolios zur Risikoabsicherung. Und diesen Knick konnte sie verkraften. Trotzdem ärgerte sie sich. Sie warf das Smartphone auf einen der Koffer, die auf dem Bett lagen. Das Zimmertelefon läutete. Unwirsch nahm sie ab. Sie hatte auf etwas anderes gewartet.

      »Ja, was ist?«

      »Miss Rivulet, Liv Rivulet?«

      »Machen Sie es kurz, um was geht es?«

      Kyle, der Night Manager, antwortete höflich:

      »Ich erlaube mir nur anzufragen, ob das Zimmer zu ihrer Zufriedenheit …« Der Director kam nicht weiter. Rivulet schnauzte ein »Yes« in den Hörer und hängte auf.

      Ihr primäres Geschäft waren Verhandlungen. Schwierige Verhandlungen mit schwierigen Verhandlungspartnern. Die letzten Wochen waren hart gewesen. Hart für die anderen, nicht für sie. Ihr eben erledigter Auftrag, die Geschichte in Valosio, hatte für die US Administration ein befriedigendes Ende gefunden. Kein Mensch wollte und brauchte einen geschützten Naturpark. Und wegen den paar ollen Indianerrelikten auf dem verdorrten Gelände und den wenigen dort noch lebenden Indianern machte sich auch kein Mensch einen Kopf. Und dennoch regte sich Widerstand gegen die massive Verkleinerung des Nationalparks. Widerstand einer Minderheit zwar, aber einer, die dem amerikanischen Präsidenten gefährlich werden konnte, wenn man die Nörgler nicht mundtot machte. Als Erstes hatte sie einige Public-Relations-Kampagnen lanciert: Amtsmissbrauch und Landraub durch den vormaligen Präsidenten, Statements von führenden Wirtschaftsweisen zur Nicht-Schutzwürdigkeit der Altertümer. Und zum wirtschaftlichen Potenzial, zu den Bodenschätzen des Parks, der Schaffung neuer Arbeitsplätze, dem Aufschwung der Region usw. Der Protest in gewissen Bevölkerungskreisen flaute ab. Einige Indianerstämme, Hopi, Zuñi, Navajo etc., hopsten irgendwo einen Protesttanz. Weitere Demonstranten gesellten sich zu ihnen. Rivulet organisierte Gegendemonstrationen für den Präsidenten. Dann ließ sie Fake News und manipulierte Reportagen verbreiten. Bestechung der Redaktionen, Zeitungen, Radios, TV-Stationen. Umweltverbände und die Indianerstämme drohten, das amerikanische Oberhaupt vor Gericht zu ziehen. Dem war das egal, der wollte den Millionen Quadratkilometer großen Nationalpark wirtschaftlichen Interessen zugänglich machen. Das Bureau of Land Management würde den Park zerstückeln und die einzelnen Gebiete an die Öl- und Gasförderungskonzerne verpachten. Gazzo Valde würde den Löwenanteil erhalten. Und sie, Liv Rivulet, Head of Special Services, würde auch nicht zu kurz kommen. Sie lächelte zynisch. Was scherten sie heilige Indianerländer, Petroglyphen, Steindörfer, Landdenkmäler, Biodiversität, Fossilien und so ein Scheiß? Nichts. Sie hatte das Problem gelöst, auch wenn sie dazu die Hilfe einiger Partner in Anspruch hatte nehmen müssen. Es flossen Geld und Blut. Der Präsident konnte den Erlass unterzeichnen. Klage wurde nicht eingereicht. Das Weiße Haus ließ ihr seinen persönlichen Dank ausrichten. Das erfüllte sie mit einem gewissen Stolz.

      Vor kurzem wurde ihr mitgeteilt, der Präsident habe ein Problem mit jemandem, der zu viel Lärm mache. Die Angelegenheit sei delikat, da es sich um eine bekannte Persönlichkeit handle. Man werde sich melden.

