Der Schlüssel zur anderen Welt. Jörg Kressig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Kressig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783907210574
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waren die Visionen unvermeidbar und es war unwiderstehlich, ihrer Bedeutung nachzugehen. Es wurde meine Leidenschaft, sie zu interpretieren, und ich arbeitete daran, wann immer ich Gelegenheit dazu hatte. Ich füllte ganze Tagebücher mit den Symbolen und Visionen, die ich täglich sah. Zu diesem Zeitpunkt trat ein Wendepunkt ein: Statt die Botschaften nur willkürlich zu empfangen, lernte ich es, die Kommunikation selbst einzuleiten. Es war eine der nützlichsten Lektionen meines Lebens, es zu meistern, »wie gerufen« zu kommen. Ich gewöhnte es mir an, mich bewusst zu öffnen, mich einzustimmen und die Information zu überbringen. Es führte auch dazu, dass ich mir schnell der verborgenen Aspekte von Menschen bewusst wurde, die ich nie erwartet hätte. Ich meine damit, dass all meine Beziehungen letztlich unter den Einfluss meiner Gabe gerieten. Ich stellte fest, dass ich meinen Visionen und Instinkten mehr vertraute als dem, was die Leute sagten. Das führte zu vielen enttäuschenden Ahnungen, die sich immer wieder als treffend herausstellten, egal wie sehr ich den Leuten einen Vertrauensbonus zukommen lassen wollte. Ich war es gewohnt, der Adressat von Skepsis zu sein, und nun wurde ich anderen gegenüber skeptisch. Ich überwand meine zynische Frustration mit dem Heranwachsen, aber sie war der Vorbote eines inneren Konflikts, der stets mit diesem Territorium einherging. Worauf gebe ich mehr: auf die Worte anderer Leute oder auf meine eigene Intuition? Keine leichte Frage, wenn es um Menschen geht, die man liebt.

      Im Teenageralter machte ich alle obligatorischen Riten des Heranwachsens mit, jedoch stets begleitet von einem Gefühl der Angst und Entfremdung. Obwohl ich mich so anders fühlte, versuchte ich doch, die Tatsache im Auge zu behalten, dass wir alle unseren Platz als Menschen zu finden versuchen. Ich war nicht der Einzige, der radikale Veränderungen durchmachte. Das war eine Gemeinsamkeit, die einige meiner freigeistigeren Freunde glaubten, mit mir teilen zu können, und ich wusste es stets zu schätzen.

      Einer dieser Freunde war Nolan, ein kleiner, schüchterner Junge in meiner Sportklasse. Mehr als alles andere verband uns unsere gemeinsame Leidenschaft für Computerspiele, was nicht weiter überraschend ist, wir waren schließlich dreizehn Jahre alt. Nach einer Weile entschied ich mich, mein Geheimnis mit ihm zu teilen. Ich beschrieb ihm die andere Seite der Realität, in die ich die letzten drei Jahre über ein paar Blicke hatte werfen dürfen. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er bei dieser Eröffnung cool blieb. Nolan fand meine »Absonderlichkeit« dank seiner technischen Denkweise vielmehr faszinierend und war entschlossen, einen Namen dafür zu finden. Er war mir eine entscheidende Hilfe bei meinen Nachforschungen durch Bücher und Websites zu der Frage, was es bedeutete, ein hellseherisch begabtes Medium zu sein. Als ich das erste Mal all die unterschiedlichen Definitionen des Wortes Empathie las, hatte ich das Gefühl, eine Liste von Symptomen meines Lebens zu lesen. Wir verbrachten Stunden in Bibliotheken und vor Computerbildschirmen, lasen die Geschichten anderer, die ähnliche Phänomene erlebt hatten. Mit diesen Forschungen stellte sich die überraschende Einsicht ein, dass es andere gab. Wie sich erwarten lässt, richtete sich mein Interesse bald auf Religion und Spiritualität – zwei Gebiete, die ganz offensichtlich mit der Kommunikation mit Verstorbenen in Verbindung stehen, über die ich jedoch nie viel nachgedacht hatte.

      Obwohl ich einen Namen für meine Gabe gefunden hatte, war ich nicht in der Lage, eine Verbindung zu den vielen anderen Gebieten zu sehen, mit denen Medialität oft in einen Topf geworfen wird. Alles zog sich in mir zusammen, wenn ich die Worte »paranormal«, »übernatürlich« und – ganz unten auf meiner Liste – »okkult« las. Mein natürlicher Zustand war mein »Normalzustand«, mein »Naturzustand«, und keineswegs von der geheimnisvollen Aura umgeben, die das Wort »okkult« implizierte. Ich war eingetaucht in eine Welt, die mich sowohl eins sein ließ als auch zweiteilte – jetzt wusste ich, was ich war und auch, was ich nicht war. Ich fand die Gimmicks, die mit der New-Age-Spiritualität einhergehen, abstoßend und hoffte in diesen frühen Jahren, dass ich irgendwie dabei mithelfen könnte, neu zu definieren, was es mit diesem zusätzlichen Sinn auf sich hat.

