Diese Zeit war bestimmend für meine Herangehensweise an meine Arbeit als Medium und ich entdeckte damals viel von dem, was ich heute mache. Als ich eines Tages mit einem Freund telefonierte, kritzelte ich auf einem Notizzettel herum. Ich spürte, wie der Kugelschreiber hin und her glitt und die Information begann, in Wellen durchzukommen. Ich hatte gelernt, Informationen zu leiten, indem ich Skizzen machte. Ich initiierte eine Kommunikation, statt Träumen und zufälligen Visionen ausgeliefert zu sein. Zumindest auf gewisse Weise erlaubt mir das Kritzeln, ein Gefühl von Kontrolle über den Fluss dessen, was durchkommt, zu entwickeln. Die resultierenden Kritzeleien sind normalerweise sinnlos. Es ist der tatsächliche Prozess des Kritzelns, der mich in den meditativen Geisteszustand versetzt, der nötig ist, um eine bewusste Kommunikation herbeizuführen.
Tim
Meine Fähigkeiten zu entdecken, war aufregend, aber es gab definitiv Tage, an denen ich mir gewünscht hätte, normal zu sein. Die Tatsache, dass ich von Leuten umgeben war, die mich unterstützten, machte viel aus, aber das änderte nichts daran, dass meine lebhaften Visionen und Vorahnungen mich stark verunsicherten. In mindestens einem Fall war das regelrecht traumatisch.
Mein ältester Freund aus der Kindheit sah fast genauso aus wie ich, war aber viel extrovertierter. Wir waren mehr Brüder als Freunde, es machte mir also zutiefst zu schaffen, als ich miterleben musste, wie er in der Kindheit mit einem Gehirntumor zu kämpfen hatte. Eine Behandlung jagte die nächste, aber schließlich brachte die Strahlung, die seine Stimmbänder zerstörte, seinen Krebs zum Zurückgehen. Ich hatte stets das Gefühl, dass unsere Verbindung einzigartig war, da wir beide begriffen, was die Nähe zur anderen Seite bedeutete, jedoch jeder auf seine eigene Art. Tim begriff schon in jungen Jahren, wie ungeheuer wertvoll das Leben ist, und er war so eifrig auf Alltägliches aus, dass es eine Freude war, in seiner Nähe zu sein. Er sah mich nicht als Tyler, das Medium. Er wusste einfach nur meine Persönlichkeit und Freundschaft zu schätzen. Damals war ich sehr versessen darauf, meine Gabe zu begreifen, aber Tims Lage gemahnte mich daran, den gegenwärtigen Moment zu würdigen. Wir brachten Stunden damit zu, Fahrrad zu fahren, an den Strand zu gehen und Spiele zu erfinden.
Als ich etwa fünfzehn war, zog meine Familie um, fast dreihundert Kilometer von Tims Familie weg, aber ich besuchte ihn trotzdem an den Wochenenden, wann immer es mir möglich war. Als ich ihn ein paar Monate lang nicht gesehen hatte, überraschte mich mein Vater mit einer spontanen Fahrt an die Küste, um meinen besten Freund zu besuchen. Es war ein wunderbarer Tag, um am Strand zu sein, und ich freute mich darauf, Fahrrad zu fahren. Als ich losging, um Tim am Kai zu treffen, konnte ich schon sein Lächeln sehen. Ich hörte seine sanfte, wacklige Stimme, die von Weitem meinen Namen rief. Als ich nah genug war, um ihn zu umarmen, erwartete ich etwas Warmes, fand aber nur frostige Kälte. Er lachte und lächelte, aber als wir einander umarmten, brandeten pfeifende Geräusche wie bei einem Herzstillstand im Krankenhaus über mich her, so als ob ich sie laut mit eigenen Ohren hören würde. Tief in mir spürte ich den Strudel der Leere; ich fühlte in einer Vision den Tod meines besten Freundes voraus. Es gab keinen Zweifel, da war kein Platz für die Interpretation dieser Symbole, nur die kalte Wahrheit, der ich mich in diesem jungen Alter nicht stellen wollte. Ich konnte es nicht verbergen, dass etwas massiv nicht stimmte. Weil ich mir nicht sicher war, was ich sagen sollte, sagte ich ihm, dass ich mich nicht gut fühlte, und unterbrach unsere Fahrt.
