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Zum Schriftlichkeitsgrundsatz gehört auch die Verwendung von alltagstauglichen Mustern und Formularen. So sollte bspw. im Bereich der Korruptionsbekämpfung die Einbindung von Vertriebsmittlern und Intermediären auf Basis standardisierter „Due Diligence“-Fragebögen bewertet werden.[5] Kommt es zum Vertragsschluss mit einem solchen Vertriebsmittler, sollten standardmäßige Compliance-Klauseln verwendet werden.[6] Für Einzelheiten s. auch 5. Kap. Rn. 323 ff.
5. Compliance als Schulungsaufgabe
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Rechtstreues Verhalten fällt nicht vom Himmel und auch der Erlass von Compliance-Richtlinien allein bietet noch wenig Gewähr dafür, dass sich sämtliche Führungskräfte und Mitarbeiter in kritischen Situationen richtig verhalten. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen daher in den wesentlichen Compliance-Bereichen des Unternehmens regelmäßig geschult werden. Hinsichtlich der Ausgestaltung des Compliance-Trainings bestehen vielfältige Möglichkeiten und keine hiervon ist absolut zwingend. Zweckmäßig ist in der Regel eine Kombination aus Unterricht und Selbststudium. Schulungen in Unterrichtsform bieten sich vor allem für Führungskräfte des Unternehmens an, die die Aufgabe haben, gleichsam kaskadenartig über die Hierarchieebenen des Unternehmens hinab die „Compliance-Botschaft“ zu verbreiten. Selbststudium findet heutzutage regelmäßig in Form von E-Learning am Computerarbeitsplatz statt. Hierfür gibt es eine Reihe hervorragend geeigneter und didaktisch bestens aufbereiteter Lernprogramme, die ein Unternehmen einsetzen kann.
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Unabhängig vom Einzelfall sind bei Compliance-Schulungen vier Punkte von allgemeiner Bedeutung:
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Erstens gilt auch hier der Grundsatz der Risikoadäquanz. Schulungsmaßnahmen sollten speziell auf die Risikobereiche zugeschnitten sein, die für das Unternehmen besonders relevant sind. Nicht zu empfehlen ist dagegen der Einkauf von Schulungs-Komplettpaketen, die bisweilen am Markt angeboten werden. Der dabei zwangsläufig praktizierte „one size fits all“-Ansatz widerspricht dem Grundsatz, dass jedes Unternehmen für sich und anhand der Umstände des Einzelfalles entscheiden muss, welche Schulungsschwerpunkte es setzen will.
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Zweitens sind bei Konzeption der Schulungsmaßnahmen insbesondere interkulturelle Unterschiede und Spezifika zu beachten. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf unterschiedliche Rechtstraditionen, sondern insbesondere auch kulturelle Unterschiede. Es empfiehlt sich daher, für Schulungen im Ausland lokale Expertise in Form von lokalen externen Beratern oder lokalen internen Mitarbeitern hinzuzuziehen, um unnötige Missverständnisse und deren ggf. kostspielige Folgen zu vermeiden.
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Drittens ist das Entscheidende an einer Schulung nicht die Tatsache, dass sie stattfindet, sondern der Schulungserfolg. Der Erfolg einer Schulung kann nur festgestellt werden, wenn er – gleichsam wie in der Schule oder der Hochschule – getestet wird. Eine geeignete und dokumentierte Erfolgskontrolle sollte daher jede Schulungsmaßnahme abschließen.
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Viertens ist Schulung eine Daueraufgabe. Es ist nicht damit getan, einmalig alle Führungskräfte und Mitarbeiter in Compliance-Fragen zu schulen. Vielmehr ist eine Auffrischung oder Wiederholung, ggf. auch die Vermittlung neu hinzugekommenen Compliance-Wissens, in regelmäßigen Abständen erforderlich.
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Das 3. Kap. enthält weitere ausführliche Informationen zum Thema Compliance-Training.