      Ich vertiefte mich in alle möglichen Theologien und Ideologien; ich ging für fast ein Jahr in die presbyterianische Kirche und fing an, viel über Buddhismus zu lesen, versuchte meinen Geist für Philosophie und alternative Denkweisen zu öffnen. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte – die Visionen aus der geistigen Welt, die ich erfuhr, ließen sich durch viele Philosophien stützen. Ohne jeden Zweifel geht das Leben nach dem Tod weiter und Menschen in diesem Zustand konnten mit unserem interagieren. Darüber hinaus war ich für viele, wenn nicht alle Möglichkeiten offen. Ich sah mir Bücher aus der Bibliothek für Religion und Philosophie an, verbrachte die gesamten Sommerferien mit Lesen und versuchte, so viel davon zu behalten wie nur möglich.

      Und dennoch gelang es mir immer noch nicht, herauszufinden, wo ich hingehörte. Meine Suche führte mich an viele Orte und ich vermutete, dass, wenn jemand die definitiven Antworten zum Leben nach dem Tod besaß, es andere mit meiner Gabe sein würden. Ich suchte andere Medien, war entschlossen, jemanden wie mich zu treffen, der mir Antworten auf meinen Fragenkatalog geben konnte, der täglich wuchs. Zuerst waren die einzigen Medien, die mir etwas sagten, Berühmtheiten – John Edward und James van Praagh waren zwei extrem hilfreiche Quellen. Sie wiesen mir den Weg in die Welt der Medien unserer Zeit. Ich las ihre Bücher, sah mir ihre Sitzungen an und sparte Geld, in der Hoffnung, sie persönlich zu treffen. Ich durchforstete das Internet und spirituelle Buchhandlungen und hielt Ausschau nach jemandem, der mit mir eine persönliche Sitzung machen würde, aber damals hatte ich wenig Erfolg.

      Dank dieser Forschungen erlangte ich jedoch ein beträchtliches Verständnis für den Prozess, den ich durchmachte. Ich lernte, was es bedeutet, Feedback von anderen zu bekommen (Bestätigung), was es mir ermöglichte, die Zeitspanne, in der ich die Eindrücke festhalten musste, zu minimieren. Das war ein Wendepunkt für mich, da es mich in die Lage versetzte, zumindest die Dauer der Erfahrung zu kontrollieren, indem ich mitteilte, was ich fühlte oder nicht, statt nur wie bisher ein offenes Gefäß für jede Energie um mich herum zu sein. Normalerweise verging die Vision oder das Gefühl, nachdem ich darüber gesprochen hatte, und es stellte sich sofortige Erleichterung ein, die allerdings kurzlebig war und nur währte, bis eine neue Botschaft ihren Platz einnahm.

      Einer der wenigen Menschen, von dem es sich gut anfühlte, Bestätigung zu bekommen, war Nolan. Wir machten zahlreiche »Tests«, um das Potenzial und Ausmaß dieses einzigartigen Teils meiner selbst zu verstehen. Wir hingen in Parks und Cafés herum, lasen, schrieben und erforschten die Tiefe meines Potenzials. Meine Fähigkeit war nicht annähernd ausgereift genug, um sie willkürlich wachzurufen, aber mit wachsender Übung wurde ich besser darin, sie auf einzelne Individuen einzustellen. Das wurde zu einer entscheidenden Fähigkeit bei meiner Arbeit. Anfangs machten wir unsere Experimente aus Spaß und ein wenig Hals über Kopf – ich las die Leute in der Öffentlichkeit, schrieb meine Eindrücke auf und ging manchmal sogar auf sie zu und fragte, ob sie offen dafür wären, potenzielle Nachrichten von ihren Lieben in der geistigen Welt zu hören. Dabei entwickelte ich mich weiter, war nicht länger nur ein passiver Empfänger meiner Gabe, sondern begann, ihr tieferes Potenzial anzuzapfen.

      Anfangs fühlte es sich seltsam an, auf wildfremde Leute zuzugehen, und die Reaktionen fielen auch sehr unterschiedlich aus. Aber je wohler ich mich damit fühlte, die Botschaften zu empfangen und die Verbindung herzustellen, desto mehr Botschaften kamen durch. Die Monate verstrichen und die Themen dieser Eindrücke begannen, sich zu verändern. Ich fing nicht länger nur kurze, blitzartige Eindrücke einer verstorbenen Großmutter auf, die erste Initiale eines Namens oder eine sentimentale Erinnerung, sondern bekam direktere Eindrücke von den Lebenden, die ich las. Beziehungsprobleme, gesundheitliche Schwierigkeiten und Karrierewechsel tauchten in meinen Lesungen auf. Noch bizarrer war die Menge trivialer Informationen, die ich empfing – zufällige Farben, unwichtige Erinnerungen und relativ viel, was sich als gehaltloser Lärm ausnahm. Durch Übungen und Versuch und Irrtum lernte ich, diese Eindrücke zu navigieren, eine Bestätigung der wichtigsten Botschaften zu bekommen und andere Informationen zu ignorieren, die sich als irrelevant herausstellten.

      Das versetzte mich in eine Position, die ihre Herausforderungen mit sich brachte. Wer war ich, dass ich entscheiden konnte, welche Botschaft wichtig genug war, um sie zu überbringen, und welche nicht? Dürfen Postboten entscheiden, welche Briefe sie überbringen und welche nicht? Es schien unfair, das zu zensieren, aber ich war nicht weit genug in meiner Entwicklung, um den Zeichen und