Hätte ich gewusst, dass das unsere letzte Begegnung sein würde, so sage ich mir heute, hätte ich es anders gemacht. Aber damals war ich unfähig, mit dem zurechtzukommen, was ich gesehen hatte, von dem ich wusste, dass es kommen würde, sodass ich nach und nach den Kontakt zu meinem besten Freund verlor, bis drei Wochen vor seinem Tod im Alter von siebzehn Jahren. Der Krebs kam heimlich, still und leise zurück, aber heimtückischer, als er angefangen hatte. Drei Wochen vor seinem Tod nahm Tim Kontakt zu mir auf und bat, mich zum letzten Mal in der physischen Welt zu treffen. Obwohl er gerade erst ins junge Erwachsenenalter eingetreten war, ging sein Leben dem Ende zu. Wir vereinbarten, eine Kurzreise mit dem Auto zu machen, um die verlorene Zeit nachzuholen.
Es kam nie dazu. Tims Zustand verschlechterte sich so schnell, dass er nicht länger mobil war. Kurz darauf erfuhr ich, dass hunderte Meilen entfernt mein bester Freund seinen letzten Atemzug getan hatte. Ich hatte keine Vorwarnung bekommen, was den genauen Zeitpunkt betraf. Es war eine ernüchternde Erinnerung daran, dass auch ich, obwohl ein Medium, den Geheimnissen des Universums unterworfen bin, so wie alle anderen auch. Ich war wütend und frustriert. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich ertappte mich, wie ich um Führung betete, zu einem Gott, dessen Namen ich nicht kannte und von dem ich nichts wusste – ich hoffte einfach nur, dass jemand mich hörte. Ich wusste, dass zumindest Tim zuhörte. In den Tagen nach seinem Tod wurden meine Gebete in einer Reihe von Träumen erhört, in denen er mich zufrieden und glücklich an dem Kai traf, an den wir so viele gemeinsame irdische Erinnerungen hatten. Mit klarer, unbeschwerter Stimme rief er mir zu, dass er »es geschafft« hatte.
Ich glaube, Tim verstand, warum ich mich von ihm zurückgezogen hatte: Ich wurde mit der Bürde meines Wissens nicht fertig. Und dennoch trauerte ich. Es schien eine Verschwendung, so jung zu sterben. Ich hatte so viele Gelegenheiten verpasst, mehr Erinnerungen mit ihm zu schaffen. Diese Erfahrung war bereits eine Ankündigung, dass die Konturen zwischen meiner Fähigkeit und meiner Identität verschwimmen würden. Jede persönliche Interaktion, die ich erlebte, würde von diesem zusätzlichen und nicht immer willkommenen zweiten Gesicht begleitet werden. Auch wenn ich mehr Zutrauen in meine Fähigkeit, Verbindung aufzunehmen, gewann, fühlte ich mich doch zunehmend allein.
In den darauffolgenden Jahren gewann ich zwar vielleicht ein tieferes Verständnis meiner selbst, aber das Leben, in das ich mich geworfen sah, war stets eine Reihe von Fragezeichen. Wenn mein Geist von Eindrücken überflutet wird, die die Leben und Gefühle der Leute um mich her widerspiegeln, ist es eine Herausforderung, das Gefühl meiner eigenen Identität zu bewahren. Trotz meines inneren Kampfes stelle ich fest, dass jede mediale Lesung mir ein tieferes Verständnis für die Menschen gibt, die meinen Pfad kreuzen, und letztlich auch für meine Rolle. Ich glaube, dass ich mich über diese Rolle definierte habe, weil es von allem, was ich je gefühlt habe, am meisten einem Identitätsgefühl ähnelt. Wenn ich meine Gabe mit denen teile, die sie am meisten brauchen, definiere ich mich über meine Fähigkeit, ihnen zu helfen. Das machte mich wohl oder übel zum Perfektionisten. Ich war entschlossen, meine Fähigkeit durch Versuch und Irrtum zu verfeinern. Medium ist ja nun kein Job, um den ich mich beworben hätte – es ist eine Verantwortung, die den gewöhnlichen Höhen und Tiefen des Heranwachsens und jungen Erwachsenenalters eine Extraportion Absonderlichkeit hinzufügt.
Die profunden Botschaften der Verstorbenen zu hören, hat meine Perspektive auf das Leben geformt. Ich lerne aus ihren Fehlern, finde Trost in ihrer Weisheit und kann würdigen, wie sehr der Tod unsere Art und Weise, das Leben zu betrachten, beeinflusst. Diese Lektionen hatten vor allem auf mich als jungen Erwachsenen, der gerade damit anfing, sich in seinem Leben zurechtzufinden, eine große Wirkung.
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