166
Anhand der verschiedenen Faktoren sollte der Vorstand im Sinne eines Stufenmodells entscheiden, in welchem Umfang er die Untersuchungen vornehmen will. Je schwerer der Verstoß, glaubwürdiger die Meldung, begründeter der Verdacht und größer die drohenden Einbußen für das Unternehmen sind, desto länger, intensiver und ressourcenträchtiger, sollten die Untersuchungen ausfallen.
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Bei der Beurteilung, wie weit die Untersuchungen gehen müssen, sollte sich das handelnde Organ auch immer den Sinn und Zweck der internen Untersuchungen vor Augen führen. Oberstes Ziel der Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen ist die Aufdeckung, Aufklärung und das Abstellen von Verstößen. Dies erfordert die Beschaffung von Informationen über die tatsächlichen Vorkommnisse. Häufig wird z.B. erst durch die Untersuchungen eine arbeitsrechtliche Bewertung der Geschehnisse ermöglicht. Hiermit eng verknüpft ist der Aspekt, dass durch die Untersuchungen auch Fehler im Compliance-System des Unternehmens aufgedeckt werden können, welche den Verstoß unter Umständen erst ermöglicht haben.
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Ein weiterer Faktor ist das für jedes Unternehmen existentielle Vertrauen seiner Kunden und Mitarbeiter. Werden Verstöße in der Öffentlichkeit bekannt, kann dies das Vertrauen in Gefahr bringen. Interne Untersuchungen können dann helfen, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen oder bereits den Verlust des Vertrauens oder der Reputation verhindern, indem das Unternehmen damit zeigt, dass solche Verstöße nicht geduldet werden.
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Für eine umfassende Untersuchung kann auch sprechen, dass die Staatsanwaltschaft, Kartell- oder andere Behörden von der Möglichkeit einer Strafmilderung oder Reduzierung von Geldbußen Gebrauch machen, wenn das Unternehmen bei der Aufdeckung und Untersuchung von Verstößen aktiv ist und kooperiert.
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Die durch das Unternehmen erlangten Informationen können schließlich auch die Grundlage für eine Verteidigungsstrategie sein, sofern es zu zivil- oder straf-/bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren gegen das Unternehmen kommt. Diese Zwecke sollten durch die Untersuchung bestmöglich erfüllt werden können.
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Enden muss die Aufklärungspflicht wohl spätestens dann, wenn eine weitere Untersuchung nicht mehr vom Unternehmensinteresse gedeckt wäre.[29] Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der zu betreibende Aufwand außer Verhältnis zum Nutzen der potentiell erlangbaren Informationen steht.[30]
6. Besonderheiten bei behördlichen Ermittlungen
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Das gesamte Konzept der Compliance und der unternehmensinternen Untersuchungen stammt ursprünglich aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum. Unternehmensinterne Untersuchungen gehen dort auf Anforderungen der US-amerikanischen Behörden zurück. In Deutschland besteht zwar nicht die Möglichkeit, dass ein Unternehmen von den Behörden verpflichtet wird, Untersuchungen durchzuführen. Allerdings kann es dem Unternehmen im Einzelfall entgegen kommen, wenn es die Behörden bei bereits laufenden Ermittlungen unterstützt. Das kann z.B. durch die Bereitstellung eigener Untersuchungsergebnisse geschehen, die unter Umständen von den Behörden so gar nicht hätten erlangt werden können.
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Die Untersuchungen von Seiten einer Behörde entbinden die Gesellschaftsorgane keineswegs von ihrer Pflicht gegenüber der Gesellschaft, Untersuchungen durchzuführen,[31] um den Schaden möglichst gering zu halten. Ein völliges Absehen von der Durchführung eigener Untersuchungen kann dazu führen, dass keine ausreichende Informationsgrundlage zur Beurteilung besteht, um festzulegen, ob und in welchen Maß mit den Behörden kooperiert werden könnte und sollte.[32] Führt eine Behörde schon eigene Ermittlungen gegen das Unternehmen, bzw. dort beschäftigte Personen durch, so empfiehlt es sich regelmäßig, mit dieser eng zusammen zu arbeiten. Andererseits muss bei einer parallelen Durchführung von unternehmensinternen und behördlichen Untersuchungen die Gefahr einer Strafvereitelung gem. § 258 StGB durch die Unterdrückung von Beweisen beachtet werden. Dieser Vorwurf kann insbesondere dann entstehen, wenn durch die unternehmensinternen Ermittlungen Mitarbeiter vorgewarnt oder etwaige Beweismittel vernichtet werden. [33] Hier ist daher eine enge Abstimmung mit den Behörden dringend zu empfehlen.
7. Besonderheiten für börsennotierte Unternehmen
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In § 15 WpHG (ab dem 3.7.2016: Art. 17 VO EU Nr. 596/2014 – Marktmissbrauchsverordnung – MMVO) ist die Ad-hoc-Publizitätspflicht für börsennotierte Unternehmen vorgesehen. Danach hat eine börsennotierte AG Insiderinformationen, die sie selbst betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen (§ 15 Abs. 1 S. 1. WpHG; Art. 17 Abs. 1 MMVO). Dadurch soll erreicht werden, dass allen Marktteilnehmern relevante Tatsachen zur gleichen Zeit und möglichst frühzeitig bekannt gegeben werden und alle für eine Investitionsentscheidung relevanten Informationen zeitnah in die Kursbildung einfließen können.[34] Eine solche Ad-hoc-Publizitätspflicht wird auch angenommen, wenn das Unternehmen mit einem erheblichen außerordentlichen Aufwand rechnen muss, wie etwa nach der Aufdeckung krimineller Machenschaften.[35] Erhärtet sich der Verdacht krimineller Machenschaften, so kann daher noch während der Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung eine Ad-hoc-Publizitätspflicht für den Vorstand entstehen. Dies ist daher im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen stets gesondert zu prüfen.
Anmerkungen
Siehe auch Inderst/Bannenberg/Poppe/Poppe 7. Kap. Rn. 6.
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913; Arnold ZGR 2014, 76, 95.
PwC Studie „Wirtschaftskriminalität“ 2007, S. 50.
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 23.
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 23.
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
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