      Ein Ping kündigte eine E-Mail auf ihrem Smartphone an. Rivulet las die kurze Zeile mit den Zahlen:

      AS1.AMN2/1408/1230/1412/47.367301/8.539358/.

      Dann bestellte sie einen Bellman, der ihr Gepäck in die Lobby bringen sollte. Der Fahrer der Organisation wartete bereits auf sie.

       Freitag, 13. Dezember, 14:25 Uhr,Myanmar, Yangon

      32 Grad. Wolkenloser Himmel. Verkniffen betrachtete der buddhistische Abt Phuu Asara des Klosters Aadhamm das Fax in seiner Hand. Es bedeutete Stress und Aufregung. Dinge, die er hasste.

      Der klimatisierte Toyota kam vor dem Eingang des Kan Taw Mingalar Garden zum Stillstand. Er bedeutete seinem Chauffeur zu warten und schlenderte am See entlang. Der Pavillon auf der künstlich angelegten Insel war leer. Er würde der Erste sein. Das war gut so.

      Der Park mit seinen großen Rasenflächen, Palmen, Kasuarinen, Kautschuk- und Hibiskusbäumen und den kleinen Seen war bei der einheimischen Bevölkerung beliebt. Viele lächelten ihm im Vorbeigehen zu. Ein Junge drückte ihm Geld in die Hand. Zum Zeichen, dass er das Almosen annahm, schlug er ihm mehrmals sanft mit dem Schein auf den Kopf und intonierte einen kurzen Singsang.

      Er ging über die Fußgängerbrücke und setzte sich in den offenen buddhistischen Säulen-Pavillon. Der frühere, mehrstufige asiatische Pavillon hatte ihm besser gefallen. Aber im Grunde war es egal, denn aus seiner Sicht diente Religion nur einem Zweck: Um die Naiven, die an Buddha, Jesus, Mohammed oder Vishnu glaubten, um ihr Geld zu bringen.

      Als der Kopf seines Amtskollegen Ihu Moneaus, Abt des Klosters Maungdaw, über dem Brückenbogen auftauchte, stand er auf und kam ihm entgegen. Asara und er umarmten sich herzlich.

      Ihu führte seit Jahren einen erbarmungslosen Krieg gegen die Minderheit der Rohingya in Rakhine. Westliche Zeitungen nannten ihn »Birmas Bin Laden«. Er nutzte nicht nur Predigten und soziale Medien, um die Bevölkerung und das Militär gegen die staaten- und rechtlosen Rohingya aufzuwiegeln. Ein Bericht von Amnesty Worldwide dokumentierte eine Vielzahl von Verbrechen gegen die Muslime, die das Militär verübt hatte und hinter denen Ihu steckte: Vertreibungen, Verschleppungen, Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung. Moscheen wurden niedergebrannt. Seit einiger Zeit verfolgte er eine neue Strategie. »Unkrautvertilger« nannte er die Droge Yaba, mit der er Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene der Rohingya süchtig machte.

       Freitag, 13. Dezember, 9:08 Uhr,Cappellen, Hospiz zur Heimat

      Vicedirettore Gabriele ging in seinem Zimmer hin und her. Ein dilettantischer Fehler, dass ihm das Fax aus dem Fenster geweht war. Sein Blick fiel auf die halbvolle Zigarettenschachtel. Kopfschüttelnd zerknüllte er sie und warf sie in den Mülleimer.

      Er hatte versucht, mit Partner Nr. 2 der Schweiz Kontakt aufzunehmen, aber noch keine Antwort erhalten. Als er gerade seinen Laptop ausschalten wollte, kam ein Fax von Seth, dem Boss der Bosse, an. In der Mitteilung stand:

      WW1.AS1.AUS1.AMN1.AMS1.AFR1.CH1.CH2.AMN2.

      AS7./BC/1230/1512/46.955691/7.337825/.

      Nachdem