6. Überwachung und Kontrolle
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Der sechste und letzte Grundsatz ordnungsgemäßer Compliance ist der Grundsatz der Überwachung und Kontrolle. Sowohl die Rechtstreue der Mitarbeiter als solche als auch die Einhaltung der organisatorischen Vorgaben eines Compliance-Programms bedürfen der kontinuierlichen Überwachung und Verbesserung. Unternehmen sollten ihr Augenmerk in diesem Zusammenhang insbesondere auf die folgenden fünf Aspekte richten:
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Erstens empfiehlt es sich, organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um Mitarbeitern die Anzeige von Compliance-Verstößen zu erleichtern. Im anglo-amerikanischen Bereich haben sich hierfür sog. Whistleblower Hotlines eingebürgert,[7] vom Sarbanes Oxley Act werden sie sogar für diejenigen Unternehmen, welche dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes unterliegen, zwingend verlangt.[8] Whistleblower Hotlines ermöglichen es Mitarbeitern, anonym und vertraulich Compliance-Verstöße anderer Mitarbeiter und Führungskräfte zu melden. Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis begegnen Whistleblower Hotlines, jedenfalls soweit sie die anonyme Anzeige von Mitarbeitern und Führungskräften ermöglichen, nach wie vor grundsätzlichen Bedenken.[9] Es besteht die Befürchtung, dass das Unternehmen mit einer solchen Einrichtung einem ungehemmten Denunziantentum Vorschub leistet. Namentlich in Frankreich wird diese Sorge – auch bedingt durch historische Erfahrungen – besonders groß geschrieben. Ausgehend von Frankreich hat sich daher eine datenschutzrechtliche Diskussion entsponnen, deren Kernthese lautet, anonyme Whistleblower Hotlines könnten einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Angezeigten insoweit darstellen, als dieser sich nicht dadurch verteidigen kann, dass er den Anzeigenden unmittelbar konfrontiert.[10] Diese Bedenken erscheinen überzogen. Anonyme Anzeigemöglichkeiten sind ein besonders wichtiges Mittel zur Aufdeckung innerbetrieblicher Missstände. Statistische Erhebungen haben ergeben, dass ein erheblicher Anteil aller Compliance-Verstöße ausschließlich durch Whistleblower Hotlines und ähnliche Einrichtungen überhaupt ans Tageslicht gelangen. Ein Mitarbeiter, der seinen Vorgesetzten bei Compliance-Verstößen beobachtet, wird sich nur dann zu einer Anzeige durchringen, wenn er sicher sein kann, dadurch nicht seinen Arbeitsplatz zu gefährden. Dem zweifelsohne vorhandenen Missbrauchspotential von anonymen Whistleblower Hotlines muss anders begegnet werden als durch eine pauschale Ablehnung solcher Einrichtungen. Vielmehr ist es erforderlich, dass die mit der Bearbeitung von Whistleblower-Anzeigen betrauten Mitarbeiter oder externen Berater eine besondere Sensibilität für die Möglichkeit denunziatorischer Anzeigen aufbringen. Nichts anderes muss im Übrigen auch jeder Staatsanwalt und im weiteren Sinne jede Behörde bei anonymen Anzeigen leisten.
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Für weitere Einzelheiten zu Whistleblower Hotlines s. 5. Kap. Rn. 173.
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Zweitens gehört zur Überwachung und Kontrolle die Aufnahme von Ermittlungen bei dem Verdacht von Compliance-Verstößen. Ermittlungen müssen umfassend, rückhaltlos und ohne Rücksicht auf das Ansehen einzelner Personen durchgeführt werden. Die in erster Linie berufene Stelle für die Aufdeckung unternehmensinterner Missstände ist die interne Revision. Ggf. können auch externe Berater, bspw. Rechtsanwälte oder forensisch versierte Wirtschaftsprüfer, hinzugezogen werden. Werden Compliance-Verstöße festgestellt, stellt sich stets auch die Frage, ob Berichtspflichten gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere bei kapitalmarktorientierten Unternehmen, oder Selbstanzeigepflichten gegenüber Behörden bestehen. Auch wenn keine solche